Am Tag der Show des Labels Off White in Paris herrscht am Eingang Stau. Der Schriftzug „You’re obviously in the wrong place“ leuchtet in großen neonfarbenen Lettern über der Treppe, die zum Saal im Palais de Tokyo hinaufführt. Das ist lustig, das wollen natürlich alle fotografieren. Wir hier in the wrong place? Als ob. Wem bis jetzt nicht eingefallen ist, woher die Zeile stammt, schaut noch mal auf die Einladung: auf transparente Folie ist jene Szene aus „Pretty Woman“ aufgedruckt, in der Julia Roberts als Hure Vivian mit den Worten „You’re obviously in the wrong place“ aus einer Nobelboutique auf dem Sunset Boulevard geschmissen wird. Es ist ein erster Hinweis auf den faszinierenden Cool dieser Marke. Wer Off White trägt, ist abseits, draußen, off – und damit interessanter als alle anderen.
Was Virgil Abloh dann auf dem Laufsteg zeigt, könnte man in Zeiten des Gvasalia-Hypes als das schönere Vetements bezeichnen. Trenchcoats und metallisch glänzende Bomberjacken rutschen halb von den Schultern, darunter tragen die Models enge Funktionsshirts. Zu nudefarbenen Wäschekleidern gibt es schwarze Turnschuhe, ein herrlicher karamellbrauner Ledermantel hat plissierte Ärmel, Jeansjacken werden falsch herum getragen oder mit Kristallschwalben verziert, drapierte Röcke tragen den Print eines surrealistischen Gemäldes von Giorgio de Chirico – und auf jener Jogginghose, die mich endlich zur Jogginghose bekehrt, ist der vertikale Schriftzug O F F aufgedruckt. Die Hose ist knöchellang und seitlich geschlitzt, dazu gibt es Strümpfe in High Heels. Es ist alles ein bisschen sexy und ein bisschen sportlich und erinnert tatsächlich an den Look von Vivian, die in der Welt, die sie betritt, eine Fremde ist – und gerade deshalb dem smarten Geschäftsmann den Kopf verdreht.
Man merkt schnell, dass mit Virgil Abloh nicht irgendein schüchterner Jungdesigner die Modebühne betreten hat, sondern ein absoluter Vollprofi. Abloh studierte Bauingenieurswissenschaften und Architektur, eröffnete den Concept Store RSVP Gallery in Chicago und gründete mit Matthew Williams, dem Designer des aufstrebenden Labels Alyx, das Künstlerkollektiv #BEENTRILL. 2002 fing er als Creative Director für Kanye West an. Damals hatte der Musiker noch nicht einmal sein erstes Album veröffentlicht. Gemeinsam entwickelten Abloh und West Bühnendesigns, Albumcover und Strategien für die Tourvermarktung. Als West 2012 seine eigene Produktionsagentur DONDA gründete, machte er Abloh zu seinem kreativen Partner.
Die Kleider, die Abloh nun seit 2014 für Off White entwirft, sehen aus wie die Gäste einer perfekten Party aussehen müssten: glamourös, keck, zum-Pferdestehlen-mäßig unverschämt. Sein Cool ist anders als der von Supreme, Vetements oder Gosha Rubchinskiy – immer schwingt etwas Mädchenhaftes, Augenzwinkerndes, Verführerisches mit. Bei Vetements hat man ja mittlerweile immer so ein bisschen das Gefühl, einem Club düster dreinschauender Menschen, zu dem man nicht eingeladen wurde, beim Feiern in einem Kellerloch zuzuschauen. Off White aber ist fortschrittlich, ohne übertrieben rebellisch, lässig, ohne abgehoben, glamourös, ohne steif zu wirken. Genau wie die Farbe „Off-white“ – jene Grauzone zwischen Schwarz und Weiß, wie es auf der Webseite der Marke heißt – pendelt Ablohs Mode zwischen zwei Polen, zwischen Verwegenheit und Eleganz. Dabei sind die Entwürfe immer klar, was wohl daran liegt, dass jede gelungene Verwegenheit elegant ist und wahre Eleganz immer etwas Verwegenes an sich hat.
Genau wie J.W. Anderson und Justin O’Shea, der neue Chef von Brioni, nennt sich Virgil Abloh nicht Designer, sondern Creative Director – und wirft damit die Frage auf, ob der klassisch ausgebildete Modeschöpfer überhaupt noch gebraucht wird. Abloh mag Autodidakt sein. Aber wer so maßgeblich am Erfolg eines der bestverdienenden Rapper der Welt beteiligt ist, der muss wissen, wie man die richtige Story erzählt. Oder wie man eine Story richtig erzählt. Seine Botschaft „You’re obviously in the wrong place“ trifft die Ironie der Modewelt von heute auf den Punkt: in ist nicht mehr, wer drin ist – sondern draußen. Das ist die Definition von Cool, an der wir als Teenager so fundamental vorbei gelebt haben.
Wenn ich heute daran denke, wer an meiner Schule als cool galt, muss ich laut lachen. Cool waren die Mädchen in engen Jeans und mit Pferdeschwanz, die schon mit 14 bei irgendeinem Typen auf dem Schoß saßen und Zigaretten rauchten. Cool waren die mittelmäßig Schönen und mittelmäßig Intelligenten, die aber immer mit dem richtigen Handy ausgestattet und in der Lage waren, ein großes Publikum für ihre Mittelmäßigkeit zu begeistern. Das gab ihnen das trügerische Gefühl, etwas Besonderes zu sein.
Am Rande der Schulgesellschaft aber lebten die stillen Leute, die sich im Hintergrund hielten, nicht gar keine, aber wenige Freunde hatten, immer komische Pausenbrote mitbrachten und auf der Rückseite der Lateinklausur Graffitis zeichneten, aber ziemlich gute Graffitis. Man fragte sich, was sie den ganzen Nachmittag trieben, bis man sie irgendwann zufällig beim Schulkonzert am Klavier Jazz spielen hörte, aber ziemlich guten Jazz. Wirklich cool, das waren genau diese Leute. Wir wussten es nur noch nicht.
In seiner aktuellen Resort-Kollektion hat Virgil Abloh nun spitzenbesetzte Camouflagekleidchen zu Glitzerturnschuhen, umgekrempelte Schlaghosen und Jeansjacken mit Rosenstickerei gezeigt. Die Entwürfe sind nicht total gewollt anders und dabei doch auf charmante Weise schrullig. Man erkennt gerade so eben, wie cool sie eigentlich sind.
Off White ist aktuell auf Mytheresa und Net A Porter erhältlich