Die Rückkehr des Beins

BEIN ODER NICHT BEIN?

Um neunmalklugen Leserkommentaren von vornherein prophylaktisch entgegen zu wirken, möchte ich mich zuallererst für diese total dämliche Überschrift da oben entschuldigen. „Die Rückkehr des Beins“, so ein Blödsinn, wie soll das Bein zurück kehren, es war doch niemals weg! Die Modewelt ist ein schräger Zirkus, aber Amputationen von Organen und Gliedmaßen gab es auf den Laufstegen bislang glücklicherweise noch nicht zu sehen.

Ich meine natürlich nicht das Bein an sich. Ich meine seine Präsenz. Seit Längerem richtet die Modewelt den Fokus auf andere, weitaus unschuldigere Körperregionen: die Schultern, den Rücken, den Bauch, vor allem aber den Knöchel. Midi-Röcke und -Kleider erleben seit Jahren Hochsaison. Überall sieht man Culottes und weite Pluderhosen, während die Skinny-Jeans zunehmend ausgerottet wird. Beliebt sind auch Levi’s 501, die körpernah, aber nicht eng geschneidert sind. Da, wo mal das Bein war, ist jetzt viel Stoff.

Jetzt die Meldung: alles ein Irrtum, das Bein verkauft sich weiterhin hervorragend, man schaue nur zur kürzlich passierten Modewoche in Paris. Dort gab es, gemessen an der doch so flächendeckend verbreiteten Botschaft vom Tod der Wurstpellenhose, erstaunlich viele entblößte oder betonte Beine zu sehen. Also, natürlich nicht überall. Das weite Hosenbein ist weiterhin ein Thema, bodenlange Röcke auch, und luftige Bermudas enden wenig skandalös über dem Knie. Ebenso präsent sind allerdings Miniröcke und knallenge Luftabschneiderhosen. Und wo lässt sich dieser Tage überhaupt noch ein alles andere in den Schatten stellender Trend verorten? Trend ist, dass alles Trend ist, was ergo bedeuten muss, dass nichts mehr Trend ist und man demnach nach Lust und Laune alles, was einem mehr als einmal, also zweimal bei seriösen Modehäusern untergekommen ist, als interessante Bekleidungsoption diskutieren kann.

Wir beziehen uns in dieser Konversation auf zwei urfranzösische Marken: Carven und Isabel Marant. Ich habe bei den Herbst-Winter-Schauen beider Labels anwesend sein dürfen und mich zur besseren Sicht ganz dreist in die erste Reihe gesetzt, wo ich eigentlich nicht hingehörte, aber das stört keinen, solange nur Du nur professionell genug dreinschaust. Außerdem ist mir aufgefallen, dass häufig ausgerechnet diejenigen Leute in die erste Reihe gesetzt werden, die wenig auf den Laufsteg und viel auf ihr Telefon gucken. So etwas halte ich für Ressourcenverschwendung. Ich habe mich bei meinen dreist erschummelten Front-Row-Plätzen also mit besonderem Eifer bemüht, genau hinzuschauen. Und was habe ich da gesehen? Beine. Viele schöne lange Beine.

Carven A/W 2015
Carven A/W 2015

Worin besteht eigentlich der Reiz des Beins? Was fasziniert Männer und Frauen daran? Bei der Schau von Isabel Marant war richtig gute Stimmung, sommerwarmes Licht, heitere Musik und dann diese Models mit den sonnengeküssten kilometerlangen Beinen – perfekt. Schöne Beine bedeuten Unbeschwertheit, sie erzählen von endlosen heißen Tagen im August, an denen man nur im Bikini herumläuft, über Zäune klettert und Pferde stiehlt. Beine stehen für Abenteuer und Wilden Westen. Klettern und Pferdestehlen ist in Culottes wenig ratsam. Mit kurzen Röcken oder schmalen Hosen geht es ganz hervorragend.

Erforscher der Sinnlichkeit des Beins weisen außerdem gerne darauf hin, das Bein habe seine Strahlkraft auch dem Umstand zu verdanken, dass es, wie jedes Kind weiß, im Schoß der Frau endet. Hui, denken wir da, was für ein schönes langes braunes Bein – wo das wohl hinführt!
Bei Carven konnte man solche Überlegungen bei der Betrachtung von raspelkurzen A-Linien-Röckchen und streichholzschmal geschnittenen Zigarettenhosen anstellen. Isabel Marant schickte taillenhohe weiße Jeans über den Laufsteg, die die Beine der Models optisch um einige zusätzliche Kilometer verlängerten. Wie tantig sind eigentlich Culottes? dachte ich da und wünschte mir sogleich ein Replikat von Karlie Kloss‘ formschönem Beinpaar herbei. Damit kommen wir nämlich zu einem weiteren wichtigen Punkt dieser Diskussion: dem Problem des Beins, auf das sich sicherlich auch der gefeierte Aufschwung von weiten Hosen und wadenlangen Röcken zurückführen lässt.

Isabel Marant A/W 2015
Isabel Marant A/W 2015

Es gibt tatsächlich sehr wenige Menschen mit schönen Beinen. Auch ich würde es mit meinen Stelzen in kein Modemagazin schaffen. Ich habe starke muskulöse Waden, ein Relikt aus meiner Zeit als 800-Meter-Läuferin. Mit solchen Beinen kann man gut rennen und herumhüpfen, aber von Miniröcken und Skinnyjeans hält man sich besser fern. Ich habe auch Freundinnen, die noch nie Sport gemacht haben. Die haben dünne Schenkel, die in beinbetonender Kleidung wiederum so spargelig aussehen, dass man Angst hat, sie könnten beim nächsten Schritt zersplittern. Ein Minirock erfordert ein sehr langes, dezent definiertes, nicht zu mageres, nicht zu muskulöses, perfekt enthaartes und zartgebräuntes Bein. Finde mir jemand ein solches Bein, und ich verschenke meine nächste Einladung für die Isabel-Marant-Show.

Die Frage ist: muss sich die Mode nach unseren Beinen richten? Oder richten sich unsere Beine nach der Mode? Je mehr Miniröcke und Wursthosen auf den Laufstegen, desto mehr Miniröcke und Wursthosen in den Fußgängerzonen, desto mehr Miniröcke und Wursthosen an den Beinen von Leuten, die mit einem luftigen Hosenbein oder einem knielangen Rock besser beraten gewesen wären. Aber geht es denn wirklich immer nur um Ästhetik? Müssen wir alle wie vornehme Galeristinnen aussehen und deshalb in wadenlangen Culottes herumlaufen? Ein Minirock ist höchstwahrscheinlich geschmackloser als eine Palazzohose. Dafür kann man in einem Minirock mehr Dummheiten anstellen. Wir sehen: diese Diskussion führt zu existenziellen Fragen. Denn was ist denn nur das Ziel der Mode? Vorteilhaft auszusehen oder Spaß zu haben? Bein oder nicht Bein – was darf es sein?

Louis Vuitton A/W 2015
Christian Dior A/W 2015
Alle Laufstegbilder über style.com. Headerbild: Guy Bourdin/Isabel Marant A/W 2015