Seit bald vier Jahren wohne ich in Berlin, der Partymetropole Europas, aber erst jetzt habe ich den perfekten Club entdeckt. Ich hatte es ja schon fast aufgegeben, nach all den Experimenten. Ich war schon im „Salon zur Wilden Renate“ mit seinen vielen kleinen verrotteten Zimmern, in denen die Wucht der Technobässe den Putz von der Wand bröckeln lässt und man in jedem Raum eine andere Droge ausprobieren kann. Im „Kater Holzig“, in das ich nur einmal reinkam, meine Freunde aber nicht. Im „Humboldthain“, in dem ich eine Vorschau auf das Leben in der Unterwelt bekam. Und in einer Reihe weiterer schummriger, nach Qualm, Urin und Alkohol stinkender Löcher und Höhlen in und um Berlin, von denen man mir als Orte größter Vergnügung vorgeschwärmt hatte, Orte, die ich als anderer Mensch verlassen würde. Aber weder hier noch anderswo wurde mir der Reiz des Nachtlebens jemals wirklich verständlich. Sogar im New Yorker Club „The Box“, von dessen Sagen und Legenden ich schon diesseits des Atlantiks gehört hatte, langweilte ich mich. Der dort zelebrierte Exzess, mit den reservierten Champagnerflaschen in Sektkühlern und der transsexuellen Varieté-Tänzerin, die auf der Bühne in ihre Handtasche kackte, erschien mir merkwürdig flach und inszeniert.
Ich hätte früher darauf kommen können, dass man den perfekten Club nicht in einem Reiseführer findet. Überhaupt hätte ich früher auf diesen perfekten Club kommen können, aber gut, wäre ja auch langweilig, wenn man alle wichtigen Lebensweisheiten schon in der Pubertät lernen würde.
Das Wichtigste vorab: In dem perfekten Club, von dem ich heute erzählen will, kann man anziehen, was man will. Man kann in Turnschuhen und 501-Jeans auftauchen, so wie das in Berlin alle machen. Man kann gar nichts anziehen, auch das ist in Berlin ja nicht ungewöhnlich. Man kann aber auch im Ballkleid, mit Küchenschürze, in Unterwäsche oder im Pyjama kommen. Man kann sehr hohe Schuhe anziehen, denn es ist nicht weit zu diesem Club, tatsächlich nur ein paar Schritte. Und weil auf dem Boden dieses Clubs nie Scherben liegen oder Mojito-Spritzer kleben, kann man sogar ohne Schuhe kommen. Wenn ich in diesen Club gehe, mache ich das meistens so.
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An der Tür dieses Clubs steht kein dämlicher Türsteher, der kaum bis 3 zählen kann, mir aber weiszumachen versucht, er sei was Besseres als ich. Es gibt auch keine fünfzig Meter lange Schlange, in der ich den Witzen räudiger Männergruppen oder dem hysterischen Gegacker englischer Touristinnen lauschen muss, die sich nach der ersten Proseccoflasche dankbar der Illusion hingeben, Männer fänden hysterisches Gegacker unwiderstehlich.
Das Beste an diesem perfekten Club ist, dass hier, anders als anderswo, tatsächlich noch getanzt wird. Man kommt tatsächlich nur zum Tanzen her. Und zum Musikhören. Es gibt keinen bedeutungsschweren, inhaltslosen Smalltalk mit gut aussehenden, in Unsicherheit und Anerkennungsbedürfnis schwimmenden Arschlöchern zu absolvieren. Man trifft hier keine entfernten Bekannten, die man schon auf Instagram anstrengend genug findet und die einem hier jetzt Küsschen-Küsschen geben wollen und tierisch gut gelaunt „Alles gut?“ fragen. Nein, all diese Leute, die unsicheren Schönlinge und die quietschenden Wannabe-It-Girls, die mussten draußen bleiben.<iframe width="600" height="337" src="https://www.youtube.com/embed/DaCypql75CQ?rel=0" frameborder="0" allowfullscreen></iframe>
Stattdessen hat in diesem Club, und das ist nun wirklich bahnbrechend, jeder Gast seine eigene Tanzfläche. Man braucht sich nicht zu fürchten, gegen schwitzende Rücken geschubst zu werden oder sich unter der triefenden Achselhöhle eines Zweimetermannes wieder zu finden. Man kann gefahrlos mit den Armen rudern, in alle Richtungen treten, hüpfen, springen, mit dem Po wackeln und ausgiebig den hocherotischen Dance-Move aus Nicky Minajs neuem Video üben. Man kann Luftgitarre spielen, sich auf den Boden oder auf andere Oberflächen werfen, man kann laut und deutlich zum Justin-Bieber-Radiohit mitsingen, denn in diesem Club interessiert es keinen, von welchen peinlichen Songs du jede Zeile auswendig kennst.
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Überhaupt: die Musik! In diesem Club spielt der DJ immer genau das, was du hören willst. Und er legt sich nie auf einen Stil fest. Er spielt alte Foo-Fighter-Hits und „Human“ von den Killers, er spielt den Soundtrack aus „Ziemlich beste Freunde“ und aus „Fame“, „Woohoo“ von H.O.S.H., „How deep is your love“ von den Bee Gees, „I’ll be there“ von CHIC und „Jump“ von den Pointer Sisters, „I’m Every Woman“ von Whitney Houston und „Vogue“ von Madonna.<iframe width="600" height="337" src="https://www.youtube.com/embed/zcgxBHBsl-4?rel=0" frameborder="0" allowfullscreen></iframe>
Man braucht in diesem Club keinen Alkohol zu trinken, um Spaß zu haben. Der Club hat immer geöffnet, und die Party ist beendet, wenn du nach Hause gehst. So hast du nie das Gefühl, noch was ganz Tolles zu verpassen. Wenn du müde bist, musst du in keine überfüllte S-Bahn steigen oder in einen Nachtbus, der an jeder Gießkanne hält. Das Bett, von dem du dir in all den enttäuschenden Partynächten so oft gewünscht hast, es möge jetzt bitte sofort hier auf der Tanzfläche auftauchen, damit du dich hineinlegen und darin nach Hause fahren kannst – dieses Bett gibt es hier. Es steht vor dir. Der perfekte Club ist nämlich deine Wohnung.
Fast alle berühmten Schauspieler waren schon in diesem Club. Man konnte ihnen dabei zu sehen, wie viel Spaß sie dort hatten, oh, so unglaublich viel Spaß. Hugh Grant in Love Actually zum Beispiel. Tom Cruise in Risky Business. „Baby“ in Dirty Dancing. Als ich noch verloren in der „Wilden Renate“ herumstand und mich von schwitzenden Drogenopfern anrempeln ließ, wussten sie schon: Am besten tanzt es sich auf dem heimischen Wohnzimmersofa.
Und jetzt: Ein paar Musikvorschläge für rauschende Partynächte im Wohnzimmerclub. Dance like nobody’s watching! Because nobody does!