Jetzt haben wir fast Juni, und irgendwie ist der Sommer immer noch nicht da. Langsam werde ich böse. Ich habe keine Lust mehr, vom Sommer zu reden wie von einem entfernten Verwandten, den man alle drei Jahre mal für ein paar Tage zu Gesicht bekommt. Meine Zuversicht ist geschmolzen wie ein Capri-Eis in der Julisonne. Der Sommer soll sich jetzt gefälligst herbequemen. Ich will Hitze, sengende, staubige Sommerhitze, dampfenden Asphalt, samtige Frische, die morgens um 5 Uhr, wenn die Sonne aufgeht, zwischen den Vorhängen ins Zimmer strömt, ich will Zitronen-Sorbet zum Mittagessen, Campari Orange unter schattenspendenden grünen Bäumen, Abendessen auf überfüllten Trottoirs, Nächte, in denen man die Temperatur nicht spürt und eins wird mit dieser herrlich süßen, lauwarmen Luft. Ist das wirklich zu viel verlangt?
Badeanzug auf Abwegen
BERLIN IST EBEN NICHT BRINDISI
Seit ungefähr vier Monaten warte ich auf den Sommer. „Wenn der Sommer kommt“, sagte ich im Februar, „werde ich mir ein Schlauchboot kaufen und damit auf der Spree herumfahren.“ Der März kam, das Wetter war schön, die Krokusse blühten. Warm war es natürlich nicht. „Wenn der Sommer da ist“, sagte ich voller Zuversicht, „werde ich Pasta mit Spargel kochen und meine Freunde zu einem italienischen Dinner auf den Balkon einladen. Wir werden ein Planschbecken aufstellen, im Wasser sitzend Melonen-Cocktails trinken und darauf warten, dass die Sternschnuppen vom Himmel regnen.“ Dann kam der April, ich flog nach Beirut, so richtig heiß war es auch da noch nicht. Ungeduldig, wie ich bin, sprang ich trotzdem vom Boot ins Meer und sonnte mich bei Sturm im Strandclub. Bald kommt ja der Sommer, dachte ich, da sollte man schon mal vorgebräunt sein. Der Berliner April war lieblich, sogar am 1. Mai schien die Sonne bei luftigen 14 Grad. „Wenn der Sommer kommt“, sagte ich, „gebe ich meine Lederjacke endlich mal in die Reinigung. Dann brauche ich sie ja nicht, schließlich trage ich, sobald Sommer ist, nicht mehr als ein kleines Sommerkleid.“
Offensichtlich schon. Berlin ist eben nicht Brindisi, das sollte man wissen, wenn man hier wohnt. Ich stehe trotzdem jeden Tag in idealistischer Heiterkeit auf, schlüpfe in meinen Badeanzug und setze mich zum Kaffeetrinken ans offene Küchenfenster. Dann kommt meine Mitbewohnerin rein. „Ist es heute warm?“, fragt sie hoffnungsvoll nach Sichtung meines Outfits. Nein, es ist nicht warm. Aber was soll man machen, wenn man seit Februar herumerzählt, dass man, sobald der Sommer da ist, jeden Morgen im balkoneigenen Planschbecken schwimmen gehen wird?
Aber ach, was hilft das Lamento. Statt zu jammern, sollte ich mich einfach mit meinem Campari Orange an die Heizung setzen, zum Mittagessen eine heiße Zitrone trinken und den neuen Badeanzug mit Jeans kombinieren. Warum auch Badeanzüge nur zum Baden anziehen? Die berufstätige Frau von heute kann sich pro Jahr sowieso nur durchschnittlich 14 Tage am Strand oder Pool leisten. Es gilt also, das Repertoire an Einsatzgebieten von Badeanzügen radikal zu erweitern. Einen Badeanzug kann man beim Spaziergang, Museumsbesuch oder im Nachtclub anziehen. Liegen die Temperaturen unter 20 Grad, freut sich ein Badeanzug über die Gesellschaft von Halstüchern und langen Hosen. Sogar mit Hüten und gestreiftem Seidensatin verträgt er sich. Manche Badeanzüge sind richtig vornehm, sie tragen Schuppenmuster oder goldfunkelnde Lederstreifen. Eigentlich viel zu schade, um darin schwimmen zu gehen.
Alle Bilder: Sandra Semburg
Alle Badeanzüge von Eres
1. Look: Jeans von Levi’s, Sneaker von Adidas, Halstuch selbstgenäht
2. Look: Gestreifter Hosenrock von Tibi, Clutch von Rianna in Berlin
3. Look: Marlenehose selbstgenäht, Hut Vintage