Mein Freund, der Schweinehund

ER MEINT ES DOCH NUR GUT MIT UNS

10895262_275883435868733_668217652_n

Man würde ja gerne anfangen, früher aufzustehen. Die Manager im Silicon Valley machen das auch so. Um 4 Uhr 30 klingelt der Wecker, bis 5 Uhr 30 wird trainiert, um 6 Uhr sitzt man am Schreibtisch. Wenn man das so liest, klingt es gar nicht anstrengend. Wer freiwillig mitten in der Nacht ins Fitnessstudio geht, dem muss das wirklich Spaß machen, der muss hellwach, ja geradezu zappelig sein, wenn um halb fünf der Wecker läutet. Was man freiwillig tut, ist nicht anstrengend.

Um 7 Uhr 30 hat der kalifornische Manager dann schon ein Ayurveda-Frühstück, 100 Liegestütze, 4000 Emails und eine Telefonkonferenz mit Singapur hinter sich, nur man selbst liegt immer noch im Bett und drückt seit einer Stunde auf die Snooze-Taste, dabei hatte man sich gestern Abend fest vorgenommen, heute morgen um 6 Uhr 30 aufzustehen und 10 Kilometer joggen zu gehen. Es sollte der Anfang einer vielversprechenden Frühaufsteher-Karriere werden. Leider wurde daraus nichts, denn erstens ging man viel zu spät ins Bett, weil man einer dritten Folge Homeland mal wieder nicht widerstehen konnte. Zweitens regnet es, weshalb es draußen nicht einfach nur dunkel, sondern stockfinster ist. Und drittens hat sich jetzt der Schweinehund eingeschaltet. „Wenn ich du wäre“, sagt der Schweinhund ,“würde ich mich jetzt schnell auf die andere Seite drehen und weiterschlummern.“ – „Wer fragt dich denn“, würde man darauf gerne antworten, die Bettdecke zurückschlagen, aufspringen, die Fäuste recken und „Ha!“ rufen. Aber leider ist man da schon wieder eingeschlafen. Der Schweinehund macht seinen Job wirklich gut.

In allen Lebenslagen macht er einem einen Strich durch die Rechnung. Man wollte endlich anfangen, den Frühsport zur Tradition zu machen. Man wollte ab jetzt jeden Tag 10 Liegestütze machen, so zwischendurch. Man wollte ein Marmeladenbrot weniger frühstücken. Man wollte aufhören, Kleider zu kaufen, und stattdessen anfangen, seine Wohnung einzurichten. Man wollte jeden Sonntag seine Großmutter anrufen, alle seine Emails immer sofort beantworten, jeden Tag fünf neue Arabisch-Vokabeln lernen, früher ins Bett gehen, früher aufstehen, weniger Serien schauen, dafür endlich den „Zauberberg“ lesen. Man hatte lauter Sachen vor, die das Gewissen reiner und damit bestimmt auch das Leben schöner machen sollten. Und dann kam der Schweinehund und es gab doch wieder Pizza zum Abendbrot.

Wieso klagen eigentlich immer alle über ihren Schweinehund, über die Schwierigkeit, ihn zu überlisten und zu überwinden? Wieso hat man überhaupt einen Schweinehund? Vielleicht hat man ihn sich irgendwann angeschafft, weil in dieser Gesellschaft fast alle Leute einen Schweinehund haben. Wahrscheinlicher ist, dass er einem einfach zugelaufen ist. Man las von Managern, die um 5 Uhr Sport machen, man dachte, das müsste man auch mal machen, um es endlich zu etwas zu bringen in seinem Leben. Und schon war er da, der Schweinehund, und man lag frühmorgens im Bett und kämpfte schwer mit diesem Untier. Das war vorher nicht so. Vorher stand man immer um 8 Uhr auf, aß ein Nutellabrot, fuhr mit dem Fahrrad zur Arbeit und war quietschfidel.

Ich habe mal mit meiner guten Freundin J. zusammen gewohnt. J. ernährte sich immer wahnsinnig gesund, aß Karotten mit Hüttenkäse und solche Sachen. Bis ich J. traf, war es für mich normal, abends drei Käsebrote zu essen. Aber je länger ich J. beim Karottenessen zuzuschaute, desto häufiger meldete sich der Schweinehund. Er wollte sich balgen und sich über mich amüsieren, wenn ich gegen ihn verlor. Er fing an, mich zu nerven. Um ihn loszuwerden, fing ich an, mehr Karotten zu essen. Aber das machte alles nur noch schlimmer. Jedes Mal, wenn ich doch schwach wurde und in ein Käsebrot biss, feixte der Schweinehund.

Ständig ärgern wir uns über die Dinge, die wir immer noch nicht angefangen (früh aufstehen), immer noch nicht aufgegeben (zu viele Käsebrote essen) und immer noch nicht erledigt haben (Großmutter anrufen). Das Problem ist, dass wir all diese Dinge eigentlich gar nicht richtig wollen. Bei Sachen, die man wirklich will,  hält sich der Schweinehund raus. Nur wenn es um Dinge geht, von denen man glaubt, es wäre besser, wenn man sie täte, legt er uns einen Stein nach dem anderen in den Weg. Klar, man kommt im Leben nicht voran, wenn man immer nur das macht, was man am liebsten tut. Hin und wieder muss man sich zu etwas zwingen. Mittlerweile arbeiten wir uns aber in so vielen Lebenslagen unermüdlich an der Selbstoptimierung ab, dass wir dabei übersehen, was wir tatsächlich alles schon geschafft haben. Ich bin heute morgen liegen geblieben, obwohl ich mir vorgenommen hatte, laufen zu gehen. Ich hatte keine Lust, ich war müde, draußen war es dunkel und nass. Ich kämpfte kurz mit meinem Schweinehund, dann befand ich, dass es total okay ist, auch mal liegen zu bleiben. Ich habe so schon genug zu tun.

Das Leben wäre einfacher, wenn wir unseren Schweinehund vor die Tür setzen oder, noch besser, uns mit ihm anfreunden würden. Es bliebe uns eine Menge Anstrengung erspart. Die Prokastination, im Volksmund Aufschieberitis genannt, gilt als Untat. Deshalb fühlt man sich jedes Mal schlecht, wenn man ihr unterlegen ist. Warum nur? Niemand ist perfekt. Man vergeudet viel zu viel Zeit damit, sich immer wieder darüber zu ärgern. Zeit, die man mit der ungemein sinnvollen Tätigkeit des Nichtstuns verbringen könnte.