Die besten Modefilme der Saison

OHRRINGE LERNEN TANZEN, UND IN DER WÜSTE ISST MAN TORTE

portfolio-08.nocrop.w840.h1330.2xMan muss viele schlechte Modefilme sehen, um irgendwann zu wissen, was einen guten Modefilm ausmacht. Das ist ja bekanntlich mit vielen Dingen so. Erst wer fünf schlechte, zwei durchwachsene und ein großartiges Rührei gegessen hat, kann sagen, worin das Geheimnis des Rühreis besteht. Und was ein wirklich guter Hackenschuh ist, weiß ich auch erst, seitdem ich einmal den ganzen Tag auf Elfzentimeterstiefeln von H&M herumlaufen musste. Das war nicht schön, aber eine gute Lehre. So, jetzt zurück zu den Modefilmen.

Die zu erwähnen hat hier auf C’est Clairette ja mittlerweile Tradition. Und ja, die meisten Modefilme sind, wie die dazugehörigen Modekampagnen in den Zeitschriften, kommerzorientierte Werbung. Na und? Für mich sind die Modeanzeigen in der Vogue ein ästhetischer Höhepunkt und zugleich eine Wissenschaft für sich. Bei Modefilmen ist es ähnlich. Sie werden gemacht, um Produkte eines Modehauses in möglichst begehrenswerter Form in Szene zu setzen. Aber wie wird dieses Begehren erzeugt? Was spricht uns in diesen Bildern an? Warum will ich, sobald ich die Bewegtbildanzeige von Louis Vuitton sehe, plötzlich nicht mehr Clairette sein, sondern die Frau da in diesem Traum von einem Volant-Oberteil? Und woher kommt das plötzliche Bedürfnis, das Mädchen in dem bedruckten Kleid zu sein, dass irgendwo im Nirgendwo in der Wüste in einem Campingwagen hockt und Torte bäckt – so wie im neuesten Modefilm von Kenzo zu sehen?

Interessant ist, mit welch unterschiedlichen Mitteln die Modehäuser diese Verwandlungslust bei mir auszulösen versuchen. Was auch im 21. Jahrhundert trotz flächendeckender weiblicher Beschäftigung immer noch effektiv scheint, ist die Darstellung offensichtlich zu Tode gelangweilter junger Frauen, die den ganzen Tag mit glasigem Blick in der Wohnung herumspazieren, am Fenster lehnen oder auf dem Sofa liegend den Schmetterlingen nachschauen. Nichts auf der Welt kann ihnen Leben einhauchen – außer der Anblick einer neuen Handtasche. Schlimm ist es bei Prada, die einen der schlechtesten Modefilme der Saison abgeliefert haben. Wie Puppen sitzen da drei Damen in einem Salon und ergötzen sich an den Pailletten an ihrem Rockzipfel. Dabei drehen sie in Zeitlupe ihre Köpfe und schauen sehnsüchtig an die Zimmerdecke: „Wann kommt er endlich?“. Im Hintergrund tickt ein Metronom, dazu ertönt dramatische Musik, die mich an das Computerspiel „Opera Fatal“ erinnert, das ich als Kind immer gespielt habe. Bei diesem Spiel ist man nachts allein in einem Opernhaus und muss die geklauten Notenblätter finden. Wenn man in den sehr gruseligen Keller geht, ertönt eine ganz ähnliche Musik wie in Pradas Modefilm.

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Allerdings sind es gar nicht die Umsetzung, die Musik, die Auswahl der Models, des Settings oder gar der Kleider, die mich an diesem Film stören – sondern die Reglosigkeit der Frauen. In diesem Plot haben sie mal wieder nur die Rolle des passiven Kleiderständers abbekommen. Dabei wirken sie leider ziemlich nichtsnutzig. Ich kann nicht verstehen, wie man Frauen im Jahr 2016 so inszenieren kann.

Diese Feststellung macht aber auch deutlich, worin die Kraft eines zeitgemäßen Modefilms besteht. In einem Film wie „Snow Bird“ von Kenzo etwa sehen wir eine aktive Frau, eine, die etwas macht –und es hat nichts mit Einkaufen zu tun. So ist das in einem guten Modefilm: die Mode ist darin eine mal mehr, mal weniger präsente Requisite. Sie ist nicht Mittelpunkt des Geschehens, sondern wurde nur geschickt darin untergebracht und unterstreicht allenfalls die Attitüde der Darstellerinnen.

Der Schauplatz von „Snow Bird“ ist eine Wohnwagensiedlung in einem amerikanischen Wüstengebiet. Die Protagonistin bäckt Torte in ihrem Trailer und zieht damit durch die Nachbarschaft, jeder bekommt ein Stück – aber keinem scheint aufzufallen, dass sie heute Geburtstag hat. „Do you know the day today?“ fragt sie einen alten Knacker mit Cowboyhut. „Time doesn’t exist out here“, antwortet er. Zwei alte Schwestern schauen lieber Kinderfernsehen, anstatt sich mit dem Gast zu unterhalten. Und ein anderer bemerkt: „Sometimes it’s great to have cake for no reason at all.“

Die Kombination aus staubiger Wüste, den von Eintönigkeit gelähmten Camp-Bewohnern, dem intensiv orangefarbenen Licht und mitten drin diesem Mädchen in dem weißen T-Shirt zum bodenlangen Rock und darüber gezogenem Flatterkleid, das trotzig mit seiner geblümten Kuchenbox durch die Gegend zieht und die Zeit endlich wieder in Bewegung zu setzen versucht, ist großartig gelungen. In „Snow Bird“ verbinden sich Fantasie und Surrealität mit dem ziemlich realistischen Bedürfnis nach einem Ausbruch aus der Routine. Und sind das nicht alles auch Themen der Mode?
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Der neue Modefilm des New Yorker Kaufhauses Barneys sorgt nicht unbedingt für ein Instantsehnsuchtsgefühl nach einer neuen Handtasche. Nein, viel mehr als das – natürlich will man nach diesem Film nirgendwo anders hin als nach New York. Ja, schon wieder. Mir bleibt das Herz stehen vor Heimweh, wenn ich die von Bruce Weber aufgenommenen Bilder sehe, die U-Bahnbrücken, die schmiedeeisernen Feuerleitern, die geschäftig über den Broadway eilenden Menschen, das Hochzeitspaar, das plötzlich mitten auf dem Zebrastreifen knutscht. Es ist kein glamouröses Sex-and-the-City-New-York, das hier gezeigt wird, sondern das echte, schmutzige, nach verbrannter Pretzel stinkende New York. Das, wovon man träumt, wenn man von New York träumt. Und das, wo Barneys ist.
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Auch die feschen Zwirne in Barneys‘ zweitem, New York gewidmeten Film „Our Town“ kann man meines Wissens nach nicht bei Barneys kaufen – oder doch? So unkommerziell extravagant gekleidet wirkt die lustige Truppe, die da im Klimperkostüm, in Paco-Rabanne-Unterhose und geringeltem Marsmännchenanzug über die Straße tanzt. Man würde gerne dazugehören. Sie wirken so lebensfroh und unbeschwert wie die idealistische Vorstellung, die sich von ihrer Stadt in aller Welt verbreitet hat. „C’est si bon“ singt Eartha Kitt dazu, und wieder hat Barneys es geschafft, mich glauben zu lassen, dieses spezielle Lebensgefühl in keiner anderen Metropole finden zu können. Ich weiß nicht, ob der Film bei Einheimischen die gleiche Wirkung erzeugt, das müsste man wohl mal erforschen.
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Der Modefilm von Alexander McQueen, der größtenteils backstage bei der Show der Männerkollektion für den Sommer 2016 gedreht wurde, arbeitet mit der Kraft der Poesie. Dank Zeitlupe, theatralischer Opernmusik, eingeblendeten Bildern brechender Wellen und den ätherisch wirkenden jungen Männern, die wie Skulpturen in der Gegend herumstehen, wird der Film mit einer Bedeutungsschwere aufgeladen, die erstaunlicherweise gar nicht idiotisch wirkt. Man wird plötzlich selbst ganz langsam und zart und schwerelos und nachdenklich, wenn man diese Bilder sieht. Bei Kenzo ist es die Ausweglosigkeit aus der Wüste, bei Alexander McQueen die Endlosigkeit des Meeres, die melancholisch und sehnsüchtig stimmt.
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Begehren für das Produkt zu erzeugen ist nicht bloß das Ziel des Modefilms von Versace – nein, hier ist es zentrales Thema das Plots. Die Art, mit der die Frauen nach den Handtaschen lechzen, ihr durstiger Blick, ihre raubtierhaften Bewegungen, wirkt allerdings so überspitzt, dass es wieder urkomisch ist. Zwei Supermodels kriechen da mit keck in die Höhe gestreckten Ärschen auf die in der Mitte der Tischplatte thronende Trophäe zu, Rosie Huntington-Whiteley von rechts, Bella Hadid von links. Dann kommt noch eine dritte Frau dazu, und jetzt sieht es so aus, als seien hier drei Gangsterinnen unabhängig voneinander in einen Hochsicherheitstrakt eingebrochen, um einen sehr wertvollen Schatz in ihren Besitz zu bringen. Sogar an die Handschuhe zur Vermeidung verräterischer Fingerabdrücke haben sie gedacht. Was noch fehlt, sind die Laserschranken, um die die Drei herumturnen müssen (siehe „Oceans Eleven“). Interessant ist, dass die Frauen hier eindeutig erotisch dargestellt werden, Männer dabei aber nicht involviert sind. Im Gegenteil: Zwischenzeitlich sieht es so aus, als würden sie sich mit den Handtaschen selbst befriedigen.
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Verlassene Industriegebiete sind der Spielplatz der Jugend. Man bewegt sich hier außerhalb des Blickfelds mahnender Erwachsener, kann den freien Platz zum Skaten oder Basketballspielen nutzen, und verbotenerweise durch zerbrochene Fenster steigen und Wände besprühen. Zunächst wirken die schönen Menschen, die in dem Modefilm von Louis Vuitton in wahnsinnig teuren, wahnsinnig begehrenswerten Lederjacken und Ballonröcken durchs Industriegebiet spazieren, hier deshalb eher deplatziert. Die Botschaft aber ist klar: Diese Kleider sind nicht dazu gedacht, darin zuhause auf dem Kanapee zu sitzen und mit den Nachbarinnen Tee zu trinken. Mit den Lederclutches wird Ball gespielt, die Handtaschen eignen sich als Sonnenschutz, und auch in einer Spitzenbluse lässt sich prima an einer Hauswand baumeln.
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Auch mit Surrealität lässt sich, wie das Video von Emilio Pucci zeigt, hervorragend arbeiten. Models in Zipppullovern und diagonal geknoteten Herrenhemden tauchen da zwischen Pucci-Ornamenten und kaledeidoskopischen Mosaikböden auf. Es ist eine Art Irrenpalazzo, in dem wir uns hier bewegen, mit schwarz-weißen Frauen, die neben Signore Pucci himself unter italienischen Kuppeldächern aufploppen.
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Wie bei den Modefilmen von Kenzo und Alexander McQueen hat sich auch beim neuen Video von House of Holland der Trick 17 bewährt, mithilfe eines exotischen Settings für das gewünschte Sehnsuchtsgefühl zu sorgen. Eine wasserstoffblonde Frau fährt mit Sonnenbrille durch Sanddünen und karge Felslandschaften (ich vermute: Grand Canyon, Nevada), darüber spannt sich ein rosa Himmel, dazu trägt sie diese fantastische Jacke aus Leopardenprint, blauem, rotem und braunem Leder. So gekleidet liegt sie im Sand, gibt am Steuer Gas und wandert durch die Morgendämmerung. Tatsächlich passiert in „Fear & Loafing“ nicht so richtig viel. Aber der Film ist ein weiterer Beweis dafür, was Mode und Reisen alles gemeinsam haben: ob ich mir ein neues Kleid kaufe oder nach Kalifornien fliege, immer ist da der Wunsch nach Wandel, nach Entdeckung und Ausbruch.
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Ich besitze keine Jogginghose, ich trage selten Turnschuhe, CL kann ich mir nur unter Alkoholeinfluss anhören und wenn ich zu Hiphop zu tanzen versuche, lacht mich mein Freund aus. Kurzum, mit der Szenerie des Mode-/Musikvideos der amerikanischen Vogue verbindet mich eigentlich nichts. Und doch habe ich Spießbürgerin beim Anschauen plötzlich eine tiefe Sehnsucht danach, eine tanzende Rapperin zu sein und in der Bronx zu wohnen. Ich möchte Spagat in Nylonhose und Springerstiefeln machen, ich möchte eine Bodenwelle turnen und dazu einen Kapuzenpullover tragen, ich möchte im Pelzmantel an Kleiderstangen tanzen und was ich außerdem ganz dringend brauche, sind rote Lackoverkneestiefel. Ich möchte sein wie die überirdisch coolen Menschen in diesem Modefilm, oder, noch besser, ich möchte selbst in diesem Modefilm sein. Leider kann ich nicht mal mit dem Hintern wackeln, ohne mich lächerlich zu machen. Es ist zum Heulen.

Die Mutter von Lena Dunham heißt Laurie Simmons. Wie die Tochter dreht sie Filme. In diesem hier macht sie leblosen Accessoires Beine und lässt sie zur Musik von „Chicago“ über die Bühne tanzen. Wie ironisch: Diese Objekte, die in der Modewelt wie „It-Girls“als „It-Pieces“ fetischisiert werden, die wir „begehren“, so wie Männer schöne Frauen begehren, werden hier plötzlich selbst zum Subjekt. Sie tanzen uns buchstäblich vor der Nase herum, und bekommen dadurch, ganz skurril, so etwas wie einen menschlichen Charakter. Dazu die kraftvollen Beine der Tänzerinnen, die so viel schöner aussehen als die dürren Stelzen der Models auf den Laufstegen, und gleich lässt sich aus diesem surrealen Film eine feministische Botschaft lesen: Frauen, werdet Subjekt! Den Film von Laurie Simmons für das New York Magazine kann man sich hier anschauen. portfolio-08.nocrop.w840.h1330.2x