Die ersten Wochen des Jahres sind hart. Gerade hat man noch so schön Winterschlaf gehalten zwischen Weihnachten und Neujahr, jetzt soll man plötzlich mit Volldampf durchstarten, damit das neue Jahr noch erfolgreicher wird als das letzte. Aber nicht nur der Schneeregen, die zähe Erkältung, die drei Kilometer lange To-Do-Liste und die netten Kollegen, die einem Abwesenheitsnotizen aus Südafrika schicken, machen einem das Leben schwer. Sondern auch die Bilder, die nach der Silvesterparty von einem aufgetaucht sind. Aus jener Nacht, in der man um 12 Uhr im Konfettiregen tanzte, sich mit Champagner duschen ließ, Krapfenmarmeladenfüllung aufs Kleid kleckerte und allen Anwesenden versprach, in diesem jungen, unbeschriebenen Jahr ein klügerer, anständigerer Mensch zu werden.
Dabei weiß man schon in dem Moment, in dem man dieses Versprechen ausspricht, dass man es nicht halten wird, dass man ein einziger Kontrollverlust auf zwei Beinen ist, dass man weder seine Finanzen noch seine Essgewohnheiten im Griff hat, und sich daran nie etwas ändern wird. Für das große Talent des Menschen, sich immer wieder selbst zu enttäuschen, sind Partyfotos der beste Beweis.
Und zwar nicht nur an Silvester: seitdem es soziale Netzwerke gibt, werden wir das ganze Jahr über mit fiesen Schnappschüssen drangsaliert, auf denen wir gerade besonders unvorteilhaft die Arme in die Luft werfen. Oder die Augen verdrehen, weil wir zum Zeitpunkt der Aufnahme schon nicht mehr geradeaus gucken, geschweige denn gehen konnten. Auf Partybildern sieht man fast nie so aus, wie man gerne aussähe.
Das Ironische an der Sache ist, dass die sozialen Netzwerke nicht nur das unerwünscht veröffentlichte Partyfoto groß gemacht haben, sondern auch die Möglichkeit, sein öffentliches Ich genau so, wie man es gerne hätte, in Szene zu setzen. Auf meinem Instagram-Account kann ich das Bild, dass die Öffentlichkeit von mir haben soll, zu hundert Prozent kontrollieren. Anscheinend folgt daraus das Bedürfnis, jedes Foto, das unzensiert irgendwo von einem aufgetaucht ist und auf dem man so aussieht, wie man halt aussieht, wenn man auf hohen Schuhen tanzt und betrunken ist, am liebsten aus der Welt schaffen zu wollen. Hysterisch sucht man nach der Notfallbremse der sozialen Netzwerke, dem Entmarkierungs-Knopf („Remove tag“), mit dem man seinen Namen offiziell aus dem Foto entfernen kann. Inoffiziell bringt das nicht viel, denn das Bild ist draußen, mitsamt der fettglänzenden Stirn, den verschwitzten Haaren, halbgeöffneten Augen, irgendwie schwabbelig aussehenden Oberarme und der Sliplinie, die unterm Kleid hervorschimmert.
Wenn alle Leute auf Partyfotos bescheuert aussähen, wären Partyfotos kein Problem. Leider gibt es aber Menschen, die das Glück hatten, in dem Moment, in dem der Partyfotograf abdrückte, wahnsinnig gut auszusehen. Das gelungene Partyfoto ist als Facebook-Profilbild beliebt, denn mit so einer seltenen Trophäe muss man hausieren gehen. Oft handelt es sich bei den Menschen, die auf Partyfotos gut aussehen, um Models. Deshalb sind Models auch so gern gesehene Partygäste. In unserer Gesellschaft herrscht die Meinung vor, dass eine Party, von der Bilder mit schönen Menschen drauf existieren, eine gute Party gewesen sein muss.
Zu meinem 18. Geburtstag lud ich meine Freunde zu einer Pop-Art-Party ein. Man sollte sich anziehen wie ein Kunstwerk. Die meisten Gäste konnten sich unter einem Pop-Art-Kostüm offenbar nichts vorstellen und kamen in Jeans. Nur mein guter Freund M. kam im türkisfarbenen Skianzug, dazu trug er Loafer. Er sah unmöglich aus, aber insgeheim beneideten wir ihn alle, denn er sah aus wie einer, der sich ganz prächtig amüsiert. Hier liegt die Lösung des Problems. Spaßhaben ist keine besonders ästhetische Angelegenheit. Gerade deshalb ist ein Partyfoto, auf dem man besonders dämlich aussieht, das einzig gelungene Partyfoto. Denn nach Spaß wollen wir doch alle aussehen, nicht wahr? Lieber hässlich und vergnügt, als schön und gelangweilt. Wer ein sympathisches Bild von sich abgegeben will, sollte auf der nächsten Party keine Gelegenheit ungenutzt lassen, besonders unvorteilhaft fotografiert zu werden (aber bitte nicht mit Zungerausstrecken und solchen Sachen – das Hässliche muss authentisch sein!)
Auf der Party, von der das Bild oben stammt, hatte ich übrigens den Spaß meines Lebens. Manchmal wird hinter meinem Rücken über mich schlecht geredet, hinterher erfahre ich dann über drei Ecken, wie mich die Leute so finden: zu kritisch, zu eingebildet, hält sich für was Besseres, weiß alles besser, ist elitär, und so weiter. Ich baue darauf, dass meine Partyfotos, auf denen ich alles, nur nicht elitär aussehe, meine vielen Kritiker besänftigen mögen.