Gerade haben in London und Mailand die Männermodenschauen stattgefunden – ein Ereignis, dass ich von Saison zu Saison mit wachsender Spannung verfolge. Bei Christopher Kane gab es einen fliederfarbenen Anzug zu sehen, bei Gucci Blumenbroschen und Spitzenhemden, bei Ermenegildo Zegna rosa karierte Sommermäntel. Jedes Jahr wird die Männermode weiblicher – und damit auch gewagter. Mann kann heute einen schwarzen Anzug wählen oder ein lachsfarbenes Spitzenblüschen. Erlaubt ist, was das eigene Selbstbewusstsein zulässt. Eine Entwicklung, die man aus weiblicher Sicht besorgniserregend finden könnte; schließlich gilt die Modewelt traditionell als Hoheitsgebiet der Frauen. Hier dürfen wir schalten und walten und in fantasievolle Gewänder steigen, ohne dass man uns deshalb gleich für verrückt erklärt. Während Extravaganz unter Frauen ein weitestgehend etabliertes, ja sogar angestrebtes Phänomen ist, kann ein fliederfarbenes Sakko für einen Mann richtigen Stress bedeuten. Aber gut: Mann kann eben nicht alles haben. Männer können schneller laufen als Frauen, dafür können wir uns interessanter anziehen. Ist doch fair, oder nicht? Ich persönlich finde es gar nicht verkehrt, wenn wir Frauen die Paradiesvögel bleiben, während sich die Herrenwelt optisch höflich im Hintergrund hält. Ich kenne schon genug Männer, die ständig im Mittelpunkt stehen wollen.
Aber wahrscheinlich ist meine Sorge um die weibliche Vormachtstellung in der Modewelt sowieso unbegründet. Dass aufregende Kleidung mitsamt dazugehöriger Betörung, Eleganz und mystischer Unergründlichkeit vorerst Frauensache bleiben wird, darin besteht kein Zweifel. Denn während wir heute tatsächlich alles tragen können – Miniröcke und Hosenanzüge – ist es der Männermode nach wie vor nicht gelungen, die kleidsamste aller Klamotten für sich zu erobern: das Kleid.
Was für entscheidende Vorteile es mit sich bringt, eine Frau zu sein, wurde mir jedenfalls neulich wieder bewusst, als ich in diesem feinen Gingham-Kleid im Stil der 50er Jahre durch Berlin spazierte. Manch einer mag mich in diesem Aufzug für eine entlaufene Tischdecke oder eine Park-Avenue-Mutti auf Urlaub gehalten haben, aber das war mir egal. Das Kleid verleiht unvergleichliche Stärke und Anmut, die dem Machtpotential eines schwarzen Anzugs tatsächlich in nichts nachstehen. In einem schönen Kleid bewegt man sich anders, denn ein Kleid erzeugt Dynamik, sobald man anfängt, darin herumzuwirbeln. Wer wirbelt schon im Zweiteiler?
Vielleicht kann man sogar behaupten, dass die berühmtesten Kleider aller Zeiten nicht einmal dank ihres Designs, sondern aufgrund der speziellen Art und Weise, mit der sie getragen wurden, zu den berühmtesten Kleidern aller Zeiten wurden. Zum Beispiel das weiße Halterneck-Kleid, dass Marilyn Monroe 1955 in „Das verflixte 7. Jahr“ trug. Genau genommen gelangte nicht die Robe zu Weltruhm, sondern der Windstoß, der unter den weißen Plisseestoff fuhr. Elizabeth Hurleys berüchtigtes Safety-Pin-Dress von Versace, das sie 1997 bei der Premiere von „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ trug, entfaltete erst in der Bewegung seinen vollen erotischen Reiz: nämlich, sobald sie darin beim Gehen ein langes gebräuntes Bein entblößte. In „Und ewig lockt das Weib“ bezirzt Brigitte Bardot mit dem spontan aufgerissenen Rock ihres Kleides beim Tanz alle anwesenden Männer. Wie das Kleid selbst aussieht? Eher nebensächlich. Es geht darum, was man in diesem Kleidungsstück anstellt. Keine Klamotte lässt sich stärker mit dem Betörungsfaktor der Bewegung aufladen. Von dem Mythos, den das Kleid mit dieser Eigenschaft umgibt, kann der Anzug des Mannes nur träumen.
Eine Frau im Kleid ist eine Frau, die sich gut amüsiert. Deshalb wird eine Michelle Obama, die gerne in schwingenden Blumenkleidern bei offiziellen Veranstaltungen erscheint, von manchen Kritikern als nicht ausreichend seriös gekleidet wahrgenommen (Vanessa Friedman hat das Problem besprochen). Ein Kleid ist eben kein ernsthaftes Kleidungsstück. Es ist das lustige Fohlen, der Bananensplit im Kleiderschrank. Das erkennt man auch daran, dass die meisten Frauen, je älter sie werden, seltener Kleider tragen und Hosen bevorzugen. Das Kleid steht für heitere Sinnlichkeit, es symbolisiert das Gegenteil von sachlicher Strenge. Zwar gibt es auch strenge Kleider. Aber rein technisch gesehen enthält ein jedes Kleid die Option, dass man der Frau darin unter den Rock linsen könnte. Nur die Option! Aber die allein reicht schon aus, das Kleid zum aufregendsten aller Kleidungsstücke zu machen. Keine Chance für die Männermode, auch nur einen Hauch dieser Wirkung für sich zu beanspruchen. Männern kann man bekanntlich nicht unters Hosenbein spähen.
Fotos: Sandra Semburg
Kleid von Dolce & Gabbana, Blazer von Chloé, Mules von Tibi