Urlaub auf Instagram

DER BESTE REISEFÜHRER DER WELT

Die Leute haben schon immer gerne mit ihrem Urlaub angegeben. Aus den Kurbädern schrieb man sich einst seitenlange Briefe, in denen man von der heilsamen Frischluft und der reizenden Gesellschaft beim Kartenspiel mit Seeblick berichtete. Im 19. Jahrhundert fuhren die Künstler in die Provence und an die Côte d’Azur und malten dort Lavendelfelder und nackte Grazien am Strand. Ein Jahrhundert später wurden Diashows en vogue – man lud seine Freunde zum Abendessen ein und zeigte dabei per Projektor Ansichten von sich und seinen Liebsten in Rimini oder Südtirol. Bis heute verschicken selbst Leute, die noch nie in ihrem Leben einen Brief geschrieben haben, Postkarten aus dem Sommerurlaub. Wohlbefinden ist ja auch eine Leistung, damit kann man durchaus hausieren gehen.

Mit der 2010 erfundenen Foto-App Instagram erreicht die Urlaubsangeberei allerdings einen neuen Wirkungsgrad. Die Bilder von Traumstränden und Menschen in Hängematten bekommen wir Nicht-Urlaubenden nämlich nicht mehr erst dann zu Gesicht, wenn die Urheber selbst schon wieder zurück im Alltag sind. Sondern in exakt dem Moment, in dem sie ihre Beine gerade in den Pool hängen lassen, während ich mich morgens um sieben Uhr im Bett wälze und, um das Aufstehen hinauszuzögern, erstmal auf Instagram vorbeischaue. Was sehe ich da?

refinery29 in der Türkei
@refinery29 in der Türkei

@tamumcpherson blickt gerade aus dem Hotelfenster und sieht kristallblaues Wasser unter Palmen und Pinien. @refinery29 frühstückt am Pool. @thesartorialist spaziert durch ein charmantes süditalienisches Städtchen. @juliafantasia isst Hummus in Tel Aviv. Während ich mir die Zähne putze, lässt mich Instagram wissen, @jxxsy sei gerade in einen mexikanischen Swimming Pool gesprungen. Urlaubsangeberei ist dem Gipfel der Unerträglichkeit ihrer Instantmitteilung wegen nicht nur entschieden näher gekommen, sie wird auch noch unterstützt durch etwas viel Schlimmeres, nämlich die Schadenfreude.

Das zumindest bildet man sich ein, wenn man in seiner Mittagspause mal wieder kurz durch Instagram stöbert und feststellen muss, dass es allen anderen Instagram-Nutzern gerade entschieden besser gehen muss als einem selbst. Während man selbst vermeintlichen Schaden erleidet – sprich sich durch die Alltagsroutine schleppt – erleben die anderen himmlische Momente im Ferienparadies, von denen sie dann rücksichtslos atemberaubende Bilder mit der arbeitenden Bevölkerung teilen. Guck mal, so gut geht es mir! Und bei Dir regnet’s wahrscheinlich! Haha! Warum, warum nur quälen wir uns gegenseitig so?

@manrepeller in Cannes

Leandra Medine veröffentlichte kürzlich das gefühlt zwölfte Instagram-Foto vom glitzernden Mittelmeer hinter Zitronenbäumen, wie sie es von der Terrasse ihres Hotelzimmers in Cannes sah. Unter dem Foto schrieb eine Kommentatorin: „No more beach paradise photos, please! I live in Denmark!“ Instagram ist so ein mieses Medium. Bis eben dachte man noch, man sei doch eigentlich ganz glücklich mit seiner Altbauwohnung in einer schönen deutschen Großstadt, mit seinem Bürojob und der Verabredung zum Abendessen. Dann zeigt einem auf Instagram irgendein Mensch, wie viel grüner das Gras auf der anderen Seite des Zauns, also zum Beispiel am Pool von Palm Springs ist, und schon wird man trübsinnig.

Ich finde, es ist Zeit für einen Sinneswandel. Warum macht es mich so wütend, wenn mir die anderen ständig unaufgefordert von ihrem Hängemattenleben berichten? Tatsächlich ist die Urlaubsangeberei auf Instagram doch das Beste, was einem passieren kann, wenn man gerade selbst nicht wegfahren kann. Früher ging man ins Museum und schaute sich Monets Gemälde von Mohnblumenwiesen in Südfrankreich an. Heute schickt @travelettes farbenfrohe Bilder aus Marokko und Kolumbien in die Welt. Etwas Schönes schriftlich oder visuell für sich und andere festzuhalten ist ein urmenschliches Bedürfnis. Natürlich kann man sich darüber aufregen, dass der eine gerade im Meer planscht, während man in exakt demselben Augenblick in einem geheizten Büroturm sitzen muss. Oder man kann sich darüber freuen, dass dort einer eine sehr persönliche Urlaubsempfehlung abgibt.

Neben seiner Funktion als Inspirationsmedium für allerlei Alltagsbeschäftigungen – was ziehe ich heute an, welches Obst schmeiße ich in meinen Smoothie, wo gehe ich heute Abend essen, welche Titelgeschichte lese ich diese Woche im ZEITmagazin – ist Instagram zum besten Reiseführer der Welt geworden. Hier kann ich mich zum Träumen anregen lassen, neue Orte entdecken und für meine eigene Urlaubsplanung Inspiration von echten Menschen annehmen, nicht von Reisejournalisten oder Tourismusbeauftragten. Dazu ist die Foto-App nämlich ebenfalls gut: sie erinnert uns daran, selbst auch mal wieder in die Ferien zu fahren. Manchmal vergisst man das ja irgendwie, vor lauter Urlaubmachen auf Instagram.

Headerbild:@travelettes in Marokko 

@margaret__zhang in Sydney
@marievonbehrens in Nerja, Südspanien
@ferdinandfeldmann in Kalifornien
@ferdinandfeldmann in Griechenland
@ferdinandfeldmann in Kalifornien
@ferdinandfeldmann auf Sizilien
@thesartorialist in Apulien
@thesartorialist in Puglia, Apulien
@travelettes in Kolumbien
@travelettes in Israel
travelettes toblacher see südtirol
@travelettes am Toblacher See, Südtirol
@theblab in Paris
thelocals in hyères
@thelocals  in Hyères
thelocals in der türkei
@thelocals in der Türkei
@facehunter in Bolivien
@facehunter in Island
@facehunter in der Türkei
@tamumcpherson in Baia di Paraggi
@tamumcpherson in Forte dei Marmi
@jxxsy in Miami Beach
@jxxsy in der Türkei
@jxxsy in Williamsburg
@sophia_zarindast in Kroatien
@sophia_zarindast in Kroatien
@sophia_zarindast in Kroatien