Der „perfekte“ Mantel

ES GIBT IHN WIRKLICH!

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Einmal unterhielt ich mich mit einer Inderin über Deutschland. „Was ich überhaupt nicht verstehe“, sagte die Dame im bunten Sari ,“ist, warum sich die Leute in Deutschland immer so unscheinbar anziehen. Das ist doch deprimierend!“ Oh, da hatte sie aber einen Nerv getroffen. Tatsache ist: Ich bin Deutsche, aber wenn ich könnte, dann würde ich das ganze Jahr im bunten Sari herumlaufen. Es gibt den Sari in allen Farben und allen Stoffen, und das Tragegefühl ist einmalig. Ich habe selbst mal einen anprobiert, deshalb weiß ich das. Der Sari ist eines von jenen Kleidungsstücken, die einem auf der Stelle Würde und Anmut verleihen, Eleganz und strahlende Schönheit. „Bedauerlich ist“, erklärte ich der freundlichen Inderin ,“dass man in Deutschland mit einem Sari leider nicht so gut beraten ist. Es ist einfach zu kalt.“

Das allein wäre natürlich kein Argument. Man könnte einen gefütterten Sari erfinden, einen mit Fellkapuze und wärmendem Vlies innen drinnen. Man könnte auch einfach den Indern ihren Sari lassen und warme Mäntel erfinden, die nicht deprimierend schwarz und formlos sind. So schwierig kann das doch nicht sein? Leider entwirft fast keiner wirklich winterfeste Mäntel, die zugleich anmutig, elegant und von strahlender Schönheit sind. Im Winter, der in Deutschland leider viel mehr Monate in Anspruch nimmt als in Indien, ordnet sich die Mode der Kleidung unter.

So kommt es, dass ich, seitdem ich selbst entscheide, was mir in den Schrank kommt, also ungefähr, solange ich zurückdenken kann, im Winter gefroren habe. Denn seit Jahren führe ich einen erbitterten Kampf gegen die kalte Jahreszeit, meine Waffe ist: die Mode. Ich friere in meinem hübschen Tweedjäckchen, anstatt mir eine warme, aber unförmige Daunenjacke anzuziehen. Das ganze Jahr über träume ich von Strohtaschen, geblümten Seidenkleidern, Rüschenblusen, federleichten Blousons und rosa Lederpantoletten. Ungünstig ist, dass auch ich keine Elefantenhaut habe, und geblümte Seidenkleider bei Schneesturm nicht viel ausrichten können. Ich habe immer nach einem Mantel gesucht, der so interessant und aufregend ist wie eine Rüschenbluse – nur eben in warm. Ich besitze ein sehr schönes, himmelblaues Exemplar von Tibi, das ist ästhetisch durchaus eine Sensation. Leider ist dieser Mantel aber nur unwesentlich wärmer als ein indischer Sari. Ich habe ihn letzten Winter viel getragen, das Resultat waren schmerzhafte Frostbeulen an sämtlichen Extremitäten.

Die Sache ist die: Frieren macht einfach keinen Spaß. Wer friert, ist unglücklich. Wer unglücklich ist, sieht nicht schön aus. Gut angezogen heißt, der Situation entsprechend angemessen gekleidet zu sein und sich im Einklang mit seiner Umwelt wohl zu fühlen. Nackte Beine bei Schneesturm sind deshalb genauso albern wie Wanderschuhe in der Staatsoper und Stilettos beim Waldspaziergang. Es wird Zeit, dass die Designer, denen alles Mögliche einfällt, nur nicht, wie man gemütliche Oberbekleidung von strahlender Schönheit macht, ihren Job erledigen: nämlich, uns anzuziehen.

Tatsächlich ist es eine junge Designerin von 25 Jahren, die den großen Modeschöpfern in genau diesem Punkt um eine gute Nasenlänge voraus ist: Caroline Kummelstedt. Das gleichnamige Label der schwedischen Designerin ist bisher noch ein Geheimtipp, aber das dürfte sich ändern, sobald ihre sagenhaft warmen Wollmäntel mit diesem herrlich-dramatischen Kragen, erhältlich in den schönsten Farben des Regenbogens – Olivgrün, Azurblau, Eisblau, Cremeweiß und Kamelbraun – mal unter die Leute kommen.

Ich weiß nicht, ob man auf den Bildern erkennt, wie schön warm mir in diesem Mantel ist. Aber hier in Berlin ist es schon richtig kalt, und zum ersten Mal laufe ich nicht mit eingezogenen Schultern und verschränkten Armen herum. Der große gemütliche Kragen verleiht ein unvergleichliches Tragegefühl von Anmut, Eleganz und strahlender Schönheit. Fast so schön wie ein Sari.

Mantel von Caroline Kummelstedt; Bluse von Comme des Garçons; Schleife und Handschuhe selbstgemacht; Boots von Kenzo. Fotos: Sandra Semburg

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