„Das war ein Kompliment!“

"LOCKER ROOM TALK" IST KEIN HISTORISCHER EINZELFALL – SONDERN ALLTAG

bildschirmfoto-2016-10-18-um-15-50-15Neulich traf ich einen deutschen Bekannten in New York, er war gerade für einen neuen Job hergezogen. Wir gingen im Central Park spazieren, er zeigte mir die Dachterrasse seines neuen Büros. Dann fragte er mich, ob ich Lust hätte, ihn zu einem Abendessen mit seinen Arbeitskollegen zu begleiten. „Das wäre toll, wenn ich da mit einer attraktiven Begleitung auftauchen würde. Damit könnte ich gleich Eindruck schinden!“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. „Das war ein Kompliment!“, sagte er. „Freu dich doch!“ Ich freute mich nicht.

Ich habe kein Problem mit Komplimenten, im Gegenteil. Ich freue mich, wenn mir ein Mann sagt, dass er mich schön findet. Ich freue mich besonders, wenn das mein Freund ist, aber auch den Herrn, der gestern im Restaurant in Williamsburg an der Bar neben mir saß und sagte „You’re gorgeous!“, fand ich eher nett als aufdringlich. Allerdings macht es einen Unterschied, ob man einer Frau sagt, dass man sie attraktiv findet, oder sie als Schmuckstück markiert, mit dem Mann sich selbst attraktiv macht. Ich bin niemandes Schmuckstück. Ich bin kein Orden, den sich ein Mann umhängen kann, um seinen Kollegen zu zeigen: guck mal, heiße Frauen finden mich heiß.

Eine Frau als Dekorationsobjekt zu deklarieren hat etwas Besitzergreifendes. Es geht dem Mann dabei nicht um die Frau als Person, sondern darum, wozu er sie gebrauchen kann. Ein illustrer Vertreter dieser Sorte Mann ist Donald Trump, der, wie ein kürzlich aufgetauchtes Video von 2005 dokumentiert, vor seinem Buddy Billy Bush angab, jede schöne Frau ungefragt küssen und anfassen zu können, weil er berühmt sei: „You can grab ‘em by the pussy.“ Trumps jüngster Auftritt beim zweiten TV-Duell war ekelerregend. Er schnaufte, er log, er stand dicht hinter Hillary, während sie sprach. Er wirkte, als sei er drauf und dran, sie zu vergewaltigen. Es wäre eine Beleidigung aller Männer, Trumps Verhalten als „männlich“ zu etikettieren. Und doch hat mich die Empörung, mit der über seinen „locker room talk“ gesprochen wurde, als handele es sich um einen historischen, nie dagewesenen Einzelfall, verwundert.

Als ich vor zwei Jahren in New York lebte, lernte ich J. kennen. „I’m the best banker in New York“, erklärte J., als wir im Nachtclub Le Baron standen. Dann fing er an, mich wild zu küssen. Ich hatte nicht mit ihm geflirtet, ich hatte ihm keinerlei Erlaubnis zu irgendwas erteilt, wir kannten uns gerade ein halbe Stunde. Ich gab vor, zur Toilette zu müssen, und floh. Klar, das war ein Nachtclub, da gehen Menschen unter anderem zum Knutschen hin. Das bedarf aber immer noch gegenseitiger Einwilligung. Ein paar Wochen später lernte ich auf einer Cocktailparty einen netten Kalifornier kennen, wir unterhielten uns prächtig, aber ein Flirt war das nicht, jedenfalls kam es mir nicht so vor. Als ich mich verabschiedete, fragte er mich, wohin ich fuhr. „Downtown“, sagte ich. „Ich auch“, sagte er ,“wollen wir uns ein Taxi teilen?“ Kaum saßen wir auf der Rückbank, fing er an mich, zu küssen. Drei Blocks weiter sprang ich aus dem Auto und stieg in die U-Bahn.

Vor ein paar Monaten schaute ich eine Talkshow im Fernsehen. Zu Gast waren unter anderem der Schriftsteller Ferdinand von Schirach und die Autorin Anne Gesthuysen. Ich weiß nicht mehr genau, worüber diskutiert wurde, aber ich erinnere mich, dass Gesthuysen höflich Schirachs Redeschwall unterbrach: „Ich hab einen Einwand, darf ich Sie unterbrechen?“ oder so ähnlich. Woraufhin dieser Schirach ernsthaft mit schelmischem Blick antwortet: „Ja, in Ihrem schönen grünen Kleid dürfen Sie das.“

Was die zwei New Yorker Männer, mein deutscher Bekannter und Ferdinand von Schirach mit Donald Trump gemein haben, ist der Automatismus, mit dem sie von Frauen Besitz ergreifen, ohne es zu merken. Offensichtlich sind sie unfähig, zwischen Charme und Sexismus, Kompliment und Demütigung zu unterscheiden. Mein Bekannter nahm an, mir zu schmeicheln, als er mich als attraktive Begleitung bezeichnete. Dabei lagen zwischen seiner Bemerkung und dem schlichten „You’re gorgeous“ meines Bartresen-Nachbars Welten. Das eine war ein Übergriff auf meine Würde als Mensch, als Person. Das andere ein freundliche Aufmerksamkeit.

Ich will keine überempfindliche Kampffeministin sein, die alles in den falschen Hals kriegt. Ich glaube nicht, dass uns Frauen eine solche Attitüde weiterbringt. Donald Trumps „locker room talk“ aber ist ein Problem, das nicht nur alle Frauen trifft, sondern auch alle Männer betrifft – ob sie es glauben wollen oder nicht. „Locker room talk“ ist, gerade weil er so „locker“ gehandhabt wird (haha), Alltag. Das zu ändern ist fast noch wichtiger als Donald Trumps Untergang.