Eine Sonnenbrille in Berlin

ÜBERHEBLICHKEIT IST IHR BUSINESS

photo 1 (15)Meine Geschichte beginnt im Alten Rom. Rom liegt in Italien, da ist es sonnig und hell. Kaiser Nero ließ damals leidenschaftlich gern Gladiatorenkämpfe aufführen. Aber in diesen offenen römischen Sportstadien gab es wenig Schatten, und die Sonne blendete Nero. Also hielt er sich beim Verfolgen der Spiele grüne Smaragdsteine vor die Augen. So wurde ich geboren.

2000 Jahre später sind wir Sonnenbrillen auf der ganzen Welt verbreitet, nicht nur im Sonnenland Italien. In Großstädten wie Berlin gedeihen wir ganz kräftig, selbst wenn Deutschland oft im Dämmerlicht liegt, sogar im Sommer. Irgendwie regnet es hier die ganze Zeit, dann ist es mal drei Tage heiß und schwül, meine Gläser beschlagen, und schon fängt es wieder an zu regnen. Aber weil Berlin ja eine so todschicke Stadt ist, tragen die Leute hier lieber Sonnenbrillen statt Regenjacken, selbst wenn es donnert und hagelt. Eine Sonnenbrille ist halt cool, eine Regenjacke nicht. Sorry, wir Sonnenbrillen sind nicht gerade bescheiden. Überheblichkeit ist unser Business.

Ich komme aus Österreich, aus einer Familie namens Andy Wolf. Wir sind alle handgemacht, Lady Gaga ist eine Freundin von uns, und in einem Actionthriller sind wir auch schon aufgetreten. So viel zum Thema Coolness. Neuerdings wohne ich in der deutschen Hauptstadt, und weil es hier so schön ist, sogar bei grauem Sommerhimmel, habe ich auch gleich alle meine Freundinnen herbestellt. Wir sind emanzipierte Sonnenbrillen, den Vorwurf, bloß als hübsches Accessoires an der Seite bulliger Geheimagenten aufzutreten, lassen wir uns nicht gefallen!

photo 2 (11)Berlin ist ja bekannt für sein Partyleben, aber wir Sonnenbrillen sind nicht so die Nachteulen. Ich persönlich beginne einen schönen Tag gerne in aller Frühe bei einer guten Tasse Kaffee in der Espresso Bar in Charlottenburg. Man sieht es meinen Kurven an – ich bin eine unverbesserliche Naschkatze! Deshalb gibt’s zum Frühstück gleich ein Baisertörtchen, auf die darf man hier nicht verzichten, unten drunter ist ein Boden aus Pistazien und Mandeln und dazwischen Johannisbeeren, also, ich könnte fünf davon essen. Tue ich aber nicht, meine athletisch gebauten Freundinnen halten mich davon ab.

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Wir sind eine lustige Bande, verbringen aber nicht den ganzen Tag zusammen. Schließlich hat jede von uns ihre eigenen Hobbies und Interessen. Die Braune zum Beispiel liebt es, den Nachmittag im Park zu verbringen und heimlich verliebten Pärchen beim Turteln zuzuschauen. Die alte Spannerin!
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Die Graue hat eine Faible für gute Restaurants. Im Maiden Mother & Crone kann man guten Wein trinken und so schmackhafte Sachen wie „Curry Chicken mit Fenchel Dattle Drizzle“ essen. Das Lokal liegt auf der Potsdamer Straße, Berlins neuer Mitte, und hat gerade erst eröffnet. Als wir neulich da waren, hatte es leider gerade zu.

photo (2)Blöd gelaufen, aber egal, so bleibt halt mehr Platz im Bauch für die besten Baklava der Stadt, zu finden in der türkischen Bäckerei Pasam in Schöneberg. Den Laden hab‘ natürlich ich entdeckt, diese Schleckermäuligkeit wird mich noch ins Grab bringen. Zum Glück konnte ich meine Freundinnen überreden, mir beim Aufessen der zuckertriefenden Happen zu helfen. Nur die Goldene wollte nicht, sie hat was gegen Kohlenhydrate. Was soll man machen.

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Nach dem Baklava-Essen gehen wir meistens spazieren, zu Verdauungszwecken. Manchmal legen wir uns auch ins nächste Blumenbeet, faulenzen auf der Parkbank oder klettern auf den schönen Skulpturen im Tiergarten herum. Berlin ist so grün und blumig im Sommer, sogar am Straßenrand wuchern Lavendelfelder. Zu irgendwas muss der viele Regen ja auch gut sein.

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Obwohl Berlin nicht Brindisi ist, kann man sich auch hier wunderbar auf der Vespa fortbewegen – was für ein Lebensgefühl! „Forza, ragazzi!“, jauchze ich und heize mit Tempo 45 über die rote Ampel. Ich bin eben eine waschechte Wahl-Italienerin. Im Zickzack schlängele ich mich durch die die Baustellenstadt, ignoriere Einbahnstraßen, parke mitten auf dem Bürgersteig…Die Polizisten gucken nur müde, sie haben genug zu tun in Berlin. Außerdem ist eine strohblonde Sonnenbrille wie ich auf einem rosa Zweirad ja auch ein charmanter Anblick.
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Die Graue nehme ich gerne mit, als Einkaufsberatung. Gemeinsam brausen wie dann zu meiner Lieblingsboutique, dem Hut-Geschäft von Fiona Bennett. Eine extravagante Sonnenbrille wie ich braucht eben auch eine passendes Accessoire. In Berlin mag Normcore immer noch Trend sein, aber ich schere mich nicht um Konventionen. Außerdem wissen erfahrene Sonnenbrillen wie ich: Ein Hut schlägt jedes Dekolleté.

photo 2 (13)photo 1 (14)photo 3 (10)Jetzt aber auf zum Lunch, ruft die Graue, unsere Kulinarik-Beauftragte. Heute hat sie für uns im Mamecha reserviert. „Gibt’s dort auch Dessert?“, frage ich hoffnungsvoll. Gibt es. Auf die vegetarische Bento-Box mit gebratenen Dumplings, eingelegtem Gemüse und Reis folgt ein Gedicht von einer Zitronen-Tarte. Sonnenbrille im Kuchenhimmel!

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Warum wohnst Du eigentlich in Berlin? fragen mich meine Freunde aus Österreich manchmal. Da kann man ja nicht mal Ski fahren, und Apfelstrudel gibt es auch keinen. Und Berlin ist doch so groß und unübersichtlich, und alle Leute sind Coolness-Streber und essen Glutenfreies in Gesundheitsküchen. Ist das nicht langweilig? Überhaupt nicht, sage ich dann. Berlin ist Bahnhof Zoo und David Bowie und Neue Nationalgalerie und Schloss Charlottenburg. Berlin ist gediegen und abgerockt und auf schrullige Weise mondän – genau wie ich. Mich kannst Du in Schöneberg zum weißen Pelzmantel und auf der Torstraße zu weißen Sneakers tragen. Und wenn Du gerade keine Lust darauf hast, mit den nervigen Bekannten, die dahinten um die Ecke biegen, gleich Küsschen-Küsschen auszutauschen und inhaltslosen Mitte-Smalltalk zu halten, dann versteckst Du Dich einfach hinter meinen großen dunklen Gläsern und tust so, als wärst Du die Enkelin von Uschi Obermeier und leider wahnsinnig beschäftigt. Überheblich sein, das geht gut in der Hauptstadt der Sonnenbrillen. photo 3 (8)
– In Kooperation mit Andy Wolf