Kuchen zum Frühstück

KITSCH MIT STIL: DIE BAR LUCE VON WES ANDERSON IN MAILAND

IMG_2479Über Mailand wusste ich nichts, außer, dass es hässlich, aber toll sein sollte. Solche Städte klingen immer aufregend. Wer will schon dahin, wo es hübsch ist? Je hübscher die Stadt, desto langweiliger. Aber Paris! könnte man jetzt schreien, ja aber, Paris ist, so wunderschön ich es finde, auch nicht hübsch, sondern eigentlich ziemlich verwegen, stellenweise sogar etwas gruselig. So ungefähr habe ich auch Mailand erlebt.

Tatsächlich war es mein erstes Mal in der Stadt, entsprechend habe ich mich ungefähr dreiundvierzig Mal verlaufen. Es ist aber auch einfach zu verführerisch, in einen dieser klapprigen Tram-Waggons zu steigen und zu gucken, wo man landet. Auf diese Weise kam ich selten pünktlich zu den Schauen der Männermode, für die ich angereist war (dazu bald mehr im ZEITmagazin – meinem neuen Arbeitgeber!), dafür aber an ganz magische Orte – zum Beispiel zur Pasticceria Cucchi, einer traditionellen Konditorei mit Kronleuchtern, Tortenvitrinen und diesen hässlichen altrosa Tischdecken, wie man sie in so vielen italienischen Restaurants sieht. Ich trank einen Caffé Lungo und einen frischgepressten Orangensaft und aß ein Himbeertörtchen und eine Brioche mit Pistazienfüllung Marke Zahntod. Zum Frühstück. Es war ein Fest.IMG_2478IMG_2477IMG_2476Mailand ist toll, weil es noch diese Orte hat, die man in keiner anderen Stadt findet. Man kann hier ins Café oder Restaurant gehen, ohne von glutenfreien Schokoladenkuchen und Sojamilch und Quinoa-Salat heimgesucht zu werden. Es gibt keine Chia-Joghurts, Acai-Bowls oder Green Smoothies, nicht mal eine Avocado habe ich erspäht. Es gibt auch keine langen Holztische mit nackten Glühbirnen darüber, keine Kaktuspflanzen und keine Kinfolk-Abonnements, keine tätowierten Baristas, die aus Australien kommen, über Kaffeebohnen fachsimpeln wie andere Leute über Automotoren und eine Dreiviertelstunde brauchen, um einen „Flat White“ zu produzieren. Mailand ist so überhaupt nicht trendy, dass es tatsächlich total im Trend liegt: weil es authentisch ist, aber echt authentisch, nicht so kommerz-authentisch, wie es einem mittlerweile sogar McDonald’s zu verkaufen versucht. Mailand hat diese altmodisch-elegante Rottigkeit, wie man sie heute vielleicht wirklich nur noch in Italien findet.

Der tollste Ort, den ich in Mailand entdeckte, war die Bar Luce in der Fondazione Prada. Was sage ich, toll ist untertrieben. Die Bar Luce ist der perfekte Ort, der Himmel auf Erden. Ganz im Süden der Stadt, in einem Brachland, umgeben von Bahngleisen und Hochhäusern, liegt das Café hinter einer unscheinbaren Betonfassade. Wes Anderson – ja! Der Wes Anderson! – hat es eingerichtet und allein das macht diesen Laden zu einem Ort, den man nie wieder verlassen möchte. Denn wie oft hat man sich schon in die dekorative Wes-Anderson-Welt mit ihren rauchenden Schornsteinen und klapprigen Aufzügen und rosafarbenen Fassaden und livrierten Hotelportiers hineingeträumt?

In der Bar Luce gibt es Regale mit Bonbongläsern und Vitrinen mit Torten und Schinkenkeulen und Obstsalat in Kristallschalen und Krapfen mit Marmeladenfüllung und Erdbeertörtchen in plissierten Papierförmchen. Es gibt Zissou-Spielautomaten, Sitzecken mit minzfarbenen Lederpolstern, und Tassen, Servietten und Zuckerpäckchen mit rosafarbenem Bar-Luce-Schriftzug. All das könnte man für mindestens so künstlich wie Disneyland halten, dabei ist es tatsächlich total echt, nämlich echt Wes Anderson. Man fühlt sich hier wie in dem Puppenhaus, in das man als Kind immer einziehen wollte – so wie ja auch ganz Italien irgendwie ein Pippi-Langstrumpf-Land ist, mit seinen schlitzohrigen Politikern, Kuchen zum Frühstück und Eiscreme als Nationalgericht. Und doch wird man in der Bar Luce das Gefühl nicht los, dass der ganze Kitsch am Ende doch Kalkül folgt: nämlich die Verstaubtheit altehrwürdiger Etablissements wie der Pasticceria Cucchi mal heimlich aufs Korn zu nehmen. Vielleicht ist die Bar Luce deshalb viel mehr als nur eine verwunschene Filmkulisse – nämlich ein humorvolles Statement zur trotzigen Rückständigkeit Italiens.  IMG_2471 IMG_2474 IMG_2470IMG_2472 IMG_2475 IMG_2473