Heiliges Cocktailkleid

MIT VESTIAIRE COLLECTIVE EINMAL QUER DURCH DIE MODEGESCHICHTE

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Die Modewelt ist kein netter Verein, der lange Freundschaften pflegt. Kurzlebigkeit und Unverfänglichkeit sind ihr Geschäftsmodell. An einem Prada-Mantel hängt man nicht, denn in der nächsten Saison gibt es schon einen neueren, schöneren, moderneren Mantel, der das eben noch so heiß begehrte Modell alt aussehen lassen wird. In dieser Branche herrscht die Idee vor, dass nur das von Wert ist, was gerade frisch, heiß und fettig vom Laufsteg kommt. Die Modewelt ist ein gefräßiges Tier, das nach immer neuem Futter verlangt, wie ein Kind, das seine Suppe noch nicht aufgegessen hat und schon nach Nachtisch schreit. „Das ist der Sinn der Mode“, hat Wolfgang Joop mal gesagt. „Dass sie kommt, zuschlägt und wieder abhaut.“

Alle sieben Wochen werden neue Musthaves angekündigt, was wir gestern hässlich fanden, sollen wir heute schön und morgen schon wieder hässlich finden. In einer Welt, in der Millionen Menschen bei Yoga und Siebentage-Saftkur nach Entschleunigung und Entschlackung suchen, verdoppelt und -dreifacht die Modewelt ihr Angebot im Monatstakt. Immer mehr glauben wir ganz dringend zu brauchen, dabei haben wir im Überangebot der vielen neuen Kleider die Orientierung verloren. Was ist wirklich schön, was nur kurzfristig attraktiv? Ach, bloß nicht mit solchen Fragen aufhalten! Da kommt schon der neue Prada-Mantel! 

Was wir bei allem Hunger auf immer wieder Neues, noch Moderneres, Lässigeres und Zeitgemäßeres schnell vergessen, ist, dass luxuriöse Kleidung eben kein mal so eben in der Mikrowelle erhitztes Fertiggericht ist. Warum wird die Mode immer nur als Geschäft der Zukunft verstanden? Der Umstand, dass die Models auf den Laufstegen selten älter als 23 Jahre sind, spiegelt die kurze Haltbarkeit der Mode deutlich wieder. Aber warum feiern wir nur das Taufrische und Faltenfreie? Mode kann einzigartige Schätze hervorbringen, nicht nur wegen ihres Materials, der Leidenschaft und Hingabe, die hinter einem guten Entwurf und dessen hochwertiger Herstellung steckt. Kleider sind auch Gewebe von Erinnerungen an gesellschaftliche Tendenzen wie an persönliche Erlebnisse. Kleider können komplexe Botschaften sein; manchmal versteht man sie erst nach Jahren. 

Gerade war ich mal wieder für ein paar Tage in Paris. In einer Boutique habe ich ein rotes Wollcape anprobiert. Ich sah aus wie eine Französin der Sechziger Jahre und fühlte mich großartig. In welchem Jahr brachte Yves Saint Laurent noch mal Capes auf den Laufsteg? 1969? 

In Paris habe ich auch die Zentrale von Vestiaire Collective besucht, dem wohl erfolgreichsten aller Luxus-Second-Hand-Geschäfte, die im Internet Kleider und Accessoires vergangener Kollektionen anbieten. Viele der auf Vestiaire Collective von Privatleuten verkauften Stücke wurden nie getragen, das Etikett hängt noch dran. Das Hauptquartier des Unternehmens gleicht einer Enzyklopädie der Modegeschichte: Stange an Stange hängen hier Heiligtümer von Lanvin, Dries van Noten, Céline, Stella McCartney, Handtaschen von Chanel, nirgends mehr auffindbare Limited Edition Loafer von Gucci, aufwendig bestickte Hosen und gerüschte Blusen von Miu Miu, oftmals extravagante Sachen, die mir beim ersten Anblick vor vielen Saisons verrückt erschienen und deren Genialität sich mir erst jetzt erschließt.  www.vestiairecollective.com:women-clothing:jackets:isabel-marant:black-cotton-short-vest-isabel-marant-3723861 www.vestiairecollective.com:women-clothing:skirts:prada:cotton-mid-length-skirt-prada-3727366www.vestiairecollective.de:damen-kleidung:pullover:jil-sander:bunt-synthetik-pullover-jil-sander-3506802.shtml

Jäckchen von Isabel Marant, S/S 2016; Rock von Prada, S/S 2012; Pullover von Jil Sander, F/W 2011

Ich habe bei Vestiaire Collective ein paar Kleider anprobiert und dabei gemerkt: diese Stücke lassen sich wie Telefonnummern immer wieder neu kombinieren, sie passen in jede Zeit und Saison, egal ob wir gerade März 2010 oder September 2015 haben. Nur weil sie nicht gerade vom Laufsteg kommen, heißt das nicht, dass man darin nicht originell und fortschrittlich aussehen kann – im Gegenteil. Während sich alle anderen Frauen gleichzeitig auf die gleiche Letzer-Schrei-Chloé-Handtasche stürzen, findet man in Second-Hand-Läden häufig verschollene Unikate im Originalzustand.

Ein gutes Kleid ist wie eine gute Geschichte, es lässt sich immer wieder neu lesen und interpretieren. Erinnert sich noch einer an die mit feministischen Straßenmalereien bedruckten Kleider von Prada, Frühjahr/Sommer 2014? An die cremefarbene Satinrobe von Céline aus der Sommerkollektion 2013, jener Saison, in der Phoebe Philo auch die Birkenstocksandale mit Fellbesatz erfand? Bei Christopher Kane gab es im Herbst 2014 einen grafisch geschlitzten Bleistiftrock aus blau-geblümtem Brokatstoff, dazu trugen die Models Badelatschen, damals noch eine Sensation.www.vestiairecollective.de:damen-kleidung:rocke:prada:bunt-wolle-halblang-rock-prada-3320968.shtmlBildschirmfoto 2017-03-17 um 09.34.04

Rock von Prada, S/S 2014; Satin-Kleid von Céline, S/S 2013

Unvergessen bleiben auch die kaleidoskopisch bedruckten, hautengen Handschuhe von Dries van Noten, Herbst/Winter 2016. Und das Cocktailkleid mit Schwimmerrücken, seitlicher Schnürung und Kristallbrosche, Keypiece der Winterkollektion 2014 von Christian Dior, ist schon jetzt ein Klassiker, an den wir uns noch in zwanzig Jahren erinnern werden. „Weißt Du noch“, werden wir uns einmal erzählen,“als Raf Simons dieses Kleid mit Schnürung und Schwimmerrücken entwarf und damit die Garderobe der modernen Businessfrau revolutionierte?“ Die Kleider, die bei Vestiaire Collective angeboten und gekauft werden, haben ein entscheidendes, unschlagbares Qualitätsmerkmal: Zeitlosigkeit. Die ist in der gehetzten Modebranche bekanntermaßen ein exklusives Gut. Ihre Beständigkeit spricht diese Kleider in gewisser Weise heilig.www.vestiairecollective.de:damen-accessoires:handschuhe:dries-van-noten:violett-lange-handschuhe-dries-van-noten-3459315.shtmlChristian Dior Fall 2014

Handschuhe von Dries van Noten, F/W 2016; Wollkleid von Christian Dior, F/W 2014

Die Mode wird oft als Geschäft der Zukunft bezeichnet – ähnlich wie das Brötchenbacken. Die Brötchen von gestern schmecken nicht mehr, jeden Tag müssen frische her. Aber ein luxuriöses Kleid ist kein Brötchen. Eigentlich ist es viel mehr so was wie ein französischer Ziegenkäse oder eine gute Flasche Wein. Manche Handtaschen werden über Dekaden hinweg zu Ikonen. Es gibt Kleider, deren Design so bahnbrechend und unvergleichlich ist, dass man sich als aufmerksamer Beobachter noch nach dreißig Jahren an genau jene Saison erinnern wird, in der dieses Kleid über den Laufsteg lief. Mode reift mit der Zeit, oft wird sie mit den Jahren immer besser. Das wird in der Eile, die diese Branche antreibt, oft vergessen. Es gibt Bildbände, Museen, Retrospektiven, die das Vergessen aufhalten wollen. Die eigentlichen Hüter der Modegeschichte aber sind die Second-Hand-Läden.

Outfit-Bilder von Alexandra Chalaud

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Look 1: Kleid von PradaBlazer von CélineSchuhe von Charlotte Olympia

Look 2: Mary KatrantzouPullunder von Christopher KaneRock von Alaia

Look 3: Fransenkleid von LanvinHandtasche von ChanelSlipper von Gucci

– In Kooperation mit Vestiaire Collective –