Kann ich in Zeiten von #metoo noch im Minirock herumlaufen?

DIE MÄNNER SOLLEN SICH ÄNDERN. WAS IST MIT DEN FRAUEN?

Als in Los Angeles neulich die Golden Globes verliehen wurden und alle Leute in symbolträchtigem Schwarz erschienen, fiel eine Frau besonders auf. Blanca Blanco, eine Schauspielerin, trug kein Schwarz. Stattdessen erschien sie in einem roten Kleid, das aussah, als hätte Frau Blanco darin nur um Haaresbreite ein Schwertduell überlebt. Quer über der Brust klaffte ein riesiger Schlitz, der Rock entblößte ihre linke Seite vom Beckenknochen bis zu den Füßen. Zum Glück war der Abend windstill.

Blanca Blancos Kleid ließ mich ratlos zurück. Inmitten des Meers aus schwarzen Kleidern, von denen natürlich auch andere trägerlos (Zoe Kravitz), tief ausgeschnitten (Natalie Portman) oder geschlitzt (Issa Rae) waren, erschien mir ihre Wahl verfehlt. Blanca Blanco sah aus, als wolle sie ganz dringend einen Mann auf ihr Hotelzimmer einladen. Sie ist nicht die erste Frau, die sich mehr nackt als angezogen der Öffentlichkeit präsentiert. Rihanna erschien 2014 bei den CFDA Awards in einem durchsichtigen, kristallbesetzten Kleid. Beyoncé und Kim Kardashian zeigten sich ähnlich freizügig. Im letzten Jahr offenbarte Bella Hadids rotes Schlitzkleid in Cannes deutliche Einblicke in ihren Schritt. Das alles sorgte für Schlagzeilen und auch ein bisschen für Bewunderung für die Furchtlosigkeit dieser Frauen. Aber jetzt hat sich die Lage geändert. Können sich Frauen in einer Zeit der öffentlichen Abrechnung mit sexuell übergriffigen Männern noch in Kleidung zeigen, die so offensiv zum Sex einzuladen scheint?

Es ist auf der einen Seite jede Frau zu beglückwünschen, die angezogen hat, worauf sie Lust hatte. Wenn sie sich gerne sexy kleidet, scheint sie sich in ihrem Körper wohl zu fühlen, was man ja nicht von vielen Frauen behaupten kann. Frauen können im Spitzenkleid oder im Taucheranzug auf die Straße gehen. Kein Outfit legitimiert einen sexuellen Übergriff, egal, was es beim Betrachter auslöst.

Blanca Blanco musste sich nach den Golden Globes dafür rechtfertigen, nicht in Schwarz, sondern in gewagt geschlitztem Rot bei dieser so bedeutenden Preisverleihung erschienen zu sein, die doch ein neues Zeitalter einläuten sollte. Frauen vorzuschreiben, was sie anziehen sollen, kann aber nicht das Ziel einer feministischen Bewegung sein – zumal die brav in Schwarz erschienenen Gäste mit ihrer Kleiderwahl auch nicht so viel mehr für den Schutz der Frauen geleistet haben. Auch Statement-Kleider sind leere Hüllen.

Auf der anderen Seite ist die Frage berechtigt, was eine Frau eigentlich damit bezweckt, nur mit dem Allernötigsten bekleidet draußen herumzulaufen. Warum hat sie sich so angezogen? Ist es moralisch vertretbar, sich selbst zum Sexobjekt zu machen, wenn man gleichzeitig Männer dafür kritisiert, dass sie genau das in einer Frau sehen?

Die Victoria-Secret’s-Show, eine Veranstaltung, bei der Frauen in Tangas und diamantbesetzten BHs über den Laufsteg laufen und die laut New York Times allein 2016 von 1,4 Milliarden Zuschauern in 192 Ländern verfolgt wurde, rühmt sich damit, im Auftrag des „female empowerment“ zu agieren. Schöne Frauen in wenig Kleidung sind ein bombensicheres Rezept für die Einschaltquote, auf der anderen Seite stimmt es schon, dass ich mir als Frau schöne Unterwäsche auch zum eigenen Vergnügen kaufe. Die bekommt dann aber niemand außer mir selbst oder meinem Bettgenossen zu sehen. In dem Gastbeitrag für die Zeitung Le Monde, in dem Catherine Deneuve, Catherine Millet und andere prominente Französinnen die öffentliche Denunziation von Männern für selbst kleinste Vergehen kritisieren, steht, dass auch eine erfolgreiche Managerin es nach Feierabend genießen könne, sich zum sexuellen Objekt eines Mannes zu machen. Aber eben Zuhause, im Schlafzimmer! Nicht draußen auf der Straße. Karin Janker kommentierte dazu neulich in der Süddeutschen Zeitung: „Diese Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre, die hier eingefordert wird, ist für das Vertrauen zwischen den Geschlechtern unerlässlich.“

Mein Freund hat mich neulich dafür kritisiert, dass ich ein Bild von mir im Bademantel auf Instagram gepostet habe. Ich gab zurück, ich sei nicht sein Eigentum und er könne nicht darüber entscheiden, was die Öffentlichkeit von mir zu sehen bekomme und was nicht. Aber ich kann ihn schon verstehen. Was geht mein Körper im Bademantel Leute an, die ich gar nicht kenne? Ich signalisiere damit doch eine Einladung an Fremde in meine Privatsphäre, die ich tatsächlich niemals aussprechen würde. Und selbst wenn ich mit einem solchen Foto meine Freiheit und Autonomie betone: Dem Blick eines (männlichen) Publikums kann ich mich nicht entziehen, weil ich ihn ja schon selbst mit einkalkuliert habe. Mode ist schließlich ein Kommunikationsmittel, mit dem man anderen Menschen ein Zeichen gibt. Das Problem ist nur, dass diese Zeichen gerade zwischen Männern und Frauen immer wieder missverstanden werden.

Daran entzündet sich die altbekannte Schuldfrage: Bin ich als Frau Schuld an der unerwünschten Avance eines Mannes, wenn ich zuvor im Minirock vor seiner Nase herumgehüpft bin? Oder ist der Mann Schuld, weil er meinen Minirock, womöglich sogar absichtlich, als Einladung zu sexuellem Kontakt fehlinterpretiert hat? Für zusätzliches Kopfzerbrechen sorgt die Frage, wo überhaupt ein feminines Kleid aufhört und ein obszöner Fummel anfängt. Geschmäcker sind verschieden. Während für manche Leute schon ein knielanger Rock Erotik versprüht, meinen andere, eine Frau im Saint-Laurent-Ledermini sähe eher cool als scharf aus. Ich empfinde es als großen Einschnitt in meine persönliche Freiheit, wenn ich mir jedes Mal, bevor ich in einen Minirock steige, darüber Gedanken machen muss, was dieser Minirock für Missverständnisse auslösen könnte.

Auf der anderen Seite kann ich die Verwirrung der Männer verstehen, wenn vor ihnen eine Frau herumläuft, an deren Outfit alles nach Sex schreit, die aber entrüstet ist, wenn man ihn ihr anbietet. Wenn sich die Männer ändern sollen, müssen wir Frauen das wohl auch. Denn egal, welche mir unbekannte feministische Mission Blanca Blanco verfolgt: Mit ihrer Kleiderwahl hat sie definitiv nicht dazu beigetragen, dass Frauen nicht mehr bloß auf die Verfügbarkeit ihrer körperlichen Reize reduziert werden. Es wird immer davon geredet, dass der weibliche Körper endlich der Frau gehören muss, die drin steckt. Das wird durch solche Kleider, wie furchtlos sie auch sein mögen, nicht passieren. Nicht mal in den Augen des weiblichen Publikums. Ich hatte nach Blanca Blancos Auftritt jedenfalls nicht das Bedürfnis, sie mal kennen zu lernen, um mich mit ihr über die Außenpolitik Nordkoreas zu unterhalten. Viel brennender interessierte mich die Frage, ob sie überhaupt eine Unterhose trug.

Header-Bild: Collage/über Vogue Runway