Schön öko

WARUM ICH JETZT SO AUSSEHE, ALS KÄME ICH GERADE AUS DEM TÖPFERKURS

cest-clairette-the-sartorialist-august-2017Neulich war ich in Paris und es war ziemlich heiß, 37 Grad, um genau zu sein. Was zieht man da an, vor allem, wenn Modewoche ist? Ich wollte in erster Linie den Hitzetod vermeiden, Luft kriegen, ungestört schwitzen können und mich trotzdem noch schön fühlen. Also warf ich mich in eine weiße Baumwollbluse mit Puffärmeln, einen langen weißen Baumwollrock und Espadrilles mit Keilabsatz, packte meine neue, von Hand geknüpfte Basttasche und zog in die Asphaltwüste. Ich sah aus, als würde ich in einen Töpferkurs gehen.

Vor ein paar Jahren wäre ich tot umgefallen, wenn man mir erzählt hätte, dass ich eines Tages in einem baumwollenen weißen Walle-Walle-Outfit durch Paris marschieren würde. Ich hätte gelacht, wenn man mir gesagt hätte, dass ich mal statt mit einer Lederhandtasche mit Logo-Schnalle mit einem unförmigen Sack aus Bast herumlaufen würde. Aber wie es scheint, haben wir es bei diesem Look mit dem Look des Jahrzehnts zu tun. Zwanzigjährige Großstadtfrauen tragen neuerdings Leinenhosen in Erdfarben, pastellfarbene Pantoletten mit kleinem Absatz, bauchnabelhohe weite Jeans und luftige Hemden, unter denen der Körper verschwindet.  „Menocore“ hat Harling Ross den Look auf Man Repeller getauft, in Anspielung auf den Stil reifer, älterer Frauen wie etwa Diane Keaton in „Was das Herz begehrt“, die zwar noch elegant aussehen, den Komfort dabei aber nicht der Lächerlichkeit opfern wollen. Als ich bei der Show von Dior Homme in meinem weißen Öko-Outfit ankam, richteten sich alle Kameras auf eine bekannte Modebloggerin, die direkt hinter mir lief – sie trug ein Minikleid mit aufgeplusterten Ärmeln zu Pilotenbrille, schwarzen Lederstiefeln und blondiertem Haar und starrte angestrengt auf ihr Handy. Sie stand für alles, wogegen sich der neue Öko-Look sträubt. Der ist unverstellt, unkünstlich, an manchen Stellen etwas unförmig. Vor allem ist er sehr frei.

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Ciao Lucia

Man begegnet diesem Look in allen Bereichen des ästhetischen Lebens. Töpfern ist neuerdings ein angesagtes Hobby, Brad Pitt und Lindsey Wixon tun es. J.W. Anderson kooperiert regelmäßig mit Keramikkünstlern. Schmucklabels wie Alighieri, Annie Costello Brown oder Mounser entwerfen verformte Ohrringe, die aussehen wie vom Kunsthandwerksstand eines südfranzösischen Wochenmarkts. Mit größter Selbstverständlichkeit trägt man Strohkörbe statt Lederhandtaschen, hautfarbene Baumwollunterwäsche und pantoffelartige Schuhe. Junge Labels wie Maison Cléo und Maryam Nassir Zadeh drängen mit zerknitterten Baumwollblusen und knöchellangen Röcken in Cremefarben auf den Markt. Das Model in der Kampagne des kalifornischen Labels Ciao Lucia hat eine Figur wie ich: mit Fleisch an Armen und Beinen und einem rosigen Schweißfilm im Gesicht. Cord ist in der kommenden Saison die auffälligste Modeerscheinung, Prada hat dem Stoff der Weltverbesserer eine ganze Kollektion gewidmet. Gefühlt kein Mensch trägt mehr Make-Up. Man kleidet sich wie die mittelalte Kunstlehrerin, die Mutter, die noch ins Reformhaus geht, die artsy Betreiberin des Eine-Welt-Ladens. Die Frauen, die einmal als schrullige Ökotanten galten, geben jetzt unwissentlich in der Mode den Ton an. Was ist da los? Die modische Antwort auf den Vegetarismus kann es nicht sein. Die Frauen, die in kalifornisch angehauchten Avocadotoast-Restaurants sitzen, grüne Säfte trinken und nebenbei Sixpack-Fotos auf Instagram posten, tragen ja immer noch Hotpants und Nietenstiefel, siehe Pamela Reif.

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Schmuck von Alighieri

Wahrscheinlicher ist, dass der Ursprung dieser Modeerscheinung ganz woanders liegt. Parallel zu meinem Interesse an luftigen Hosen und Strohtaschen habe ich bei mir eine wachsende Akzeptanz meines Körpers mit all seinen Fehlern und Unförmigkeiten festgestellt. Ich fühle mich in meiner Haut heute viel wohler als vor drei Jahren, als ich noch drei Kilo weniger wog. Ich schätze meine weibliche, an manchen Stellen weiche Figur. Ich habe keine Thigh Gap und finde das in Ordnung. Ich esse, worauf ich Lust habe. Ich will nicht mit 12 Paar Schuhen verreisen und mir komplizierte Outfits anziehen, wenn ich ausgehe. Ich will keine Unterhosen tragen, die mir in den Schritt schneiden. Ich will mich nicht gehen lassen, keineswegs. Ich will immer noch souverän, originell und glamourös aussehen. Aber ich will dabei ein Mensch bleiben.

In diesem Jahr war es mir zum ersten Mal total egal, was die Fotografen vor den Türen der Pariser Modenschauen von meiner Idee von Eleganz hielten. Ich hatte mich für mein Vergnügen und Wohlbefinden angezogen, nicht, um um jeden Preis gesehen zu werden. Ich werde modisch gerade so gelassen wie meine Mutter, vielleicht fast ein bisschen störrisch. Vor einem Jahr bin ich bei Schneeregen noch in High Heels und ohne Strumpfhose durch Paris gestöckelt. Jetzt käme mir ein solcher Aufzug albern vor, ja, sogar erniedrigend. Ich möchte gerade einfach nur ein gutes weißes Herrenhemd mit flachen Sandalen und goldenen Ohrringen dazu tragen.

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Tasche von Maryam Nassir Zadeh

Zum ersten Mal in meinem Leben schleiche ich um eine Khakihose herum. Ich bin besessen von der kanadischen Künstlerin Maryam Keyhani, die sich auf ihrem Instagram-Account in wallenden Kleidern, mit riesigen Hüten und ihrem putzigen Nachwuchs zeigt. Auf einer Party habe ich neulich mit Freundinnen darüber gelacht, dass wir jetzt schon so tanzen, wie es unsere Kinder einmal total peinlich finden werden. Wir bewegen uns nicht cool, aber wir haben Spaß. Mir ist immer mehr egal, wie andere mich sehen. Dieses Gefühl definiert die neue Mode. Es ist eine Art Feminismus zum Anziehen, und dabei so ziemlich das Gegenteil von jenem „We should all be feminists“-T-Shirt, das Dior in diesem Jahr für 600 Euro auf den Markt gebracht hat. Es ist keine Mode mit grellen Botschaften, sie ist nicht grell schäbig wie Vetements oder grell girly wie Miu Miu. Es ist ein Look, der in sich ruht wie eine Frau, die endlich herausgefunden hat, was sie will. Und von solchen Frauen gibt es anscheinend immer mehr.

Headerfoto via The Sartorialist