Letztes Jahr war ich acht Mal in Italien. In Venedig saß ich spätabends in einer Hotellobby unter neongrellen Kronleuchtern, während aus den Lautsprechern süßer Teenie-Pop plärrte. In Rom trank ich zum Frühstück Espresso mit Schokolade. Am Kalterer See in Südtirol trug ich drei Tage lang nichts anderes als gelb-weiß gestreifte Handtücher. In Florenz bekam ich kein Taxi. In Apulien servierte mir eine 85-jährige Nonna in gestärkter blauer Schürze ein Viergängemenü. Zwischendurch fuhr ich dreimal beruflich nach Mailand. Auf all diesen Reisen dachte ich über das komische Verhältnis zwischen Deutschland und Italien nach. Wir Deutschen lieben Italien, wir sehnen uns danach. Und gleichzeitig fühlen wir uns dem Land überlegen. Zwei Augustwochen lang ernähren wir uns von nichts als Mozzarella und Espresso, wir versuchen, die typische Dreifinger-Mamma-Mia-Handbewegung zu imitieren, wir lernen, wie man auf italienisch eine Postkarte kauft, wir brettern achtlos über Zebrastreifen, springen von vier Meter hohen Felsen ins Meer und lassen uns tonnenweise handbemalte Keramik aufschwatzen, die kaum in den Koffer passt. Wir fühlen uns verwegen, glamourös, am Leben.
Dann kommen wir nach Hause und kehren zurück zu unseren Lowcarb-Diäten, schimpfen über Fußgänger auf dem Fahrradweg und Leute, die bei Rot über die Ampel gehen, wir machen um 12:30 Uhr kurze, brave Mittagspausen, stellen die handbemalten Keramikteller für „besondere Anlässe“ in den Schrank und schauen abschätzig auf den viel zu bunten Minirock der neuen Praktikantin.
Komisch, dass wir Italien so lieben und uns doch nicht mal ein winzig kleine Ciabattascheibe von der italienischen Lebensart abschneiden können (Tschiabatta, wie der Deutsche übrigens sagt), ja, wie wir die Italiener eigentlich sogar ein bisschen dubios finden mit ihren theatralischen Gesten, ihrer prolligen Popmusik, ihren aufgeblasenen, animalische Posen einnehmenden Fußballspielern und ihrer grellen Neonbeleuchtung. Wobei man, apropos Neonlicht, in Italien ja ausgerechnet in den etwas unterweltlich eingerichteten Restaurants (Zimmerpflanzen, vergilbte Lamellenvorhänge, kaltes Licht, keine Terrasse, man sitzt auch bei 30 Grad drinnen) das beste Essen bekommt. Und wobei, apropos Fußballer, Matthias Brandt letztes Jahr in einem Interview das frühe WM-Aus der deutschen Fußballmannschaft mit dem Argument vorhersah, dass die (nicht qualifizierten) Italiener fehlten: „In jedem Turnier war stets dies die entscheidende Frage: Wann kommt Italien? Sollte es jetzt in Russland früh zu Ende gehen für die deutsche Mannschaft, vielleicht könnte man die Theorie aufstellen, dass es nicht funktioniert hat, weil die Italiener nicht dabei waren. Wir brauchen die als Bezugsgröße, weil sich das ganze Konzept darauf ausrichtet: Alle Spiele der Deutschen sind im Grunde immer nur eine Vorbereitung auf das Spiel gegen Italien.“
Eine schlaue Erklärung, finde ich, die wahrscheinlich für die deutsch-italienische Beziehung im Allgemeinen gilt. Wir lieben Italien, weil wir so gar nicht italienisch sind. Weil wir das Land irgendwie um seinen Swag beneiden, aber gleichzeitig niemals von unserer schönen deutschen Swaglosigkeit abweichen wollen. Gegensätze ziehen sich an, so sagt man ja. In diesem Sinne – und auch weil der deutsche Juli gerade auf sehr deutsche Temperaturen herabgekühlt ist – anbei ein paar wärmende Bilder vom italienischen Sommer. Wer bis ganz nach unten scrollt, findet zusätzlich eine Liste meiner Lieblings-Neonlicht-Italiener.
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Meine Lieblings-Italiener in Italien (mit Neonbeleuchtung):
– Mailand: Trattoria Ottimofiore
– Rom: Tavernaccia da Bruno
– Rom: Flavio al Velavevodetto
– Grottaglie, Apulien: Macchiaviva Bistrot
– Ostuni, Apulien: Osteria del Tempo Perso
– Otranto, Apulien: Agriturismo da Marta
Fotos: Claire Beermann und Johannes Dudziak