Die Klacker

WANN HAT DER HIGH HEEL EIGENTLICH SEINEN GUTEN RUF VERLOREN? 

In dem kanonischsten aller Lehrfilme der Modewelt, „Der Teufel trägt Prada“, bringt Hauptfigur Andrea einen interessanten Begriff ins Gespräch: die „Klacker“. Wer sind die Klacker? Das sind diese Frauen, die mit den Absätzen ihrer High Heels über den Marmorboden des Verlagshauses marschieren. Klack-klack-klack-klack-klack!

Die Klacker erinnern mich an meine Mutter, die mich früher gelegentlich zu spät vom Kindergarten abholte. Schon nach fünf Minuten Verzug saß ich gekränkt und besorgt auf den Stufen des Kindergartenhauses, im Geiste bereits die schreckliche Vision meiner Mutter unter einem LKW vor Augen. „Da kommt sie doch schon“, sagte die Kindergärtnerin dann. Keine Maman in Sicht. Aber ein lauter werdendes Geräusch – klack-klack-klack-klack-klack. Tatsächlich: da bog sie mit geräuschvollem Stechschritt und spitzen Absätzen unter den Füßen um die Ecke. Die anderen Mütter trugen flache Schuhe. Meine Maman, die beste von allen, war die Diva. Vielleicht kann ich meine Vorliebe für High Heels deshalb, wie so vieles, auf meine Mutter schieben. Eine Frau in hohen Schuhen ist für mich Sinnbild weiblicher Souveränität.

Das sehen viele Leute allerdings ganz anders. High Heels genießen in unserer nordeuropäisch diskreten Gesellschaft keinen guten Ruf. Die Frau in High Heels ist immer die große Windmacherin mit Aufmerksamkeitsdefizit und übertriebenem Geltungsbedürfnis. Wer läuft schon den ganzen Tag auf spitzen Absätzen herum, ohne dazu gezwungen worden zu sein? Eine Frau in High Heels muss doch gestört sein. Ich meine gar beobachtet zu haben, dass Frauen in High Heels weniger ernst genommen werden. Die Frau in High Heels ist eine Tussi, die sich den ganzen Tag über Nagellackfarben und Haarshampoodüfte Gedanken macht. Die Frau in Sneakern ist cool. Und cool wollen ja heute alle sein.

Wann kam eigentlich der Imageverlust des High Heels? Wurde er einfach vom Sneaker verdrängt? Oder gezielt als vulgär und unemanzipiert abgestempelt? Es ist ja nicht gerade so, dass die Designer nicht genug schöne High Heels entwerfen würden. Bloß findet sich zumindest in Deutschland so gut wie keine Frau, die die auch wirklich anziehen will. Und wenn sie es doch tut, dann wird daraus ein Staatsereignis. Gelegentlich lese ich auf Blogs eigentlich kluger und selbstbewusster Schreiberinnen Sätze wie: „Premiere: ich trage High Heels!“, oder „Oh mein Gott, es ist passiert: ich habe mir High Heels gekauft.“

Viele Frauen scheinen sich immer gleich dafür entschuldigen zu wollen, wenn sie mal gewagt haben, irgendwo in hohen Schuhen aufzutauchen. „Ui, total overdressed, sorry“ – oder „Hab‘ den, äh, Dresscode wohl nicht ganz befolgt, hihi“ heißt es dann, als wäre das Laufen auf High Heels ein Verstoß gegen die Sittlichkeit. Frauen in Sneakern müssen sich nie entschuldigen. Nicht mal dann, wenn sie in ihren jahrzehntealten Converse-Tretern in ein Gourmetrestaurant gestapft sind. High Heels bedeuten immer Aufwand, Sneaker authentische Lässigkeit. Nach Aufwand will heute keine Frau aussehen, denn eine aufwändig gekleidete Frau entlarvt sich als eine, die über ihre optische Wirkung nachdenkt. Vom gelegentlichen Nachdenken über das eigene, mit Aufwand betriebene Aussehen schließen viele Leute schnell auf Narzissmus. Der High Heel, so die Auffassung, sei demnach ein Schuh für Narzisstinnen.

Zeig mir Deine Füße, und ich sage Dir, wer Du bist: an dem Duell Klacker vs. Sneaker lässt sich die nachhaltige Strahlkraft mancher zunächst profan wirkender Entscheidungen sehr gut erkennen. High Heel oder Sneaker, wer diese Wahl trifft, entscheidet sich für Drama oder Bequemlichkeit, also für zwei völlig konträre Lebensentwürfe. Die Frage ist bloß: warum wird das eine ständig verurteilt, während das andere als selbstverständlich gilt? Wieso kann ich meine hohen Schuhe nur auf der Modewoche in Paris anziehen? Warum haben die Deutschen solch ein Riesenproblem damit, wenn man sich mal der Ästhetik zugunsten unbequem anzieht?

Tatsächlich ist ein guter, formschöner High Heel immer schmeichelhafter als ein Sneaker. Sobald eine Frau in hohe Schuhe steigt, verändert sich ihre Silhouette zu einem geschmeidigen S, der Po schiebt sich nach hinten, die Brust nach vorn, der Rücken ist gerade. Es wäre auch Humbug zu behaupten, dass man in High Heels nicht laufen kann. Ein hochwertiger Schuh hat einen stabilen Absatz und ein gepolstertes Fußbett. Die Nummer 1 in Sachen Bequemlichkeit bleibt natürlich der Sneaker. Aber muss denn im Leben immer alles so urbequem sein? Eine Frau, die hohe Schuhe trägt, darauf gut laufen und dabei noch lächeln und eine intelligente Unterhaltung führen kann, ist doch ungleich beeindruckender als eine Frau in Turnschuhen. High Heels symbolisieren Disziplin, Selbstbewusstsein, Selbstachtung und Willenstärke. Wer Frauen in High Heels verurteilt, der verurteilt auch Frauen mit diesen Charaktereigenschaften.

Und was ist nun mit den Klackern auf dem Verlagshausmarmorboden in „Der Teufel trägt Prada“? Andrea findet sie zunächst arrogant, eine Eigenschaft, die häufig mit Frauen in High Heels assoziiert wird. Wahrscheinlich deshalb, weil sie sich mit den Absätzen unter ihren Füßen künstlich selbst erhöhen. Aber belohnen hohe Schuhe nicht auch mit besserer Aussicht, einem guten Überblick über das Geschehen – und lassen die Trägerin deshalb wie eine Frau erscheinen, die weiß wo es langgeht? Eine Frau in High Heels ist weder zu übersehen noch zu überhören. „Hier komme ich“, sagt die Frau mit klackernden Absätzen. „Nimm Dich bloß in Acht.“

Alle Schuhe von Malone Souliers, der schönsten neuen High-Heel-Manufaktur aus London. Zu kaufen unter anderem bei Matches.com