Wie ich fast Brad Pitt getroffen hätte

UND WAS DER FILM "ONCE UPON A TIME... IN HOLLYWOOD" ÜBER RUHM LEHRT

Ich hatte mich nie groß für berühmte Menschen interessiert. Als Kind hatte ich keine Poster an meinen Zimmerwänden hängen. Ich war kein Fan von irgendwem. In den seltenen Fällen, in denen ich beim Zahnarzt im Wartezimmer mal die Gala las, fühlte ich mich immer ein bisschen schmutzig. So als hätte ich bei anderen Leuten durchs Schlüsselloch gespäht – naja, was anderes ist Gala-Lesen ja auch nicht. Mir war ziemlich egal, was „die Stars“ den ganzen Tag so trieben. Als ich 10 Jahre alt war, sah ich bei einem Rom-Besuch zufällig den Papst. Das war 10 Sekunden lang aufregend, mehr nicht. Aber klar, es war halt auch der Papst und nicht Brad Pitt.

Den sah ich vor zwei Wochen. Plötzlich war alles anders.

Man hatte mich zur Berlin-Premiere des neuen Films von Quentin Tarantino eingeladen, „Once Upon A Time… in Hollywood“ (ab 15. August im Kino). Der Regisseur und die Hauptdarsteller höchstpersönlich würden da sein. Ich war noch nie auf einer Filmpremiere gewesen. Ich wusste nicht, wie das abläuft: Wie groß so eine Premiere ist, wie viele Leute da kommen, hunderte nämlich! Dass der Film nicht in einem Kinosaal, sondern in mehreren gleichzeitig gezeigt wird. Dass der rote Teppich eher eine rote Straße ist, gesäumt von kreischenden Fans, die sich zum Kreischen und Gaffen extra anmelden müssen, obwohl sie nicht mal den Film zu Gesicht bekommen. Als ich ankam, musste ich meinen Personalausweis zeigen, eine Hostess gab mir ein Ticket mit der Aufschrift „Kino 7“ und band mir ein gelbes Bändchen ums Handgelenk. Quentin Tarantino, Brad Pitt, Leonardo DiCaprio und Margot Robbie waren noch nicht da. Ich überlegte, was strategisch am sinnvollsten wäre. Am Fuß des roten Teppichs stehen bleiben und warten? Den Teppich Richtung Kinosaal runterlaufen und dort auf einen guten Aussichtspunkt hoffen? Es war plötzlich extrem wichtig für mich, Brad Pitt zu sehen. Vielleicht sieht er mich dann ja auch, dachte ich. Vielleicht falle ich ihm sogar ins Auge, vielleicht denkt er, wer ist denn dieses Mädel da hinten, vielleicht sollte ich die nachher mal zum Abendessen einladen? So tagträumte ich vor mich hin und schämte mich ein bisschen dabei. Seit wann war ich denn promigeil?

Als Brad schließlich in seiner Limousine auf den roten Teppich gerollt kam und mit schwarzer Sonnenbrille, lässig gegeltem Haar und schwarzem Sakko-Hemd-Outfit unter Jubelgeschrei aus seinem Wagen stieg, war ich weit weg. So weit weg, dass ich das Geschehen nur über eine bescheuerte Leinwand verfolgen konnte, die hoch über der Menschenmenge im Sony Center aufgebaut worden war, damit auch die Loser unter den Anwesenden, zum Beispiel ich, einen Blick auf „die Stars“ erhaschen konnten. Die Sicherheitsleute hatten mich nämlich längst rüber zum Kinogebäude gescheucht, das am anderen – in diesem Moment: falschen – Ende des ungefähr 200 Meter langen, gewundenen roten Teppichs lag. Nicht mal am Eingang dieses Gebäudes, von wo aus man eine gute Sicht auf die Fotowand gehabt hätte, vor der die Schauspieler jeden Moment posieren würden, durfte man stehen. Ich ging rückwärts, sehr langsam und in Schlangenlinien auf den Eingang zu, um den Moment, in dem man mich endgültig in den Kinosaal abführen würde, noch ein bisschen hinauszuzögern. Vor der Fotowand posierten deutsche Promis, Otto Walkes, Yvonne Catterfeld. Nie habe ich die deutsche Prominenz, ja eigentlich ganz Deutschland, mehr gehasst als in diesem Moment. Ich wollte endlich echten Ruhm sehen.

Auf der Leinwand winkte Brad Pitt, er lächelte sexy und gab Autogramme. Er war keine zweihundert Meter von mir entfernt, so nah und doch so verdammt weit weg. Ich hatte mich nicht nur nie für Prominente interessiert, mir war eigentlich auch immer klar gewesen, dass Berühmtsein eine total würdelose Angelegenheit ist, weil man dann ja nicht mal in Ruhe in ein Restaurant oder einen Buchladen gehen kann, ohne die ganze Zeit wie ein seltenes Zootier angestarrt oder von Passanten angefallen zu werden, die mit dir Fotos machen wollen. Und trotzdem überkam mich in diesem Moment, als ich Brad Pitt beim Superstarsein beobachtete, eine tiefe Sehnsucht danach, selbst berühmt zu sein. Ich stellte mir vor, wie ich wunderschön frisiert und angezogen über einen roten Teppich schweben würde, ich, strahlender Filmstar, mit geübter Handbewegung lässig in die aufkreischende Menge winkend. „Claire! Claire!“ würden sie brüllen und das Blitzlicht der Kameras würde gewittern und alle wären total aufgeregt und hysterisch, einfach deshalb, weil ich da war.

„Die Zuschauer lieben dich nicht“, hat der Regisseur Leander Haußmann mal in der ZEIT erklärt. „Sie lieben sich selbst. Sie spielen ihre Selbstliebe über Bande, sodass sie zu ihnen zurückkommt.“ Brad Pitt und Leonardo DiCaprio und Margot Robbie waren nicht nach Berlin gekommen, um sich von uns Normalsterblichen verehren und feiern zu lassen. Sie waren da, das verstand ich in diesem Moment, um uns die Illusion zu schenken, zumindest für diesen kurzen, süßen Augenblick nicht bloß unsichtbare Langweiler zu sein, sondern selbst wichtig und bewundernswert. Es ging hier nicht um Brad Pitt, es ging hier um mich. Brad Pitt war tatsächlich nichts anderes als ein sehr schön geratenes Zootier, das sich brav in seinem rot beteppichten Käfig drehte und wendete und von allen Seiten zeigte, während die Leute kreischten und Videos machten und sich toll fühlten.

Ich machte auch eins, heimlich und beschämt, als er endlich an mir vorbeilief. Ich stand auf einer Treppe, die runter zu den Kinosälen führte und auf der man eigentlich auch nicht stehen durfte, aber das war selbst den Sicherheitsleuten egal, als Brad Pitt schließlich den roten Teppich verließ und das Gebäude betrat. Dann war er wieder weg. Gleich würde er mit Leonardo DiCaprio, Margot Robbie und Quentin Tarantino im Kinosaal 8 auf die Bühne treten – nur dort! – , dem Saal, in dem die Journalisten saßen und in dem ich auch hätte sitzen sollen, hätte man mir am Eingang nicht das falsche Ticket und das falsche Bändchen gegeben, weshalb ich im Kino 7 saß, erst ahnungs-, dann fassungslos, als mir klar wurde, was passiert war. Es war zu spät, um zurück zum Eingang des Sony Centers zu rennen und das Irrtum aufzuklären. Ich war zu stolz, um zu heulen, obwohl mir sehr danach war. Über die Leinwand im Kino 7 wurde das Geschehen aus Kino 8 live übertragen, ein schäbiger Trost, genau so schäbig wie das natürlich gut gemeinte Angebot meines Freundes, der in Kino 8 saß: „Ich mache Videos, die kann ich dir dann später zeigen“, schrieb er mir. Ich kochte. „Freu dich doch, hier zu sein. Genieß den Film!“

Stimmt – der Film!

„Once upon a time… in Hollywood“ handelt von dem einst sehr erfolgreichen Western-Schauspieler Rick Dalton (Leonardo DiCaprio), der das Ende seiner Karriere ahnt und darüber in eine Krise stürzt. An seiner Seite ist sein Stuntman Cliff Booth (Brad Pitt), der meistens arbeitslos ist, Dalton aber überall hinfährt und Hausmeisterarbeiten für ihn erledigt. In der Nachbarschaft wohnt die aufstrebende Schauspielerin Sharon Tate (Margot Robbie) mit ihrem Freund Roman Polanski (Rafal Zawierucha). Es ist das Jahr 1969, und wer die wahre Geschichte kennt, ahnt, dass der Film mit den schrecklichen Manson-Morden enden wird – falls sich Tarantinos Drehbuch an die wahre Geschichte hält. Soweit die grobe Handlung, die aber nur Kulisse ist, denn tatsächlich geht es in „Once upon a time“ um die Filmemacherei selbst, die im Hollywood der sechziger Jahre ihre Blütezeit erlebte. Entsprechend sind die Szenen schön nostalgisch ausgeleuchtet: die Drinks sind goldorange, die Jeans indigoblau, die Haare flattern, die Leuchtreklamen blinken, aus offenen Autofenstern weht California Dreamin’.

Es ist ein Film über eine Industrie, in der Traum und Tragödie sehr nah beieinander liegen. Hollywood ist ja beides: die junge Newcomerin, die sich im Kino aufgeregt in ihren eigenen Film schleicht; der gealterte Star, der dem eigenen Verfall zuschauen muss und ihn nicht aufhalten kann. Es gibt eine besonders großartige Szene, in der Rick Dalton in seinem Trailer komplett ausrastet, einen richtig tollen, DiCaprio’schen Wutausbruch hinlegt, nachdem ihm zuvor am Set sein Text entfallen ist. Er schwört sich, das Saufen endlich einzustellen, er hält seinem Spiegelbild eine Standpauke, und inmitten dieses ganzen Stress greift er zum Flachmann, um sich abzureagieren. Oh, wie gut wusste ich in diesem Moment, wie es ihm ging! Ich, die ehrgeizige Journalistin, aussortiert und ins Kino für die unwichtigen Gäste gesteckt. Vielleicht war es ja doch kein Versehen. Vielleicht hatten sie mich absichtlich in diesen Saal geschickt, um mir zu zeigen, wie egal ich war. Vielleicht war das mein Ende, und ich konnte nichts dagegen tun, außer wutschnaubend im falschen Kino zu sitzen und mich lächerlich zu machen.

Andererseits hatte mein Freund total recht. Immerhin war ich da, saß in einer Gratis-Vorführung dieses filmischen Meisterwerks. „Once upon a time… in Hollywood“ ist nämlich nicht nur ein Film über die Filmemacherei, es ist auch eine Ode an das Kinoerlebnis. Man muss diesen Film unbedingt im Kino sehen. Nur dort, mit den richtigen Lautsprechern und der pechschwarzen Dunkelheit um einen herum, spürt man das Röhren der Motoren und das Knirschen splitternder Knochen, als stünde man direkt daneben. Man sieht in Nahaufnahme, wie das Dosenfutter in den Hundenapf glitscht, wie die Ratte in ihrer Falle winselt, wie das Blut auf den Stein spritzt und der Pferdehuf in den trockenen Sand stößt. Es ist ein opulentes, höllisches Spektakel. Heute geht ja kaum noch einer ins Kino, alle gucken Netflix, während ein Auge immer aufs Handy schielt. Aber es war einmal eine Zeit, da war das Kino noch die mächtigste Unterhaltungsindustrie der Welt, und an diese Zeit erinnert der Film in seinen kraftvollen Farben, mit seinen Superstarschauspielern, mit seinen perfekt konstruierten Szenen, von denen manche so gedehnt sind wie ein genüsslich aus dem Mund gezogenes Kaugummi. Aber das gehört so, es gibt in diesem fast dreistündigen Film keinen Satz und kein Bild zu viel, alles hat eine Bedeutung, die man früher oder später erkennt.

Hinterher wankte ich etwas benommen, aber tief beeindruckt aus dem Saal. Draußen standen mein Freund und andere Journalisten vor Kino 8. Sie sahen aus wie immer: normale, unberühmte Menschen. Ihre Blicke wirkten etwas leer, fast traurig. So besonders, sagten sie, sei es nun auch nicht gewesen, die Schauspieler zu sehen. „Ich kann dir meine Videos zeigen“, sagte eine Freundin. Ihre Live-Begegnung mit Hollywoods Allergrößten, ihre winzige Kostprobe vom Ruhm schien sie nicht verwandelt zu haben, sondern eher enttäuscht. Sie waren immer noch die gleichen, während Brad Pitt längst im Borchardt saß. Vielleicht, dachte ich da, war es ganz gut, dass ich im falschen Kino gesessen hatte. Ruhm ist eben nur aus der Ferne schön. Oder auf der Leinwand.