Anziehen ohne Spiegel

FUNKTIONIERT WIRKLICH!

tumblr_nfapylRX9s1qafi93o1_1280Es kursiert das Gerücht, dass Gäste der Fashion Week morgens drei Stunden vor dem Kleiderschrank verbringen und sich jedes einzelne Outfit für die Woche zurechtlegt. Ich stelle mir ein Outfitwürfeln dieser Art wie ein Puzzlespiel vor, bei dem man stundenlang verzweifelt nach dem passenden Teil sucht und irgendwann in einem Anfall von Trotz und Ungeduld einen falschen Baustein an das offene Puzzle-Ende hängt, nur um endlich mal voran zu kommen. Aber sicher doch, man hat ja sonst nichts zu tun.

Gerüchte wie dieses entstehen, weil sich viele Leute nicht vorstellen können, dass Modemenschen tatsächlich auch noch andere Dinge im Kopf haben als die Neusortierung ihrer Handtasche. Um es kurz zu machen: ich habe beim morgendlichen Ankleiden für die Fashion Week kein Mal länger als drei Minuten gebraucht. Das lag nicht daran, dass ich ein Kombinationsgenie bin. Viel simpler: ich habe in meinem New Yorker Zimmer keinen Spiegel. Alles, was ich morgens in der Scheibe des Badezimmerschränkchens zu Gesicht bekomme, sind meine Augenringe. Vielleicht noch den Ansatz meiner Schultern. Abgesehen davon habe ich keinen blassen Schimmer davon, wie ich aussehe, wenn ich das Haus verlasse.

Seit dieser spiegelfreien Modewoche möchte ich definitiv für eine Welt mit weniger Spiegeln plädieren. Ohne Spiegel weiß man nicht, wie man aussieht und kann dementsprechend auch nicht an seiner Erscheinung zweifeln. Man greift tatsächlich mehr oder weniger blind in den Schrank, zieht das über, wovon man sich auf rein intuitiver Basis theoretisch vorstellen kann, dass es ganz anständig aussieht, und mischt sich dann unters Volk. Kein langes Hin und Her, ob man nicht doch noch mal die runden statt der spitzen Schuhe zu dieser Hose anprobieren, oder den gepunkteten Rock durch einen gestreiften ersetzen sollte…

Erst in der U-Bahn, wenn einen die eigene Reflektion aus der Plexiglasscheibe der Schiebetüren anstarrt, stellt man dann fest, dass man tatsächlich ein Ballkleid zu Badelatschen angezogen hat. Meine Modewochen-Outfits waren allesamt improvisiert, ich trug Adiletten zum Cocktailkleid, meine Abiball-Robe über einer überweiten Anzughose, ein zum Lolita-Top umfunktioniertes Herrenhemd und ein drapiertes Seiden-Oberteil, dass ich zwischen zwei Schauen rein zufällig im New Yorker Second-Hand-Shop meines Vertrauens für 34 Dollar erwarb. Damit hätten wir dann auch das letzte Gerücht aus der Welt geschafft: dass man zum Ankleiden für die Fashion Week außer eines riesigen Spiegels auch noch einen begehbaren Kleiderschrank braucht. Ich habe in New York gar keinen Kleiderschrank. Meine Klamotten hängen, aus Platzmangel, an der Gardinenstange.tumblr_nfaq1myHDN1qafi93o1_1280 jessiebush_wethepeople_streetstyle_offshoulder2streetstyle15364-web streetstyle15355-diptych

Outfit 1: Sonnenbrille von Ace & Tate, Hemd von Wood Wood, Rock von Jacquemus, Espadrilles von Max Mara, Handtasche von & Other Stories

Outfit 3: Weißes Bustierkleid von Vika Gazinskaya, schwarzer Blazer (um die Hüfte getragen) 
von St. Emile
Outfit 4: Asymmetrisches Kleid und dunkelblaue Smokinghose, beides von Acne
Outfit 5: Top von A Détacher, Jeans von Levi’s (beides Second Hand), 
Holzclutch von & Other Stories, Mules von Tibi.