Modedesigner sind uns in vielem voraus. Sie wissen jetzt schon, was wir übernächstes Jahr anziehen wollen. Sie erkennen in einfachen Gören legendäre Musen. Und auf unser ständiges Verlangen nach dem Allerneuesten antworten sie in philosophischen Rätseln, die wir erst Jahre später entschlüsseln werden.“Madam, I never have new ideas“, soll Cristóbal Balenciaga einmal auf die Frage einer Journalistin geantwortet haben.
Jetzt scheint es, als hätten die Modedesigner, uns normalsterblichen Büroarbeitnehmern wie immer um drei Nasenlängen voraus, auch noch die Wurzel allen weltlichen Übels erkannt. Es ist die Arbeit. Wozu eigentlich die ganze Arbeiterei? Wir alle arbeiten zu viel, und am Ende wundern wir uns, warum wir so dick und unsportlich geworden sind und machen die armen Kohlenhydrate dafür verantwortlich. Dabei ist die Arbeit Schuld, dieses ständige Müssen und Hetzen und Beim-Chef-Einschleimen und Sich-vor-dem-Versagen-Fürchten. Wir arbeiten, weil es alle so machen und weil die Abstiegsangst bei den meisten von uns noch stärker ist als die Faulheit.
Dabei ist der Sinn des Lebens eben nicht am Schreibtisch zu finden, sondern in der Freizeit. Die meisten Leute verdrängen diese Tatsache, bis sie sich in ihrem zweiwöchigen Sommerurlaub in der Hängematte auf Sardinien wiederfinden und sich fragen, warum sie eigentlich nicht das ganze Jahr in der Hängematte liegen.
Wie es sich für echte Trendsetter gehört, machen die Modedesigner nun einstimmig Schluss mit Arbeit. Wohin man schaut, überall wird gekündigt: Raf Simons, der alte Visionär, erkannte bereits im Oktober die Freuden der Freizeit und verabschiedete sich von Dior. Kurze Zeit später verließ Alber Elbaz Lanvin. Stefano Pilati hat sich Anfang Februar von Ermenegildo Zegna getrennt, und Brendan Mullane machte Schluss mit Brioni.
Es ist ein wahrer Exodus aus dem Arbeitsleben, der sich da gerade vollzieht, jeden Tag wartet man gespannt darauf, wer wohl als Nächstes geht: Phoebe Philo vielleicht? Hedi Slimane? Karl Lagerfeld?Interessant ist, was die Designer auf die Frage nach dem Grund ihrer Kündigung antworten: „It is a decision based entirely on my desire to focus on other interests in my life“ (Simons); „I now wish to focus on other projects“ (Pilati). Projekte, klar. Auch hier in Berlin machen alle Projekte, was in der Praxis heißt, den Tag im Café zu verbringen, Soja Latte zu trinken und geschäftig auf seinen Laptop zu starren. Tatsächlich sind diese Leute, glaube ich, nichts weiter als hauptberufliche Gestalter des Projekts „Freizeit“. Aber wieso auch nicht?
Wer Freizeit hat, kann Hobbies ausüben. Wann hatte man das letzte Mal ein Hobby? Wahrscheinlich in der 5. Klasse: Tennis, Klavier, Freunde treffen, malen. Dann machte man Abitur und plötzlich wurde von einem erwartet, leistungsfähiges Mitglied der Gesellschaft zu werden. Wenn ich heute in einem Freundschaftsalbum meine Hobbies niederschreiben müsste, fiele mir nichts ein. Ich habe keine Hobbies, denn ich arbeite den ganzen Tag. Manchmal renne ich morgens in unmenschlicher Frühe durch den Park, und im Urlaub kann es vorkommen, dass ich zwei Bücher lese und ein paar Fotos schieße. Aber von echten Hobbies kann ich nur träumen – so wie Raf Simons kurz vor seiner Kündigung, als er im Interview mit Cathy Horyn darüber nachdachte, wie es wohl wäre, seine Tage in einem Bauernhaus zu verbringen und Salatschüsseln zu töpfern.
Freizeit heißt ja auch nicht, gar nichts tun zu wollen. Langeweile kann einen in den Wahnsinn treiben. Perfekt ist deshalb eine Beschäftigung, der man mit viel Freude, aber ohne Zeit- und Leistungsdruck nachgeht. Man kann dabei ein bisschen Geld verdienen, wichtig ist aber, dass niemals Routine aufkommt. Das Hauptprojekt bin Ich: Wonach ist mir heute, worauf habe ich Lust? Man hat zu tun, ohne zu tun haben zu müssen.
Die Frage ist bloß: was tun?
Bei Raf Simons, der als hochkonditionierter Modeschöpfer mit seinen zwei Männerkollektionen pro Jahr gar nicht ausgelastet sein kann, ist die Antwort klar. Ein allgemeines Interesse an der Töpferei hat er bereits geäußert. Allerdings ist es wichtig, dass Simons bei diesem Hobby alle Möglichkeiten zur kreativen Entfaltung offen stehen. Es muss auch mal wild, provokativ und absolut unverkäuflich zugehen dürfen. Nicht, dass er wieder zu weinen anfängt, alles hinschmeißt und als nächstes vielleicht Landschaftsgärtner werden will. Simons töpfert also keine Teetassen, sondern abstrakte Figuren, was auch seiner Leidenschaft für zeitgenössische Kunst gerecht werden dürfte. Zu seinem neuen Hobby lässt er sich einen passenden Rauschebart stehen.
Die Gedanken des Künstlers sind unergründlich. Als Stefano Pilati bei der ZEITmagazin Modekonferenz im Januar schon etwas benebelt im Sessel hing, glaubte das Publikum noch, es mit einem glücklichen, allenfalls erschöpften Arbeitnehmer zu tun zu haben. Dabei war Pilati in Gedanken längst woanders: bei seinem Olivenhain. Einen Olivenhain zu bewirtschaften verlangt keine Eile, man hat, anders als in der Modewelt, ein ganzes Jahr Zeit bis zur Ernte der Früchte seiner Arbeit. Stefano Pilati, der in Berlin wohnt, unterhält seinen Olivenhain am Tempelhofer Feld, von wo es ja auch nicht weit ist zu einem anderen Hain, nämlich dem Berghain. Das einzig Blöde ist, dass man aus einem Olivenhain bis auf Olivenöl keine aufregenden Substanzen gewinnen kann. Deshalb bewirtschaftet Pilati nebenher noch eine Haschisch-Farm und ein Mohnblumenbeet hinterm Wohnzimmersofa.
„Fashion is like life. It needs fear and uncertainty if you are to move forward“, hat Alber Elbaz einmal gesagt. Man sieht: Lanvin hat einen großen Philosophen vor die Tür gesetzt. Glück für Elbaz, der seine Tage jetzt mit der Moderation einer philosophischen Talk-Show verbringt, in der auch gekocht wird, schließlich pflegt Elbaz ein leidenschaftliches Interesse für Kulinarisches (“If it’s not edible, it’s not food. If it’s not wearable, it’s not fashion”). In dieser Talk-Show diskutiert Elbaz mit den Kardashians über den Unterschied zwischen Sexyness und Erotik (“A sheer top with a revealing décolleté, that’s sexy. But when you’re wearing something that’s all covered up, save for an open back, that’s erotic”). Dazu gibt es Pizza (“When I have the day off, I’m watching the Kardashians and I’m eating pizza and I’m having the time of my life!”). Im Großen und Ganzen ist Alber Elbaz froh, nach seinem Weggang aus der Modewelt nicht mehr den ganzen Tag von Menschen umgeben sein zu müssen, die jede Form von Nahrungsaufnahme für eine Todsünde halten.
Seit seinem Rückzug aus der Modewelt beschäftigt sich der Modeschöpfer Paco Rabanne vermehrt mit esoterischen Theorien wie Weltuntergang und Apokalypse. Rabanne, der über die seltene Fähigkeit des Wahrsagens verfügt, prophezeite schon den Absturz der sowjetischen Raumstation Mir auf Paris im Jahr 1999. Eine Vision der Zukunft soll er bereits im Alter von sieben Jahren gehabt haben. Hedi Slimane, der sich Gerüchten zufolge in nächster Zeit von Saint Laurent verabschieden wird, wäre für esoterische Denkweisen sicherlich ebenfalls zu begeistern, wobei sein Interesse eher der Vergangenheit als der Zukunft gilt. Nach seinem Abgang widmet sich Slimane deshalb verstärkt dem Bau einer Zeitmaschine, mit der sich problemlos zurück in die 70er Jahre reisen lässt, dem laut Slimane einzig lebenswerten Zeitalter der Menschheit.
Schon in ihrer Kollektion für den Sommer 2014 bewies Phoebe Philo ein Händchen für den schwungvollen Pinselstrich. Nach ihrer angeblich kurz bevorstehenden Kündigung beim Modehaus Céline (Paco Rabanne weiß da sicher mehr) wird sich Philo daher wohl verstärkt ihrem lange vernachlässigten Hobby widmen: der Aquarellmalerei. Dafür unterhält sie ein Atelier mit anderen starken, selbstbewussten Frauen, die sich nie für Männer, sondern einzig zur Steigerung des eigenen Wohlbefinden anziehen. Mit ihren neuen Freundinnen trifft sich Phoebe auch zum Stricken, zum Buchclub und zu Feldenkrais-Übungen am See.