Kraut & Rüben #8 – NYC Spezial

NEUES AUS DEM GROSSEN APFEL!

Jetzt war ich schon wieder in New York. Jede Reise tut ein bisschen mehr weh. Dieses Mal habe ich die ersten drei Tage versucht, mir einzureden, diese Stadt sei doch nichts für mich. Zu laut, zu schrill, zu schwül, zu teuer, zu viele Läden, die einem von Rinderbrühe (der neueste Frühstückstrend, you read it here first) bis Lipgloss allen möglichen Quatsch andrehen wollen, zu viel Dreck, zu viele gestresst aussehende Leute. Eine Frau mit niedlichem Golden Retriever, mit der wir (mein Freund und ich) in einer Seitenstraße der Upper East Side ins Gespräch kamen, bestätigte dann noch, Berlin sei so amazing, was für ein Glück wir hätten, dort zu wohnen, I LOVE Berlin! Triumphierend und erleichtert liefen wir (vor allem: ich) weiter.

Aber dann kam der Abend, an dem ich an einer Balustrade in Red Hook, Brooklyn, stand, ein salziger Wind mein Haar zerzauste, am Horizont die Freiheitsstatue aus dem schwarzen Wasser ragte, daneben die Skyline Lower Manhattans funkelte, und ich dachte: I love Berlin too, BUT I LOVE NEW YORK MORE! Es war zwecklos, das Gefühl, genau hier und nirgendwo anders hinzugehören, länger zu unterdrücken. Für mich bleibt New York eine Stadt, in der es keine durchschnittlichen Tage gibt, die einfach so unbemerkt an einem vorbeiziehen. New York ist ein Ort, an dem ich mich durchgehend so fühle wie in der ersten halben Stunde nach einer sehr starken Tasse Kaffee: klar, wach, kribbelig, irre gut drauf. Und dafür braucht New York gar nicht viel zu tun. Es reicht schon, in der Dämmerung die Williamsburg Bridge hochzulaufen, runter auf die blinkenden Autos auf dem Highway am East River zu schauen und sich dabei zu fühlen, als sitze man in einem abhebenden Flugzeug. Ein Leben auf der Startbahn: das bietet nur New York.

Und weil ich mich immer noch weigere, von meiner New-York-Wolke runterzukommen, ist das hier heute ein Kraut-und-Rüben-NYC-Spezial – mit Dingen, die ich in der Stadt neu entdeckt habe oder inspirierend fand. Manches davon kann man auch aus der Ferne genießen, in Berlin oder Bielefeld, und vielleicht lindert es bei dem ein oder anderen sogar ein bisschen den ewigen New-York-Trennungsschmerz.

I. Sunny’s Bar, Red Hook

Bild: Stefano Giovannini

Kneipe mit bunten Lichterketten und Hafenflair. Vor der Tür kann man das Meer riechen und die Freiheitsstatue sehen. Man trinkt Bier oder heißen Cider mit Whiskey oder Rum. „It’s better with Rum“, sagte Lily, die Barfrau mit blonder Amy-Winehouse-Frisur, und kippte einen kräftigen Schuss in meine Tasse. Sie war ein bisschen füllig und auf sehr sympathische Weise sexy. Später trat eine Folk-Band aus fünf cowboybehüteten Typen auf, eine Gruppe älterer Frauen (offensichtlich Stammgäste) fing sofort an zu tanzen und elektrisierte den ganzen Raum. Sunny’s ist wahrscheinlich die beste Bar, in der ich in meinem Leben war.

II. Hometown BBQ, Red Hook

Foto: Hometown

Die Grundlage für Lilys rumgetränkten Apfelwein bekommt man im Restaurant Hometown, das zwei Gehminuten von der Bar entfernt liegt. In einer Art Scheune mit Amerika-Flagge an der Wand und Lampions an der Decke werden Pulled Pork und geräucherte Rinderbrust gegrillt. Wir haben die Ribs gegessen – auf Papptellern, mit süßem Maisbrot, sauren Gurken und Krautsalat. Das Fleisch war so zart, dass man es mit einem Zahnstocher hätte zerschneiden können.

III. Die Tapete im Badezimmer des Wythe Hotel, Williamsburg

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I wish I could pee here more often

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Dank großzügiger Freunde und ihren Sofas können mein Freund und ich in New York immer umsonst wohnen (ohne diesen Vorteil könnte ich mir die jährlichen Trips dorthin ganz abschminken – eine Hotelübernachtung kostet in New York so viel wie der Transatlantikflug). Beim Spaziergang durch Williamsburg habe ich allerdings einen Abstecher in das Badezimmer des Wythe Hotel gemacht und dabei die schönste Tapete der Welt entdeckt. Seitdem suche ich im Internet nach Tapeten.

IV. „Escapade“ von Sergio Selim

Diese Version des ursprünglich von Janet Jackson gesungenen Songs „Escapade“ habe ich an unserem letzten Abend in der Bar 67 Orange Street in Harlem gehört, vielleicht mein Lieblingsort in ganz Manhattan. Die Bar ist nach der Adresse benannt, an der in den 1840er Jahren Almack‘s Dance Hall lag, eines der ersten von Afroamerikanern gegründeten Lokale in der Stadt. Der Typ hinterm Tresen ist so cool, dass ich mich auch sehr gut alleine dort hätte hinsetzen und ihm den ganzen Abend dabei zugucken können, wie er zwei Shaker gleichzeitig in die Luft warf und Grapefruitscheiben für seinen Old Fashioned anzündete. Alles Show natürlich, aber mich beeindruckt sowas. Im Hintergrund lief toller R&B, darunter auch dieses Lied.

V. Rosenkohl mit Pistazien und Parmesan

Im 67 Orange Street kann man auch essen, und zwar Soulfood wie Fried Chicken Slider mit Avocado (umwerfend) oder, spannend, gegrillten Rosenkohl mit Balsamico, Pistazien und Parmesan. Ich bin kein Rosenkohlfan, aber dieses Gericht ist im 67 Orange Street zurecht ein Bestseller. Ich habe jetzt versucht, es nachzukochen – hat funktioniert! Hier ist das Rezept:

Für zwei Personen 500 Gramm Rosenkohl waschen, trocknen und halbieren. Den Ofen auf 210 Grad Celsius vorheizen und dabei ein Backblech auf die unterste Stufe stellen. Die Rosenkohlhälften mit vier Esslöffel Olivenöl, etwas Salz und Pfeffer mischen und mit der Schnittseite nach unten auf ein Backpapier auf das heiße Blech legen. Circa 20-25 Minuten im Ofen rösten, bis der Rosenkohl innen weich und außen knusprig ist. Inzwischen 80 Milliliter Balsamico-Essig mit 40 Gramm Zucker in einem Topf aufkochen und auf niedriger Stufe 3-4 Minuten köcheln lassen, bis die Flüssigkeit sirupartig eindickt. Anschließend vom Herd nehmen (sie dickt beim Erkalten noch mehr ein). Den gerösteten Rosenkohl in eine Schüssel geben, den Balsamico-Sirup darüber gießen, geröstete Pistazien (Mandeln gehen auch) dazu geben und Parmesan darüber hobeln. 

VI. Sarah Lucas im New Museum

Sarah Lucas ist die Frau mit den Spiegeleiern auf der Brust, das Bild kursiert regelmäßig auf Instagram. Die englische Künstlerin macht aber viel mehr als Spiegeleierbraten, nämlich: Fotos von Baumgabeln, die aussehen wie ein Schritt, Roboterhände, die die männliche Masturbationsbewegung nachahmen, Würste aus Stoff und Nylonstrümpfen, die sich wie laszive Frauenbeine auf Stühlen rekeln. Das New Museum zeigt ihre Arbeiten gerade unter dem Titel „Au Naturel“, und diese Ausstellung ist wirklich eine Übung in Sachen Ekelüberwindung. In einem Video seziert Sarah Lucas auf sehr komische Weise eine Banane, in einem Kurzfilm mit dem Titel „Egg Massage“ reibt sie einen nackten Mann mit rohen Eiern ein. Je länger ich hinsah (man kann nämlich nicht wegsehen), desto nachdrücklicher fragte ich mich: Wieso finde ich das eigentlich eklig?

VII. „Powerful Women Talk About Power (And Powerlessness)“ im New York Magazine

Bild: New York Magazine

Das New York Magazine hat für seine aktuelle Ausgabe über 70 Frauen, darunter Anna Wintour, Anita Hill und Stormy Daniels,  zum Thema Macht und Machtlosigkeit interviewt. Nicht alle, aber viele der Protokolle und Interviews sind sehr lesenswert. Die Fernsehmoderatorin Megyn Kelly, die Donald Trump wiederholt öffentlich gedemütigt hat (unter anderem mit seinem „blood coming out of her wherever“-Kommentar), erklärt zum Beispiel, warum sie bewusst ein Spaghettiträgerkleid bei der Berichterstattung vom Parteitag der Republikaner im Jahr 2016 trug. Und Nina Burleigh erläutert, was die Trump-Frauen mit Donalds Erfolg zu tun haben.

VIII. „On Tyranny: Twenty Lessons from the Twentieth Century“ von Timothy Snyder

In der New School haben wir einer Podiumsdiskussion zwischen Jelani Cobb (Autor beim New Yorker), Jason Stanley (Professor für Philosophie in Yale) und Timothy Snyder (Historiker in Yale) beigewohnt, es ging darum, wie Faschismus funktioniert. Ich fand es so spannend, dass ich, ganz die kleine Hörsaalstreberin, mitschrieb und hinterher sogar Snyders Werk „On Tyranny: Twenty Lessons from the Twentieth Century“ kaufte, ein Büchlein mit praktischen Ratschlägen dafür, was man aus den tyrannischen Regimen des 20. Jahrhunderts lernen kann, damit sie nicht wiederkommen. Zum Beispiel:

„Be kind to our language. Avoid pronouncing the phrases everyone else does. Think up your own way of speaking, even if only to convey that thing you think everyone else is saying. Make an effort to separate yourself from the internet. Read books.“

Auf Deutsch ist das Buch bei C.H. Beck erschienen.

IX. Samtkissen bei John Derian

Ich träume ja davon, eines Tages so zu wohnen wie eine alte Lady auf der Upper West Side. Das Geschäft der New Yorker Designer John Derian, der im West Village einen kleinen Laden betreibt, liefert die passende Ausstattung für meinen Traum: Leopardenteppiche, gläserne Briefbeschwerer, geblümte Teekannen und Samtkissen mit Fransen, von denen ich gerne eines mitgenommen hätte, wäre da nicht meine Einkaufssperre gewesen (ich hatte mir verboten, in New York Geld für etwas anderes als Essen und Kultur auszugeben). Die Kissen kommen allerdings aus Deutschland, und zwar von der Designerin Anke Drechsel. Und auf deutschem Boden gilt meine Einkaufssperre nicht!

X. „The Vanity Fair Diaries: 1983–1992“ von Tina Brown

Zwar nicht in New York entdeckt, aber dort angefangen zu lesen habe ich die Tagebücher von Tina Brown, die von 1983 bis 1992 das Magazin Vanity Fair vorm Untergang rettete und zu Ruhm und Ehre führte. Dank Tina Browns humorvollem, unverblümten Stil ist das Buch etwas für Journalisten und Medienlaien gleichermaßen. Obendrein erzählt es viel über die Vorurteile und den unverblümten Sexismus, der Frauen damals gerade im beruflichen Umfeld entgegenschlug – dagegen leben wir heute im Paradies! Hier ein Auszug (aus der Zeit kurz vor Browns Berufung zur Chefredakteurin, als sie allerdings schon auf das Jobangebot wartete):

Saturday, September 10, 1983: 

The suspense about VF is now making me a basket case. I went to see wonderful Dr. Tom Stuttaford for sleeping pills and he was at his tweedy best. I told him about all my mixed-up longings. „Hmm“, he said. „I never did understand your infatuation with America. I tried it once and wouldn’t dream of making it a habit.“ He removed his fountain pen and wrote a new prescription with an inky flourish. „Here’s my diagnosis, Tina. Buy a large house in the country, have a couple of babies, and just accept you are complicated.“ In other words, just go off and be a wife.

Kaufen kann man das Buch hier.