Der Trainingsanzug

EIN ERLEBNIS!

Bildschirmfoto 2015-10-07 um 11.33.19 AMDie Jogginghosenzeit beginnt, und wieder beginnt sie ohne mich. Warum, das bleibt ein Rätsel. Ich habe neulich darüber nachgedacht, als ich abends um halb zehn in einem Bleistiftrock aus Jeans auf dem Bett lag und vergeblich versuchte, mich zu entspannen. Im Abiturjahr hatten wir mal einen Mottotag zum Thema „Assi“, da war ich richtig aufgeschmissen. Alle kamen in Jogginghosen und sahen ungefähr so aus:

IMG_0615Weil ich keine Jogginghose hatte, kam ich in Leggings und mit Creolen und lieh mir dazu eine rote Jacke mit weißer „Hamburg“-Aufschrift von meiner Schwester. Ein Mottotag zum Thema „Tussi“ wäre mir wohl leichter gefallen.

Hängt es mit meinem Charakter zusammen, dass ich mich in Jogginghosen unwohl fühle? Bin ich einfach nicht der Mensch zum Rumhängen? In meinem Home Office herrscht inoffiziell ein Dresscode wie bei „Der Teufel trägt Prada“. Ich dulde keine ungebügelten Hemden und trage High Heels, wenn ich mir in der Küche einen Tee koche. Mein Mitbewohner Adrian findet das sehr lustig, vor allem dann, wenn er mich in Momenten der Schwäche erwischt: Letzten Freitag hing ich in zerlöcherten Jeans und XL-Wollpullover am Schreibtisch und kämpfte erfolglos gegen die Freelancer-Phobie Unproduktivität. „Clairette, wo sind denn heute die Hackenschuhe?“, fragte Adrian. „Casual Friday“, antwortete ich spontan, und fühlte mich gleichzeitig ertappt. Vielleicht, weil ich fürchtete, endgültig im Sumpf der Ideenlosigkeit zu versinken, wenn ich auch nur eine Minute länger in zerlöcherten Hosen auf mein weißes Bildschirmblatt starrte.

Ich weiß natürlich, dass das alles Blödsinn ist. Die vielzitierte Lagerfeld-Weisheit „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“, gilt schließlich längst nicht mehr, seitdem Lagerfeld selbst Jogginghosen auf den Laufsteg schickte. Jogginghosen gibt es heute aus Kaschmir und in elegantem Cremeweiß, schlaue Arbeitgeber dulden sie sogar im Büro. Sie wissen, dass ihre Mitarbeiter mehr leisten, wenn sie sich wohl fühlen – nicht, wenn sie ständig nach Luft schnappen müssen, weil der Bleistiftrock ins Wämpchen kneift.

In meinem Home Office ist es jetzt 17 Uhr, ich trage einen gestreiften Satin-Hosenrock und habe das Gefühl, heute noch überhaupt nichts geschafft zu haben. Ich „wollte“ eigentlich weiter an meiner Bachelor-Arbeit schreiben, aber dann gab es plötzlich so viel Neues auf Net A Porter und das musste ich mir erstmal in Ruhe anschauen. Dann ging (zum Glück) die Waschmaschine kaputt, sodass ich auch da wieder ausreichend beschäftigt war, außerdem musste ich zwischendurch in die Apotheke und in den Supermarkt, und jetzt schreibe ich diesen Text. Wer weiß, ob ich in Jogginghose so viel produktiver gewesen wäre, aber offensichtlich hat der Satin-Hosenrock auch nicht viel genützt. Bequem war er schon gar nicht.

Und doch widerstrebt es mir nach wie vor, endlich mal eine Jogginghose anzuziehen. Vielleicht deshalb, weil man in einer Jogginghose niemals richtig angezogen aussieht? Selbst wenn sie aus Kaschmir gestrickt und von Chanel ist, eine Jogginghose ist kein Outfit, sondern ein praktisches Kleidungsstück. Das Käsebrot im Kleiderschrank. Schmeckt gut, macht satt. Ist aber kein Erlebnis.

Nun habe ich mir neulich mal wieder die Royal Tenenbaums angeschaut. Unvergesslich bleiben die Kostüme des Films, insbesondere Chas Tenenbaums roter Trainingsanzug, den er auch gleich seinen zwei Söhnen Ari und Uzi anzieht. Dieser Trainingsanzug ist für mich das signature piece des ganzen Films – und Chas Tenenbaum der lebende Beweis dafür, dass es sehr wohl eine stilvolle Alternative zur Jogginghose gibt. Wie wir im Film lernen, ist man im Trainingsanzug nicht nur jederzeit auf Katastrophen-Evakuierungen aller Art vorbereitet, nein, man kann darin auch richtig schön „losziehen und einen drauf machen“, wie Opa Royal es ausdrückt. Ari und Uzi führen es vor: bei Rot über die Straße rennen, Taxis mit Wasserbomben bewerfen, Müllwagen fahren, im Supermarkt klauen – geht alles prima im Trainingsanzug. Das Outfit hat etwas sympathisch Draufgängerisches; gleichzeitig sitzt und passt es immer perfekt. Besser angezogen könnte man gar nicht sein!Bildschirmfoto 2015-10-14 um 8.42.43 PMBildschirmfoto 2015-10-14 um 8.45.40 PM Bildschirmfoto 2015-10-14 um 8.44.12 PM Bildschirmfoto 2015-10-14 um 8.46.00 PMBildschirmfoto 2015-10-14 um 8.43.57 PM Bildschirmfoto 2015-10-14 um 8.47.15 PM

Das haben mittlerweile auch die Modedesigner verstanden. N-Duo hat gerade dieses funky Modell im Angebot, das ich mir ganz fabelhaft mit kristallbesetzten Manolo-Pumps vorstellen könnte – inspiriert von Patricia Manfields Spitzenoutfit:

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Wenn ich an den Trainingsanzug denke, fällt mir außer den Tenenbaums auch noch mein einstiger Sportlehrer Herr Haustein ein. Haustein, ein großer, hagerer Mann mit Glasauge, trug immer einen etwas zu großen Trainingsanzug aus dunkelblauem Nylon. Beim Volleyball sagte er Sachen wie „Wenn ihr den Ball zurückpritscht, müsst ihr euch vorstellen, ihr würdet Robbie Williams am Hintern streicheln.“ Haustein konnte aber auch richtig streng werden, er brauchte einen nur kurz mit seinem Glasauge anzuschielen, schon stand man stramm. Zu dieser Aura passte der Trainingsanzug ganz ausgezeichnet. Denn auch er schätzt das Gammeln nicht, und lässt dabei doch Luft zum Atmen und Spaßhaben. Genau das Richtige für mich! Premiere: Ich habe jetzt einen Trainingsanzug.

Laufstegbilder über Vogue Runway