God created Gigi

EIN LIEBESBRIEF

Headerbild fotografiert von Sean Thomas für Vogue US

Es begann mit einem Video. Gigi Hadid im Boxring, mit wippendem Pferdeschwanz, hämmert mit präzisen Faustschlägen auf ihren Trainer Rob ein; nebenher erklärt sie, ein bisschen atemlos, die Grundlagen des Kampfsports. Am Ende umarmt sie den Boxsack. Ich schaute mir das Video siebenmal an, danach war ich verliebt in Gigi und wollte sofort mit dem Boxen anfangen.

Ich war noch nie Fan von irgendwem. In der dritten Klasse unterhielten sich die Mädchen in der Sportumkleide über die No Angels und sämtliche Kandidaten der Casting-Show „Deutschland sucht den Superstar“. Ich wusste nie, wovon die Rede war. Britney Spears kannte ich gerade noch. Aber ein Poster hätte ich mir niemals aufgehängt.

Jetzt ist es also doch passiert. Ich bin Fan. Gestern habe ich mich dabei ertappt, begeistert „Gigi!“ ins Treppenhaus zu trällern, als ich die aktuelle Ausgabe der britischen Vogue mit Gigi auf dem Cover im Briefkasten fand. Allein das fröhliche Kreischen ihres Namens – Gee-gee! – klingt ja schon nach allem, was schön und heiter und unbeschwert ist, nach amerikanischer High-School-Romantik und rosa Milkshake, nach herzförmigen Sonnenbrillen und Mini-Kleidern mit Fransen und im Sonnenuntergang auf einer kalifornischen Küstenstraße Mustang fahren und dabei Nile Rodgers hören. Da ist so ein Schwung in diesen tanzenden Silben, eine Zum-Pferde-Stehlen-Leichtigkeit, genau wie in „Whitney“ oder „Karlie“. So heißt eine von Gigis zahlreichen illustren Freundinnen, zu denen auch Kim Kardashian und Schwester Kendall, Gigis best buddy, zählen. Wie kann ich überhaupt Gigi so unglaublich cool finden, während mir die Kardashians doch allesamt spinnefeind sind?

Weil es mit dem Video anfing, muss ich dort nach dem Ursprung meiner irgendwie unerklärlichen, plötzlich erwachten Begeisterung fahnden. Gigi boxt also. Sie macht kein Bauch-Beine-Po-Training, sie macht kein Yoga, sie doziert nicht über grüne Smoothies. Sie sieht auch gar nicht zerbrechlich aus, eher athletisch, gesund, energisch. Gigi wirkt wie jemand, der was zu tun hat. Und das, obwohl sie doch stets zur Berufsgruppe der It-Girls gezählt wird.

It-Girl, was war das nochmal? Ich habe bereits vor einer Weile darüber nachgedacht, weil der Begriff immerzu so dahergebraucht wird, obwohl keiner weiß, was ein It-Girl eigentlich den ganzen Tag so macht (die Parties, auf denen es eingeladen ist, beginnen ja erst abends). Etwas machen gilt gerade in Deutschland als höchste Tugend – über das, was man macht, definiert man sich. Entsprechend misstrauisch werden hierzulande Berühmte beäugt, die nicht mindestens einen Oscar gewonnen, mal das Land regiert oder in der Neuen Nationalgalerie ausgestellt haben. So kommt es, dass jeder Roter-Teppich-Gast ohne entsprechend kultiviertes Portfolio erst mal verdächtigt wird, sich seine oder ihre Anerkennung irgendwie durch berühmte Eltern, reiche Freunde oder schamlose Verführungskünste erschlichen zu haben.

Was ich über das It-Girl herausfand, dürfte uns Deutschen deshalb gar nicht gefallen: das It-Girl ist berühmt, weil es berühmt ist. Nicht, weil es irgendwas Tolles erfunden oder geleistet, weil es im Stabhochspringen Gold gewonnen oder einen Impfstoff gegen HIV entwickelt hat. It-Girls sind eine Art glamouröser Hochstaplerinnen, Frauen, die sich dank massenverträglich gutem Aussehen und keinerlei Hemmung, in jedem sich bietenden Scheinwerferlicht zu baden, in der Öffentlichkeit unabdingbar machen. Plötzlich geht nichts mehr, ohne dass diese It-Girls dabei sind. Weil It-Girls bis auf sich selbst aber gar nichts produzieren oder beitragen, bekommt man bei ihnen schnell das Gefühl, dass sie keinen Standpunkt haben. Alles, was sie toll finden, sind sie selbst. So der Vorwurf.

Ich habe Gigi Hadid nie getroffen, ich war weder mit ihr boxen noch stabhochspringen. Ich weiß nicht, wie intelligent sie ist, ob sie sich für Bücher und Kunst und Politik interessiert, oder doch nur für Instagram und Lipgloss. Natürlich muss ich mir darüber im Klaren sein, dass die Gigi, die ich so toll finde, vielleicht gar nicht die echte Gigi ist, sondern nur eine Medienfigur. Aber das, was man bisher so mitbekommen hat von diesem Mädchen, hinterlässt irgendwie den Eindruck, dass Gigi Hadid zwar ein fleißiges Supermodel ist, aber gar kein It-Girl – und das, obwohl ihr Berufszweig für diese Bezeichnung besonders anfällig ist.

Gigi ist nicht nur eine Persönlichkeit, sie hat auch eine. Je mehr ich mich mit ihr beschäftige, je länger ich mir abends ein Youtube-Video nach dem anderen anschaue, in dem Gigi erzählt, was sie in ihrem Beauty-Täschchen mit sich herumträgt, warum sie niemals abnehmen möchte und wie sie Laufsteglaufen lernte, desto mehr habe ich das Gefühl, dass es ihr tatsächlich gar nicht so wichtig ist, allen zu gefallen und immer so perfekt wie eine eingefrorene Wachsfigur auszusehen. Ich traue ihr zu, dass sie so entspannt ist, wie sie aussieht. Nie wirkt sie aufgesetzt oder puppenhaft oder krampfhaft lustig. Stattdessen lacht Gigi auf Bildern häufig so, als würde sie gerade für ein Familienfoto, nicht für einen Klatschfotografen posieren.

Gigi Hadid ist groß, blond, gut gebräunt, häufig barbiemäßig geschminkt und spricht Westküstenamerikanisch, man könnte also sagen, sie bringt alles mit, was man braucht, um schnell und einfach berühmt zu werden. Dabei ist sie tatsächlich viel aparter, als ihr Malibu-Girl-Ruf vermuten lässt. Klassisch schön, so 08/15-mäßig hübsch wie die Mitarbeiterin im Friseursalon bei mir um die Ecke, die ich immer mit Kendall Jenner verwechsele, ist Gigi Hadid jedenfalls nicht. Sie hat ein properes Gesicht und kleine Augen, die ihre Mimik manchmal ein bisschen zerknautscht aussehen lassen, ganz so, als wäre sie gerade aus dem Bett gefallen und müsse erst mal die Augen aufkriegen. So ein Gesicht findet man nicht an jeder Tankstelle.

Gigi ist auch nicht dürr. Sie hat Beine und Brüste und einen Hintern und muskulöse Oberarme. Damit steht sie für ein neues Ideal von Schönheit; vielleicht ist es auch gar nicht neu, sondern nur wiedererwacht, schließlich waren die Supermodels der 90er Jahre auch nicht alle solche traurigen Knochengestelle mit Augenringen und dünnen Fisselhaaren, wie man sie heute immer wieder auf den Laufstegen sieht. Allerdings scheint sich die Öffentlichkeit an den Anblick 21-jähriger Greisinnen mit vor Unterernährung eingefallenen Gesichtern gewöhnt zu haben. Jedenfalls muss sich Gigi, diese mit einem göttlichen Größe-36-Körper gesegnete Gigi, immer wieder für ihre Maße rechtfertigen. Zuletzt tat sie das in aller Deutlichkeit in einem Instagram-Post, wobei die Botschaft, die sie dort veröffentlichte, eigentlich gar keine Rechtfertigung war, sondern viel mehr das Zurwehrsetzen einer Frau, die sich nicht länger für ihr Aussehen entschuldigen will.

„I represent a body image that wasn’t accepted in high-fashion before (…) Yes, I have boobs, I have abs, I have a butt, I have thighs (…) But your mean comments don’t make me want to change my body, they don’t make me want to say no to the designers that ask me to be in their shows, and they definitely don’t change the designers‘ opinions of me. I love that I can be sexy. I’m proud of it.“

Wann hat man das letzte Mal ein im Rampenlicht stehendes zwanzigjähriges Mädchen laut und hörbar etwas so Ehrliches und Reflektiertes sagen hören?

Vielleicht kann man noch gar nicht von einem Ideal sprechen, wenn man Gigis Erscheinung beschreibt, vielleicht ist es viel mehr ein mutiges Statement gegen das, was in der Modewelt immer noch als Ideal verstanden wird: zierliche Hüften, hervorstehende Becken und -Wangenknochen, kleine Brüste, streichholzdünne Oberärmchen. Millionen Mädchen und junge Frauen verzweifeln heute an dem Versuch, wie elfengleiche Fliegengewichte durch die Gegend zu schweben. Sie wollen zerbrechlich aussehen, wie ätherische Porzellanfiguren, die jeden Moment der Wind umpusten könnte.

Und dann erscheint Gigi Hadid auf der Bildfläche und plötzlich wird einem klar, dass es keine Elfe auf der Welt mit der Kraft und Stärke und temperamentvollen Lebendigkeit einer Frau mit gesundem Appetit aufnehmen kann. Es ist das gleiche Gefühl, das einen überkommt, wenn man in dem Film „Youth“ von Paolo Sorrentino sitzt und einer vollbusigen, vollhinterigen, vollhüftigen, honigbraunen, satt und glücklich aussehenden Frau beim Planschen im Swimming Pool zuschaut. Ein Anblick, bei dem ich sofort in einen Burger beißen möchte, ein Anblick, der mich selbst gut fühlen lässt, weil ich weiß, dass ich mit meinem properen Hintern und meinen muskulösen Oberschenkeln nicht so anders aussehe als diese wunderschöne Frau.

Auch Gigi Hadid beißt, wie in der Vogue nachzulesen ist, gerne mal in einen Burger.“The biggest problem in life is that the burger always ends“, lautet ihre nicht ganz ernst gemeinte Lebensweisheit, und es ist irgendwie angenehm, von so einer Frau zu lesen, die einmal nicht von ihrem liebsten Grünkohlsalatrezept schwärmt und davon, wie sich ihr Wohlbefinden verbessert hat, seitdem sie auf weißen Zucker und böse Kuhmilch und überhaupt alles, was im Leben Spaß macht, verzichtet. Gigi Hadid sieht aus wie jemand, der eine Menge Spaß hat. Das macht sie in Zeiten wie diesen, in denen alles Spaßbefreite, das Abnehmen und Auf-Kohlenhydrate-Verzichten, das Vegan-Essen und Bioweinschorletrinken und Sonntagmorgens-zum-Pilates-Rennen, so schick geworden ist, wahrlich zu einer Inspiration.