Kann man Mode sammeln?

SO WIE ANDERE LEUTE BRIEFMARKEN SAMMELN?

originalIch habe neulich so im Kopf überschlagen, wie viel Geld ich in diesem Jahr wohl für Kleidung ausgegeben habe. Beim Monat Mai hörte ich auf zu rechnen, denn schon das Halbjahresergebnis war, gelinde gesagt, verstörend. Andererseits finde ich, dass ich mich eigentlich gar nicht rechtfertigen muss. Andere Leute rauchen und könnten sich von ihren jährlichen Ausgaben für den Tod auf Raten einen zweiwöchigen Urlaub oder Kleinwagen leisten. Ich kaufe mir Schönheit aus Zwirnen, und noch dazu gar nicht viel davon, nur eben Hochpreisiges. Andere Leute gehen jeden Tag zu Zara und kaufen sich irgendeinen von kambodschanischen Minderjährigen aus 100% Polyester zusammengenähten Schund. Hach, wenn man einmal damit anfängt, anderen die Schuld zu geben, geht es einem doch gleich viel besser.

Zumal ich nach der furchterregenden Rechensumme meiner Ausgaben auch beim Zusammenzählen dessen, was ich in diesem Jahr alles nicht gekauft habe, auf ein ganz stattliches Ergebnis kam. Ich hätte mir zum Beispiel gerne diese Bluse von Miu Miu gekauft, aber stattdessen habe ich sie selbst genäht. Und im August war ich in einem Vintage-Geschäft in Charlottenburg, da gab es eine fantastische rosa-blau gemusterte Schlaghose von Emilio Pucci im Angebot, ein Original aus den Siebzigern. Alles stimmte: die Farben, das Muster, der Schnitt, der schwule Verkäufer. „Geil, dein Arsch“, sagte er anerkennend, als ich in der rosa Hose durch den Laden schritt und mich fühlte wie Bianca Jagger auf einer Poolparty in Aspen, anno 1976.

Bis heute denke ich an diese rosa Pucci-Hose, denn gekauft habe ich sie nicht. Es ist ja auch ganz schön, gelegentlich mal von Sachen zu träumen, anstatt sie zu besitzen. Aber diese Hose, ein Klassiker vergangenen Glamours, ein stoffgewordener Traum bourgeoiser Bohème, die hätte ich schon gern in meinem Schrank gewusst, und das, obwohl sie total unbequem und unpraktisch war, eine Stehhose, unmöglich, darin zu sitzen, und keinen Krümel hätte ich darin essen dürfen, geschweige denn Luft holen. Aber warum, fragte ich mich, als ich ohne Hose den Laden verließ, kauft man Kleidung eigentlich immer nur zum Anziehen? Warum betrachten wir ein tolles Kleid oder eine wilde Hose nicht als Sammlerstück? Kann man Mode sammeln?tumblr_mtyi972gSD1qafi93o1_1280[1]Jede Modesaison bringt Stücke hervor, bei deren Anblick man glaubt, keine Sekunde länger ohne sie wird leben (ok, das ist jetzt übertrieben), auf jeden Fall keine Nacht mehr ohne sie wird ruhig schlafen können – und das, obwohl man ja insgeheim genau weiß, dass man es bis jetzt auch irgendwie geschafft hat. Aber, bis hierhin und nicht weiter! Das Problem ist, dass man bei der Mode, die sich mittlerweile alle drei Monate ändert, ja immer das Gefühl hat, dass einem alles vor der Nase weggeschnappt wird, wenn man nicht jetzt sofort zuschlägt. Diese Hysterie, mit der wir immer nach allem verlangen, was nur um jeden Preis neu ist, diese bulimische Art des Kleiderkonsums ist genau das, was der als verschwenderisch, dumm und eitel gebrandmarkten Modewelt immer wieder vorgehalten wird.

Aber Kleider verschlingen und anschließend auskotzen, das will ich gar nicht. Ich will in fünfzig Jahren ein gigantisches Archiv von Kleidern, Schuhen und Accessoires besitzen, in dem jedes Stück eine Geschichte und Referenz hat. Ich möchte einmal ein Dior-Kleid von Raf Simons besitzen, weil es mich auf ewig an die Ära erinnern wird, in der Simons die Eleganz neu entwarf und Weiblichkeit plötzlich emanzipiert aussah – eben so, wie ein Kunstsammler ein Gemälde von Willem de Kooning besitzen möchte, weil de Kooning mit seinen grotesken Darstellungen von Frauen eine neue Auffassung dessen, was wir als sinnlich bezeichnen, erfand.charlotte-olympia-astrid-ankle-strap-pump-stars-[1]Vor zwei Jahren habe ich mir meine ersten Designer-High-Heels gekauft, ein Paar nachtblauer Pumps mit Sternen und Mondsichel von Charlotte Olympia. In der Second-Hand-Boutique meines Vertrauens gab es nur exakt ein Paar dieser Schuhe, in exakt meiner Größe. Die High Heels waren ungetragen, der Preis um 50 Prozent heruntergesetzt. Meine Mutter sagte: „Wann willst du die anziehen?“ Ich sagte: „Ich kaufe sie.“ Die Kombination aus überirdischer Schönheit, einzigartiger Extravaganz, Charlotte Olympia, ungetragen, letztes Paar, meine Größe, 50 % reduziert, war einfach zu viel. Ich musste sie haben.

Heute, zwei Jahre später, sind die Schuhe von ein paar Schrammen gezeichnet, die Absätze wurden einmal erneuert, und so oft habe ich sie tatsächlich nicht getragen. Aber satt gesehen habe ich mich an ihnen nie. Wir sind verliebt wie am ersten Tag. Sie thronen ganz oben auf meinem Schuhregal, und manchmal, zu guten Anlässen, in Momenten, in denen ich mich stark und furchtlos fühle, oder einfach dann, wenn ich eine alte Jeans und ein T-Shirt trage und ein Accessoire brauche, das aus jedem Kartoffelsack im Handumdrehen eine Oscarrobe zu machen weiß, hole ich sie von ihrem Ehrenplatz herunter und ziehe sie an. Es ist immer wieder ein besonderes Erlebnis, auf diesen Schuhen zu laufen. Es ist aber auch einfach schön, zu wissen, dass sie mir gehören. Meine Großeltern sammeln chinesische Vasen, ohne jemals Blumen hineinzutun. Ich sammle extravagante Kleider und Schuhe von hohem Seltenheitswert, von denen ich schon beim Kauf weiß, dass ich sie selten, vielleicht nicht öfter als fünf Mal tragen werde. Ist das verrückt?

Kleidung gilt als Gebrauchsgegenstand, als etwas, das sich abnutzt und dann ersetzt werden muss. Aber  wer kauft schon Mode, weil er sie braucht? Mode ist nicht gebräuchlich, Mode ist angewandte Kunst, Verzauberung zum Anziehen. Genau das macht sie zum perfekten Sammlerhobby. Natürlich geht es hier nicht um „Basics“, also warme Pullover, dicke Jacken, lange Unterhosen und Turnschuhe. Es geht um die Stücke, deren Kauf nichts auf der Welt rechtfertigen kann – nichts, nur ihr ikonischer Sammlerwert. Kleider, die auch gerade deshalb immer etwas Besonderes bleiben werden, weil man sie so selten trägt.

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Headerbild und Bilder unten: The Coveteur