Wir sind die Neuen

SCHÖN IM AUGE BEHALTEN: DIE JUNGDESIGNER AUS PARIS

Bildschirmfoto 2015-10-07 um 9.21.50 AMAls ich vor eineinhalb Jahren zum ersten Mal zur Fashion Week in Paris war, wollte mich kein großes Modehaus zu seiner Show einladen. Sehnsüchtig stand ich vor den Toren der Chloé-Show, leider sahen die Bodyguards nicht so aus, als ließe sich mit ihnen verhandeln. Und bedauerlicherweise bin ich auch nicht besonders talentiert darin, mich irgendwo reinzuschleichen. Alfons Kaiser hat mir mal erzählt, er sei einst bei einer Show von Yves Saint Laurent über den Zaun geklettert. Ich bewundere ihn dafür, aber das wäre nichts für mich.

Weil Chloé und Chanel mich also nicht bei ihren Schauen dabei haben wollten, vertrieb ich mir die Zeit damit, bei den Präsentationen der unbekannten Jungdesigner vorbeizuschauen. Die halten es mit ihrer Gästeliste nämlich nicht so streng, im Gegenteil, manchmal platzieren sie sogar windige Großmäuler wie mich in der Front Row. Da saß ich zum Beispiel bei Jacquemus, als Jacquemus noch ein Geheimtipp war und hochkarätige Vogue-Redakteurinnen weit davon entfernt, sich zum Besuch seiner Show herabzulassen.

Die Jungdesigner sind das Glück der Jungredakteure. Während die großen Kritiker bei Dries van Noten sitzen, können sie Kolumbus spielen und aufstrebende Talente entdecken. Jacquemus gilt heute als feste Größe im Fashion-Week-Kalender, seine Show, in diesem Jahr spektakulär inszeniert inklusive weißem Pferd und drei Meter langer roter Krawatte, lässt sich keiner mehr freiwillig entgehen. Jetzt dürfen sich die Redaktionspraktikanten und Modeassistentinnen freuen, die vor wenigen Saisons noch maulten „Jacquemus wer? Wieso darf ich nicht zu Céline?“

Jeder hat mal klein angefangen, und manchem gelingt der Aufstieg schneller, als Anna Wintour ihren Pony föhnen kann. Die Präsentation des rebellischen Labels Vetements fand bei der letzten Pariser Modewoche im März zu später Stunde im Schwulenclub Le Depot statt. Jetzt wurde der Kreativdirektor des Designkollektivs, Demna Gvasalia, zum neuen Chefdesigner von Balenciaga gekürt. Der jugendlichen Unbekümmertheit seines eigenes Labels tat das keinen Abbruch: Zur Präsentation der neuen Sommerkollektion lud Vetements in ein chinesisches Großraumrestaurant ein.

Das ist das Schöne an den Schauen der Jungdesigner: Man hat hier immer dieses gewisse Gefühl, das man auch von jenen ausgelassenen Hausparties kennt, bei denen Rotwein aus Plastikbechern fließt und die Gastgeber in angetrunkener Heiterkeit auf den Tischen tanzen – Chaos und ein paar zerbrochene Blumenvasen inklusive. Noch ist ihr Stil nicht komplett ausgereift, beim Business hakt es noch ein bisschen, aber die Designer sind unübersehbar talentiert, und Spaß haben sie dabei auch noch.

Diese Woche scheint in Paris die Saison der Jungdesigner gewesen zu sein. Vorzeige-Youngster wie Jacquemus haben der Modewelt gezeigt, dass es sich lohnt, auch die kleineren Häuser von Anfang im Auge zu behalten. Wer immer nur zu Chloé und Chanel rennt, verschläft die Revolution. Zum Beispiel bei Koché, wo aufwendige Stickereien und weiße Schnürschuhe auf Bronx-reife Streetwear treffen. Bei Yang Li, der flatternde Seide und Blumenmuster mit strengen schwarzen Ledermänteln, Herren-Trenchcoats und Grufti-Aufnähern kombiniert. Oder bei Rabih Kayrouz, den ich schon 2010 in seinem Atelier in Beirut traf, als ich noch zur Schule ging und er ausschließlich Haute Couture für die libanesische Upper Class entwarf. Heute verzaubert Kayrouz in Paris mit puristischen, fließenden Schnitten und einem Hauch orientalischer Sinnlichkeit.

Wer sind die neuen Talente? Woher kommen sie, wer prägt ihre Entwürfe, für welche Gelegenheiten schneidern sie? Ich habe mir den Spaß erlaubt und einen Spickzettel mit den wichtigsten Daten über die neuen Designer zusammengestellt, die man im Auge behalten sollte. Was es bei der Schau von Chloé zu sehen gab, haben wir ja schließlich alle schon auf Instagram erspäht.Bildschirmfoto 2015-10-07 um 9.57.45 AM

Name: Alessandra Rich, geboren in Italien, ursprünglich tätig als Immobilienmaklerin.

Gründungsjahr: 2010 in London

Markenzeichen: Ausschließlich mindestens wadenlange, romantische Kleider aus Spitze, mit Plissees, Volants, Schleifen,  Paillettenstickerei, viel Weiß, Gold und Rosa. Mädchenhaft verspielt, ironisch kitschig, lässig verführerisch, ein bisschen schrullig – würde auch Lolita gefallen.

Inspiration: Dolores, eine kopflose, romantische Heldin aus Südamerika; “It’s the story of a girl who runs away to get married,” erzählte Alessandra Rich bei ihrer aktuellen Präsentation in Paris.

Gemacht für: Die Hochzeit deiner besten Freundin im Chateau Marmont; deine eigene Hochzeit in Las Vegas; heißes Rendezvous mit libanesischem Ölscheich.

Bildschirmfoto 2015-10-07 um 10.04.52 AM

Name: Courrèges

Moment, den kenn‘ ich doch irgendwoher…: Erraten! André Courrèges gründete sein Modehaus 1961, einige Jahre später erfand er den Minirock (Mary Quant sieht das ein bisschen anders, aber egal).

Aber dann ist er doch kein Jungdesigner…: Stimmt, Courrèges ist ein Traditionshaus, allerdings kein besonders „cooles“. Deshalb wurden Arnaud Vaillant und Sébastien Meyer, Gründer des jungen Labels Coperni Femme, im Mai 2015 zur Wiederbelebung der Marke rekrutiert. Die Sommerkollektion für 2016 ist ihre erste für Courrèges. Ihr eigenes Label haben sie vorerst auf Eis gelegt.

Markenzeichen: Sportliche Funktionalität, einfache, aber wirkungsvolle Schnitte, architektonische Faltenkunst, dreidimensionale Oberflächen, raffinierte Statement-Stücke in Kombination mit schlichten Basics: Feinripp-Bodies, Miniröcke, T-Shirts.

Vorbild/Inspiration: Nicholas Ghesquière

Gemacht für: Entdeckerinnen, Weltraumtouristinnen, diese coolen Mädchen, die mit dem Fahrrad zum Nachtclub fahren. Mit der Courrèges-Frau lässt sich prima Pferde stehlen.

Bildschirmfoto 2015-10-07 um 10.08.38 AM

Name: Yang Li, geboren in Peking, aufgewachsen in Perth (Australien), ausgebildet am Central Saint Martins College.

Gründungsjahr: 2012 in London

Markenzeichen: Messerscharfe, perfekte Schnitte (typisch, diese Asiaten!), halbfertige Lässigkeit, lose Dekonstruktion, luxuriöse Materialien, spannungsreicher Stilbruch zwischen mädchenhafter Leichtigkeit und düsterer Strenge. „Harte Schale, weicher Kern“ könnte man es auch nennen.

Vorbild/Inspiration: Raf Simons, bei dem Li u.a. in die Lehre ging./Die Staße, Basketball, Skateboarden.

Gemacht für: Übellaunige, frostige Mädchen, die keine Zeit zum Haarekämmen haben, weil sie zuhause heimlich am Drehbuch ihres ersten großen Arthaus-Films arbeiten. Es geht um die Liebesbeziehung zwischen zwei Zombies.

Bildschirmfoto 2015-10-07 um 10.13.31 AM

Name: Vetements – ein ursprünglich siebenköpfiges Kollektiv anonymer Designer mit den georgianischen Brüdern Demna und Guram Gvasalia an der Spitze. Der 34-jährige Demna studierte in Antwerpen und arbeitete für Maison Martin Margiela und Louis Vuitton.

Gründungsjahr: 2014 in Paris

Markenzeichen: Eine sehr unkonventionelle, erfrischende Idee von Schönheit: Die Models sind ungeschminkt und manchmal gar nicht dünn, sie tragen überbreite Blazer, überdimensionale Kleider mit Rüschen und Blumenmustern und dazu Klassiker der Streetwear: Kapuzenpullover, riesige Bomberjacken, Baggyhosen und Neonfarben.

Vorbild/Inspiration: Maison Martin Margiela

Gemacht für: Frauen mit Motorrad und eigenem Haschischbeet; kann man anziehen auf der Party im geheimen, ziemlich coolen Kellerclub in Berlin/New York/Paris, auf der alle so tun, als wäre ihnen egal, wie sie aussehen, obwohl das Gegenteil der Fall ist. Maison Rabih Kayrouz

Name: Maison Rabih Kayrouz. Rabih Kayrouz wurde 1973 im Libanon geboren und an der Chambre Syndicale de la Couture in Paris ausgebildet.

Gründungsjahr: 1998 in Beirut. Prêt-à-Porter macht Kayrouz seit 2009 in Paris. Der Hauptsitz der Marke liegt weiterhin in Beirut.

Markenzeichen: Ungewöhnlicher Mix aus intellektuell-kühlem Galeristen-Chic und weiblicher Sinnlichkeit, fließende Schnitte mit versteckten Details wie Schlitzen oder Draperien, feinste Materialien, grafische Muster, gedeckte Farben.

Vorbild/Inspiration: Céline/ Licht, Natur, Architektur

Gemacht für: Glamouröse, karriereorientierte Selfmade-Frauen mit Klasse und Eleganz. Die Kayrouz-Frau weiß, dass man nicht wie ein Mann aussehen muss, um sich mit einem zu unterhalten.

Koché

Name: Koché. Christelle Kocher wurde am Central Saint Martins College ausgebildet und hat für Emporio Armani, Chloé, Sonia Rykiel, Dries van Noten und Bottega Veneta gearbeitet.

Gründungsjahr: 2014 in Paris

Markenzeichen: Anti-elitärer Rebellen-Chic: Streetwear, Jeans und Turnschuhe werden mit vornehmen Stickereien, Paillettenapplikationen, Fransen und Seidenrüschen veredelt, die auch Marie Antoinette gefallen hätten. Die Koché-Show für den Sommer 2016 fand in der U-Bahnstation Les Halles statt.

Inspiration: Haute Couture, die Lichter der Großstadt, Sportbekleidung, zeitgenössische Kunst.

Gemacht für: Ausgebüxte Millionärstöchter.

Vanessa Seward

Name: Vanessa Seward. Ausgebildet am Studio Berçot in Paris, hat gearbeitet für Chanel, Yves Saint Laurent, Loris Azzaro.

Gründungsjahr: 2014 in Paris

Markenzeichen: Französische Klassiker – Trenchcoat, Hosenanzug, Seidenbluse, Bleistiftrock – aus luxuriösen Materialien: Metallic-Stoffen, bedruckter Seide, schillerndem Brokat. Für den Stilbruch sorgen T-Shirts, Jeans und Turbane.

Vorbild/Inspiration: Yves Saint Laurent

Gemacht für: Die Dinnerparty im französischen Schloss deiner reichen, durchgeknallten Bohéme-Großtante, die du alle sieben Jahre zu Gesicht bekommst. Veruschka kennt sie persönlich.

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