Das neue Blond

BARBIE GIBT'S JETZT AUCH IN KLEIN UND RUND. LEIDER IST SIE IMMER NOCH ZU SCHÖN

1159526Barbie hat endlich Gesellschaft bekommen. Ihre neuen Freundinnen haben dunkle Haut oder rote Locken, eine ist klein und grünäugig, die andere hat Kurven und ein bisschen wurstige Beine. Es ist schön zu sehen, dass sich Barbie Blond, Geschäftsfrau, Astronautin und Oberärztin, nach 57 Jahren im Business endlich auch mit Frauen umgibt, die anders aussehen als sie. Und hübsch sind sie obendrein. Aber offenbar ist gerade das ein Problem.

Barbie war schon im Weltall, hatte aber leider auch schon immer eine Essstörung. Ihr Aussehen ist eine Verarschung: Wespentaille, die Beine doppelt so lang wie der Oberkörper, die Arme dürr, der Hals überlang. Finnische Wissenschaftler stellten fest, mit solch einem Körper könne Barbie gar keine Kinder kriegen. (Au wei. Für eine Puppe aus Plastik muss das ein echt schwerer Schlag gewesen sein.)

Barbie ist eine Kunstfigur, aber für viele kleine Mädchen bot sie immer eine Vorstellung davon, wie das Leben als erwachsene Frau einmal aussehen könnte. Sie wohnt in einem tollen Haus, hat einen Kleiderschrank zum Träumen und verdient ihr eigenes Geld. Was Kritiker bemängelten, ist, dass ihr immer das Identifikationspotential fehlte. Keine Frau auf der Welt sieht aus wie Barbie. Das liegt nicht nur daran, dass ihr Körper ein Witz ist. Auch gibt es einfach zu viele unterschiedliche Frauen, als dass eine einzige Puppe sie alle abbilden könnte. Deshalb hat Mattel jetzt die neue Barbiepuppenkollektion „Fashionistas“ herausgebracht, mit drei neuen Körpertypen, sieben Hautfarben, 22 Augenfarben und 24 Frisuren. Die Vielfalt der irdischen Weiblichkeit mag damit zwar vielleicht immer noch nicht ganz abgedeckt sein. Aber es ist eine schöne Geste des Herstellers – auch wenn die neue Kollektion als Antwort auf die Umsatzeinbrüche der Firma Mattel von zuletzt 20 Prozent gewertet wird.

Und doch ist die Entrüstung groß, zum Beispiel hierzulande. Typisch Deutschland: das Schönheitsideal eines Spielzeugs (!) wird vom Hersteller selbst angezweifelt und grundlegend überarbeitet. Und schon meldet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, es handele sich um nichts weiter als eine verlogene Marketingstrategie: tatsächlich sei das Barbie-Vorbild nur um weitere fragwürdige Ideale wie die „dralle Sexbombe“ erweitert, aber keinesfalls revidiert worden.

Klar, adipös ist keine der neuen Barbies. Pickel, Zellulitis und schlechte Laune haben sie auch nicht. Aber wir reden hier ja auch immer noch von einem Spielzeug, mit dem Kinder gerne spielen wollen sollen. Als ich sieben Jahre alt war, kaufte ich mir meine erste Barbie. Ich weiß gar nicht mehr, worin für mich die Faszination dieser Puppe lag. Wahrscheinlich waren es ihre Klamotten. Ihre Figur war es jedenfalls nicht. Ich hatte nie das Bedürfnis, wie Barbie auszusehen. Barbie war für mich eine Puppe, so wie Arielle eine Meerjungfrau und der Weihnachtsmann der Weihnachtsmann war. Etwas, das man gerade deshalb toll fand, weil es aus einer Fantasiewelt fern der Realität stammte. Vielleicht hätte Barbie gefährlichen Einfluss auf mein Selbstbild nehmen können, hätte ich sie mit 13 oder 14 Jahren kennen gelernt. Aber da ist man aus dem Barbie-Alter ja schon längst wieder raus.

Ich verstehe nicht, warum sich die Welt so über die Figur einer Plastikpuppe aufregt. Die Teletubbies haben doch auch nicht für mehr Fettleibigkeit unter Kindern gesorgt. Aber offenbar ist die Angst davor, die Gefahr einer Sache zu unterschätzen, ziemlich groß. Also wird sie lieber dramatisiert, sonst heißt es am Ende noch, weil man Barbie verharmlost habe, sei man Schuld daran, dass heute so viele Mädchen eine Essstörung hätten. 2006 wurde in England eine Studie durchgeführt, die herausfinden sollte, ob Barbie Einfluss auf das Selbstbild junger Mädchen nehme. 162 Mädchen zwischen 5 und 8 Jahren wurden Bilder von Barbie, anderen Puppen oder gar keinen Puppen gezeigt. In einer anschließenden Befragung gaben vor allem Mädchen aus der Barbie-Gruppe an, mit ihrem Körper unzufrieden zu sein. Das klingt in der Tat gruselig.

Aber warum führte man die Studie nicht mit älteren Mädchen durch? Jede 12-Jährige wird doch in der Lage sein zu erkennen, dass Barbie kein realistisches Vorbild ist – sondern ein Spielzeug. Und welches 5-jährige Mädchen macht sich ernsthaft und über einen längeren Zeitraum hinweg Gedanken über seine Figur? Als ich 5 Jahre alt war, naschte ich mittags nach dem Kindergarten aus dem Nutella-Glas und trank Vollmilch mit Himbeersirup. Wie meine Figur aussah, interessierte mich überhaupt nicht. Und auch bei anderen Frauen achtete ich nicht darauf.

Natürlich darf man nicht unterschätzen, wie unzufrieden heute viele Frauen mit ihrem Körper sind – und das meist völlig zu Unrecht. Bei mir ist es nicht anders. Ich bin schlank und esse gern, aber es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht über meine Figur Gedanken mache. Jedes Mal, wenn ich Karlie Kloss in der Vogue sehe, frage ich mich, warum sie diesen Körper bekommen hat und ich nicht. Ich habe ein Problem mit meinen Beinen, dabei habe ich wahrscheinlich tolle Beine. Ich schaue jeden Tag in den Spiegel und frage mich, wie lange ich wohl noch so aussehe wie jetzt. Es ist ein täglicher Kampf, und ich meine, dass es vielen Frauen so geht. Das ist aber kein Problem der Spielzeugindustrie, sondern der Modewelt. Dass man erwachsenen Frauen ernsthaft zutraut, sie würden in einem Kinderspielzeug ein begehrenswertes Vorbild sehen, ist eigentlich eine Frechheit.

Das ist ja überhaupt das Komische an der ganzen Barbie-Diskussion: Die Puppe ist für Kinder gemacht, aber die, die sich darüber aufregen, sind die Erwachsenen. Natürlich liegt es nahe, für die wirtschaftlichen Einbußen des Herstellers Barbies mangelndes Identifikationspotential verantwortlich zu machen. Weil kein Mädchen wie Barbie aussieht, möchte auch keines mit ihr spielen. Aber gerade deshalb ist es doch schön, dass Mattel jetzt auch Barbies mit kurzen Beinen verkauft. Die neue Vielseitigkeit der Puppe ist eine tolle Sache, die Modewelt könnte sich da etwas abschauen. In Nigeria gibt es jetzt sogar eine Bloggerin, die Barbie Scharia-taugliche Kleidung überzieht („Hijarbie„). Und gegen eine kurzhaarige Barbie oder eine Barbie mit Brille, wie das New York Magazine neulich anregte, hätte ich auch nichts einzuwenden. Aber eigentlich betrifft mich das ja alles gar nicht. Fragen wir lieber die Fünfjährigen.

„Hijarbie“, erfunden von der 24-Jährigen Haneefah Adam aus Nigeria