Die Urlaubssaison hat begonnen, das erkennt man daran, dass einem dieser Tage an jeder Ecke des modebewussten Internets Einkaufsempfehlungen für die perfekte Feriengarderobe begegnen. „Vacation Style“ hat den „Beach Body“ in Sachen Begehrlichkeit offenbar abgelöst, was wir mal als positive Entwicklung deuten wollen. Allerdings ist auch das stilsichere Auftreten im sonnigen Ausland eine schweißtreibende Angelegenheit.
Für den Aufenthalt an karibischen Hotelpools, in süditalienischen Badebuchten oder im zentralafrikanischen Dschungel empfehlen die Autoren besagter Stilführer flatternde Kaftane, bommelbesetzte Sonnenhüte, flache Sandalen, mittelhohe Sandalen, Badeschlappen mit Gummiblüten, Sarongs, knapp sitzende Bikinis, taillenhoch geschnittene Bikinis, Häkelbikinis (zum Sonnen), Badeanzüge mit Volants (für den Nachmittag am Pool), Badeanzüge ohne Volants (zum Tauchen). Man braucht Trekking-Sandalen, fesche Bauchtaschen und Käppis, rosa Sonnenbrillen, herzförmige Sonnenbrillen, große Strohtaschen für tagsüber und glitzernde kleine Clutches für abends, außerdem ein gerüschtes Gucci-Kleid und sexy Sandaletten, für den Fall, dass man von einem Casanova zum Abendessen entführt wird oder ein weltberühmter Jazz-Musiker in der Hotelbar auftritt. Von Loewe gibt es ein Handtuch mit Papageiendruck (695 €). Duftkerzen, die nach „La Plage“ riechen, stimmen vor der Reise auf das Blaumachen ein, und natürlich darf kein Mensch irgendwohin fahren, ohne sich vorher mit den neuesten Sonnencremes, Sonnen-Ölen und After-Sun-Lotionen eingedeckt zu haben. „While location is everything“, schreibt die amerikanische Vogue, „as any wise and well-traveled woman will attest, so too is a thoughtfully planned and packed wardrobe.“
Ich muss leider widersprechen. Tatsächlich habe ich festgestellt, dass die sämtliche Vacation-Style-Guides einende Idee, dein Urlaub werde ein Traum, wenn du nur für jeden Anlass und jede Wetterlage was Passendes einpackst, in der Praxis nicht funktioniert. Im Gegenteil. Es gibt keine Zeit, zu der man weniger zum Anziehen braucht als im Urlaub. Sobald ich irgendwo aus dem Flugzeug steige, habe ich auf nichts weniger Lust als auf einen 400-Euro-Bikini. Ich möchte keinen bodenlagen Seidenkaftan tragen, in dem man nicht Fahrrad fahren kann, keine schicken Mules, die mir nach drei Häuserblocks Blasen bescheren und kein sexy Partyoutfit, für das ich extra abends ins Hotelzimmer zurück kehren und aus meinen bequemen Shorts steigen müsste. Normalerweise würde mir sowas Spaß machen. Alles, wonach ich im Urlaub strebe, ist minimaler Kraftaufwand.
Die PR-Frau eines großen Luxus-Onlineshops hat mir einmal erzählt, die lukrativste Kategorie des Unternehmens sei Urlaubsmode. Für wenig würden die Leute lieber Geld ausgeben. Ich frage mich allerdings, ob sie das ganze teure Zeug, mit dem sie um den halben Globus reisen, am Ende wirklich anziehen. Urlaub ist wie Feiern, das ja bekanntlich auch am meisten Spaß macht, wenn es unter mehr oder weniger improvisierten Umständen passiert, man zufällig in Flip Flops und fleckigem Hemd in eine Bar stolpert und bis zum Morgengrauen auf dem Tresen tanzt. Ich hatte selten Spaß auf Parties, für die ich mir extra ein neues Kleid gekauft, High Heels angezogen und zwei Stunden lang die Haare gebürstet habe.
Gerade war ich für drei Wochen in den USA und hatte nur eine Handtasche dabei: einen kleinen Korb, den ich überall hinschleppte, tagsüber in den Central Park, abends in eine Bar in Harlem, nachmittags an den Strand von Malibu. Irgendwie passte er zu nichts und doch zu allem. Ich hatte auch nur zwei Paar Shorts und drei Röcke dabei, aber je ein Paar Shorts und ein Rock hätten auch gereicht. Ich trug fast keinen Schmuck, schminkte mich nicht und wechselte zwischen zwei Paar Schuhen. Ich hatte schon ziemlich wenig mitgenommen, trotzdem blieben 60 Prozent meines Gepäcks unangetastet. Mir war zum einen relativ egal, wie ich aussah – ein wunderbarer Zustand – zum anderen war ich dank der limitierten Auswahl zu ganz neuen Kombinationen bereit. Ich wünschte, ich könnte mich öfter mit meinem Urlaubsgehirn anziehen.
Wie das geht, kann man in jetzt in Clairette’s hauseigenem Vacation-Style-Guide nachlesen. Er kommt ohne Bikinis aus, die so viel kosten wie eine Wurzelbehandlung, ohne sieben verschiedene Paar Sandalen und Sonnenhüte, die in keinen Koffer passen. Und hier ist er schon. Gute Reise!
Auf Risiko setzen
Wer in ein warmes Land fährt, braucht höchstens (!) eine Jacke. Hat man die Wahl zwischen einem lustigen und einem langweiligen Modell, sollte man sich unbedingt für Ersteres entscheiden. Meine schwarz-weiß bedruckte Jeansjacke passt zu wenig. Gerade deshalb wurde meine Urlaubsgarderobe nie langweilig.
Blind kombinieren
Und das geht so: man greift mit geschlossenen Augen in den Koffer und zieht die zwei ersten Kleidungsstücke an, die man in die Finger bekommt. Unterwegs mit landestypischen Accessoires veredeln (ich entschied mich für eine Cola-Dose).
Nicht schminken
Niemals! Die Menschen, mit denen man reist, wissen, wie man wirklich aussieht. Die Leute, denen man im Urlaub über den Weg läuft, sieht man eh nicht wieder. Außerdem wird man in vielen fernen Ländern braun, und wer braun ist, braucht keine Schminke.
Pyjama vergessen (kein Foto)
Wer mal wieder (oder in meinem Fall: wie immer) seinen Pyjama vergessen hat, kommt in den Genuss einer völlig zu Unrecht aus der Mode gekommenen Praxis, nämlich des Nacktschlafens. Ein unbeschreibliches Gefühl. Ich tue neuerdings nichts anderes.
Garderobe teilen
Dieses feine Fischerhemd habe ich mal meinem Freund in einem Pariser Vintage-Laden gekauft, aber er trägt es nie, weil es ihm, O-Ton, „zu BWLer-mäßig“ aussieht. Also habe ich es mir irgendwann ausgeliehen und als Gemeinschaftsgarderobe deklariert mit in den Urlaub genommen. Natürlich wollte er es auch da nicht anziehen. Die Idee, dass geteiltes Gepäck leichter ist, gefällt mir trotzdem gut (auch wenn ich, zugegebenermaßen, mit seinen Klamotten mehr anfangen kann als er mit meinen).
Mit fremden Kulissen schmücken
Braucht man ein gelbes Rüschenkleid, wenn man vor einer regenbogenfarbenen Hauswand steht? Braucht man nicht. Und auch in einer schneeweißen Sandwüste an der mexikanischen Grenze ist von komplizierter Kleidung eher abzuraten. Wer will einer spektakulären Kulisse schon die Show stehlen?
Im Badeanzug wandern gehen
Warum bin ich da nicht früher drauf gekommen? In Sedona, Arizona, war es ziemlich warm, außerdem hatte ich von Naturpools entlang des Wanderpfads gehört. Also beschloss ich, nur mit dem Nötigsten bekleidet loszulaufen. Ein herrliches Gefühl der Naturverbundenheit stellte sich ein, dem Ungeschminktsein und Nacktschlafen nicht ganz unähnlich. Unsere Wanderung dauerte übrigens 20 Minuten, dann wurde es dunkel und die Mücken kamen, begleitet von dem Rascheln einer eingebildeten Vogelspinne.
Sonnencreme kann man machen
…muss man aber nicht. Hin und wieder ein kleiner Sonnenbrand wird einem von der Sonne sonst nur spärlich beschienen Nordeuropäer ja wohl nicht schaden. Ich hatte an diesem Tag auch gar nicht vor, in die Sonne zu gehen, aber dann ging ich schwimmen und kam gar nicht mehr aus dem Pool raus, und weil das Wasser so schön nass war, vergaß ich ganz, dass man auch verbrennen kann, wenn einem gar nicht heiß ist. Aber zu jedem Urlaub gehört auch ein bisschen Leichtsinn, oder nicht?
Souvenirs kaufen
Dieses Kleid, am vorletzten Tag der Reise in der Boutique von Reformation in West Hollywood gekauft, wird mich auf ewig an diesen herrlichen Urlaub erinnern. Ich trug es am letzten Tag beim Abschiedsstrandspaziergang in Malibu, als die Palmen vor dem goldenen Licht der untergehenden Sonne schwarz wurden und mir eine Pazifikwelle überraschend in die Kniekehlen schwappte.Kleid von Reformation
Fotos: Johannes Dudziak