Welche Mama trägt wohl ein roséchampagnerfarbenes Spitzenkleid, wenn sie ihr sabberndes Kind in die Krabbelgruppe bringt? Diese Frage darf man nicht stellen, wenn man zurück nach Mailand auf den Laufsteg von Dolce & Gabbana schaut. Dort wurde, als unangefochtenes Bühnen-Highlight der bisherigen Schauensaison, die Mama in all ihrer Pracht gefeiert: als Ursprung unseres Daseins, als verlässlich liebende Größe im Leben jedes Kindes. Die Models liefen teils mit Babybäuchen, teils mit ihren eigenen Kindern, teils mit ausgeliehenen Sprösslingen über den Laufsteg; eingekleidet in roséfarbene Spitze, elegante Etuikleider in hellblau, schwarz oder efeugrün und kurvenbetonende Bleistiftröcke mit aufgestickten Rosen (als Reminiszenz an Stefano Gabbanas Mutter, deren Lippenstift stets nach Rosen roch). Die Krönung: eine Serie seidener Roben, bedruckt und bestickt mit herzistgen Kinderzeichnungen. Alles für die Mama – aber nicht als Outfitvorschlag für den nächsten Elternabend. Sondern als starkes Statement für die gesellschaftlich immer noch unterschätzte Mutterrolle der Frau. Die Kollektion von Dolce & Gabbana war ein einzigartiges Feuerwerk zu Ehren der weiblichen Sinnlichkeit und Fruchtbarkeit, eine Verneigung vor der Mama, die in jeder Frau steckt.
So gleichförmig und inhaltslos viele Laufstegkollektionen heute sind, so innovativ ist dagegen dieser Ansatz mit seiner Positionierung in einer gesellschaftlichen und damit auch politischen Diskussion. Wirklich originelle Kleider zu entwerfen ist mittlerweile bekanntlich schwierig. Gerade in Mailand hat es auch in dieser Saison wieder an Innovationen gemangelt. Prada zeigte Sixties-inspirierte Hochwasserhosen und Babydollkleidchen aus Double-Face-Jersey mit Plexiglasblütenbroschen und farbigen Handschuhen, Gucci Schluppenblusen, Plisseeröcke, geblümte Midikleider aus hauchfeiner Seide und Pelzlatschen, Marni midilange Kleider und Westen über geschlitzten Schlaghosen, Mäntel mit Fellärmeln und Krokodilledergürtel. Bei Max Mara gab es feine Wickelmäntel und Strickpullover zu sehen, inspiriert von Marilyn Monroes Strandlooks aus den 50er Jahren. Schön ist das alles durchaus, neu freilich nicht. Hinzu kommt, dass sich in vielen Schauen, präsentiert von immer gleich stur geradeaus stierenden Models und unterlegt von dumpfen Bässen, mittlerweile eine bedenkliche Monotonie breitmacht.
Dolce & Gabbana haben das Problem mit einem schlauen Kniff gelöst. Wenn die Stoffe, Muster und Silhouetten keine Neuigkeiten mehr sind, müssen eben metaphorische Showinszenierungen für Gesprächsstoff sorgen. Wie sehen wir die Mama in unserer heutigen Gesellschaft? Gilt die eigentlich als hip? Wenn man sich die allermeisten anderen Kollektionen der aktuellen Saison anschaut, bekommt man einen gegenteiligen Eindruck. Bei Bottega Veneta, Jil Sander oder Aquilano.Rimondi sind strenger Minimalismus, geometrische Muster und androgyne Silhouetten weiterhin dominante Motive. Die Frau des 21. Jahrhunderts ist schließlich Feministin, sie will Karriere machen und sich als Mensch, nicht als Gebärmaschine verwirklichen. Was soll sie da mit Spitzenkleid, Haarreif und Pumps?
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Aquilano.Rimondi |
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Jil Sander |
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Bottega Veneta |
Der große Irrtum dieser Attitüde liegt darin, dass sie Frauen in dem Glauben lässt, sich erst mit Männern messen zu können, wenn sie wie Männer aussehen. Und diese Einstellung spiegeln auch die Laufstege der Modewelt wieder. Dolce & Gabbana wollen nun Werbung für die Frau in der Frau machen – jene, die berechtigterweise nicht nur Aktentasche, sondern auch Kind auf dem Arm tragen will. In Zeiten dramatisch sinkender Geburtenraten ist das natürlich ein sehr zeitgemäßes Thema.
Allerdings ist Skepsis angebracht. Kann man mit Kleidern wirklich Politik machen? Wird die feministische Debatte wirkungsvoll, wenn sie auf einem glamourösen Mailänder Laufsteg ausgetragen wird? Ist das überhaupt noch Meinung oder schon Marketing? Banalisiert eine in Mode übersetzte gesellschaftliche Positionierung das Problem denn nicht? Weil Kleider banal sind? Karl Lagerfeld hat es bereits in seiner letzten Chanel-Kollektion versucht: Er inszenierte die Frühjahr-Sommer-Modenschau als Marsch der Feministinnen. Außer feinsten Seidenblusen und bunt bemalten Sommermänteln trugen die Models Schilder mit Aufschriften wie „History is her story“ oder „Ladies first“. Geblieben ist von dem kämpferischen Symbolismus der Kollektion am Ende wenig. Schließlich ging es auch in dieser Show um schöne Mode, die verkauft werden soll. Politik auf dem Laufsteg wird schnell zur Effekthascherei. Karl Lagerfeld hat mit dieser lauten Präsentation sicherlich mehr für den Ruhm der Marke Chanel als für den Feminismus getan.
Andererseits könnte es für die Mode aber auch ein konkretes Anliegen sein, sich als Vehikel für gesellschaftliche Positionen und Meinungen stärker zu positionieren. Mode ist mächtig, weil sie ästhetisch und visuell ansprechend ist. Mode verzaubert Menschen. Ein aufregender Entwurf von Dolce & Gabbana geht deshalb in Bildern um die Welt, während eine wissenschaftliche Abhandlung zur Gleichberechtigung und Mutterrolle der Frau von den meisten Leuten ungelesen bleibt. Und ein Laufsteg kann, wenn raffiniert in Szene gesetzt, wie die Titelseite eines Boulevardblatts funktionieren: plakativ und überdeutlich. Warum sollte man diesen Aspekt der Modewelt nicht auch über die Grenzen des Kommerzes hinweg wirkungsvoll nutzen? Kann die bewusste Aufladung mit Fragen von gesellschaftlicher Bedeutung der Mode gar selbst mehr Relevanz verleihen? Brauchen wir mehr Politik auf dem Laufsteg?
Oft sind es die Journalisten, die mit mühsamen Interpretationen verzweifelt tiefere Botschaften in den Entwürfen der Designer zu lesen versuchen. Vielleicht könnten die Modeschöpfer ja auch mal selbst konkretere Hinweise darauf liefern, was sie uns eigentlich sagen wollen außer: dies ist ein schöner blauer Mantel, den Du im nächsten Winter kaufen solltest. Vielleicht wird es dank Dolce & Gabbanas Mama-Kollektion nicht gleich mehr Kitaplätze und mutterfreundliche Arbeitgeber geben. Aber möglicherweise verschiebt sich die abstrakte Wahrnehmung der Frau von heute dahin, dass sie nicht bloß knallharte Karrierefrau sein muss, um Anerkennung zu erhalten – sondern auch und gerade als Mama einen beeindruckenden Job macht. Wenn das kein Statement ist.