Mode macht hungrig

EIN MONAT, VIER STÄDTE, ZWANZIG RESTAURANTS

Bei meiner ersten Fashion Week in Paris war ich fast nirgendwo eingeladen. Ich war für volle sieben Tage angereist und ging auf sechs Shows, bei zwei davon schlich ich mich ohne Einladung rein, bei allen anderen wurde ich abgewiesen. Es war ein bisschen deprimierend und sehr langweilig. Also ging ich essen. Sehr viel essen. Die Pariser Restaurants haben mich in dieser Woche gerettet. Sie boten mir Zuflucht vor den keifenden PR-Frauen, die mich, den Eindringling, nicht reinlassen wollten und wie eine Fliege verscheuchten: „Step aside!“ Die Kellner behandelten mich wie einen Promi in der Front Row.

Heute fahre ich gerne zu den Modewochen. Die vielen gut gekleideten Menschen, der Glamour, der in der Luft knistert, die neuen Kleider auf den Laufstegen, das alles finde ich sehr erfrischend. Und doch sind die Restaurants, in denen ich abends allein meine Gedanken sortiere oder mich mit Kollegen über die neuesten Ermittlungsergebnisse im Fall Kardashian unterhalte, oft der schönste Teil des Tages. Außerdem macht die Jagd von einer Veranstaltung zur nächsten, die Suche nach Geheimeingängen zu Show-Locations und der Anblick abgemagerter Models ziemlich hungrig. Ich könnte auf diesen Modereisen eigentlich durchgehend essen. Wo ich das in New York, London, Mailand und Paris am liebsten tue, kann man jetzt pünktlich zu Beginn des Modemonats in Clairettes großem Modewochen-Restaurantführer nachlesen, der natürlich auch total gut zu gebrauchen ist, wenn man gar nicht der Mode wegen anreist. Und hier ist er schon!

New York

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Bild: Café Mogador

1. Das Café Mogador ist die Art von Laden, in der eine Szene von Girls spielen könnte: am Anfang sind alle gut gelaunt, am Ende eilt mindestens eine wutschnaubend aus dem Lokal, was hier gut geht, weil das Restaurant lang gestreckt ist und deshalb geeignet zum Wutschnaubend-Hinaus-Eilen. Das Interieur ist, was Einrichtungsmagazine „Boho“ nennen würden: es gibt Sitzecken mit bestickten Kissen, Palmen im Wintergarten und bemalte Teller an Klinkerwänden. Dazu schmeckt die Lamm-Tagine mit Aprikosen und Pflaumen.

2. Wenn Girls im Café Mogador spielt, dann ist MIMI ein guter Schauplatz für Sex and the City: es liegt im Greenwich Village unweit von Carries Wohnung und ist so gefragt, dass man nie einen Tisch bekommt. Oder lange darauf warten muss. Wenn nicht gerade Minusgrade herrschen, kann man das allerdings gut auf der Terrasse tun. Der Cosmopolitan ist so stark, dass einem warm wird. Dazu gibt es französische Leckereien: Foie Gras mit Haselnüssen, Thunfisch mit Birne, Pâté en croûte.

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Bild: Manousheh

3. Wer sich bei Opening Ceremony in den Ruin gekauft hat und jetzt nicht mehr weiß, wie er das Ende der Woche überleben soll, ohne zu verhungern, geht am besten ins Manousheh auf der Bleecker Street. Manousheh sind dünne Teigfladen, die im Steinofen gebacken und mit Za’atar, Labné, frischen Gurken, Tomaten, Hackfleisch und Tomaten oder sogar Nutella gefüllt werden. Im Libanon isst man sie zu jeder Tages- und Nachtzeit. Machen satt, glücklich und kosten nur 5 Dollar.

4. Ein guter Burger ist auch in New York gar nicht so einfach zu finden. Die Version, die im jüdischen Restaurant 12 Chairs auf den Tisch kommt, kann sich sehen lassen: Ciabattabrötchen, Lammburger, Schafskäse, saure Gurken, dazu hausgemachte Süßkartoffelfritten. Genau das Richtige nach einem Tag, an dem man in viel zu hohen Schuhen hundert Häuserblocks hinter sich gelassen hat.929400325. Ein Restaurant für alle Generationen ist das Sauvage in Greenpoint, praktisch gelegen an einer Straßenecke, an der man gut Leute beobachten kann. Mit seinen Vintage-Lampen, hölzernen Barhockern und roten Lederbänken wirkt das Lokal ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Auf der Karte stehen neben Schnickschnackspeisen wie Chia Pudding auch Klassiker wie Ricotta-Pancakes und Pilzomelette.

Noch mehr Empfehlungen für New York gibt es hier.

London

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Bild: Honey & Co.

1. Endlich mal in Honig baden kann man im Honey & Co.. Schon das Schaufenster lockt mit unwiderstehlichen Köstlichkeiten: Kuchen aus Pistazien, Pflaumen und Kokosnuss, Ricotta und Blaubeeren, Orangenwasser und Mohn, Mandeln und Himbeeren, Erdnussbutter und weißer Schokolade. Es gibt israelische Schokoladen-Babka und arabische Ma’amoul mit Walnuss- und Dattelfüllung. Zum Frühstück probiert man Shakshuka, und zum Abendessen Kürbisfalafel mit Zimt und Tomatensalat. Wer dünne Modeleute treffen will, geht woanders hin.

2. Die Rochelle Canteen ist, sehr originell, im ehemaligen Fahrradunterstand einer alten Schule untergebracht und vermittelt mit Holzstühlen und an der Wand aufgereihten Strohhüten südfranzösische Scheunenatmosphäre. Im Sommer kann man im Innenhof in der Sonne sitzen. Die Frühstückskarte ist schnörkellos: Granola mit Rhabarberkompott, Speck-Sandwich, pochierte Eier auf Toast.

3. In London kann man kulinarisch jeden Winkel der Welt kennen lernen – und im Restaurant Morito sogar mehrere auf einmal. Auf der Karte stehen Gerichte mit südamerikanischen, südasiatischen, griechischen, nordafrikanischen und nahöstlichen Einflüssen. Eine Kostprobe: mit Pinienkernen und Rosinen gefüllt Weinblätter, Tortilla mit Fetakäse und Kürbis, Blumenkohl mit Manchego, gegrillte Wachtel mit Harissa-Gewürz,  Schokoladenmousse mit Olivenöl. Na, Hunger?

4. Das indische Restaurant Rasa gibt es gleich zweimal: einmal für Fleischfresser, einmal für Vegetarier. Die Speisekarten sind in beiden Läden eine totale Überforderung, weil vom Chicken Samosa mit Tomatenchutney über das Curry aus Mango, grünen Bananen und Ingwer bis zum Guaven-Avocado-Salat mit frischer Kokosnuss und Zitronensaft alles himmlisch klingt.

5. Dass man den Broadway Market mit gutem Hunger betreten sollte, ist klar. Die Qual der Wahl bleibt ein Problem. Hier ein Tipp zur Orientierung: die gedämpften oder knusprig frittierten Dumplings von John Li.

Mailand 

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Bild: Søren Jepsen/12hrs.net

1. Originell belegte Pizzen gibt es bei Dry Milano, einer immerzu brummenden Bar mit cool abgewetzten Wänden und abenteuerlicher Cocktailkarte in Brera. Ich wäre ja so langweilig gewesen und hätte eine Margherita bestellt, wären meine Begleiter nicht auf die verwegene Idee gekommen, die Pizza mit Brokkoli, karamellisierter Zitronenschale und Mozzarella zu bestellen. Eine Offenbarung!

2. Gerüchten zufolge sollen die Missonis öfter mal in der Trattoria Ottomiofiore einkehren. Das Restaurant liegt in einer unscheinbaren Gasse in Chinatown. Im Fenster trocknen Zimmerpflanzen und die Beleuchtung ist ein bisschen ungemütlich. Dafür sind die Tische grüß-weiß kariert und die Kellner echte Gentlemen. An den Wänden hängen Schwarz-Weiß-Fotos von la familia und eine Karte von Sizilien. Antipasti kann man sich selbst aus einer Vitrine nehmen, und die fantastische Pasta alla Norma kommt mit Ricotta salata. Mailand ist voll von Italienern, aber das hier ist ein „echter“.

IMG_50333. Eine Pastapause kann man gut in meinem Mailänder Lieblingsrestaurant einlegen, dem Fischlokal I Pesciolini. Auf hübschen Tellern, die aussehen, als hätte sie eine sizilianische Mamma von Hand bemalt, werden Schwertfisch in Tomaten-Oliven-Sud und gebratener Octopus mit Kartoffeln serviert. Dazu ein Glas Weißwein, ein Korb Ciabatta ganz für mich allein, und der traurige Anblick ausgehungerter Models ist für einen Moment vergessen.

4. Eine Regel, die ich mir selbst ausgedacht habe, besagt, dass man in Restaurants mit handgeschriebener Speisekarte grundsätzlich gutes Essen bekommt. Wenn man die Karte in der gemütlichen Weinbar Rovello 18 entziffert hat, kann man hier Vitello Tonato, Risotto mit Taleggio, Fenchelsalat mit Orangen und Salsiccia auf Crostini bestellen. Und natürlich Wein. Und Tiramisu!

IMG_24775. War Pippi Langstrumpf eigentlich mal in Italien? Kuchen zum Frühstück gibt es nur hier! Zum Beispiel in der Pasticceria Cucchi, in der die Kellner in gestärkten Hemden herumlaufen und himmlisch zuckrige Pistazienfüllung aus der Brioche aufs Kleid tropft.

Paris

Bild: Restaurant Liza

1. Ein Ort, an den ich in Paris immer wieder gern und zur Not auch allein zurück kehre, ist das libanesische Restaurant Liza. Das Interieur ist in Weiß, Silber und Gold gehalten, die großen Kugellampen, Spiegel und gemusterten Fensterscheiben verbreiten eine festliche Atmosphäre. Wer die libanesische Küche in ihrer ganzen Pracht und Vielfalt kennen lernen möchte, ist hier richtig. Es lohnt sich, mit einer großen Gruppe zu kommen, damit man alle Mezze einmal durchprobieren kann. Zum Hauptgang schwöre ich auf das fünf Stunden geschmorte Lamm mit Gewürz-Reis. Sonntags gibt es ein Brunch-Buffet, aber da habe ich mich noch nie hingetraut, weil ich Angst hätte, mich dort zu überfressen.

2. Das beste Brot von Paris gibt es bekanntlich bei Poilâne. Dass man in einem netten kleinen Restaurant neben der Bäckerei in Saint-Germain-des-Prés auch sehr gut frühstücken und Mittag essen kann, wissen Wenige. Eine formule aus knusprig getoasten Brotscheiben, Croissant, Marmelade, frisch gepresstem Orangensaft und Kaffee kostet um die 12 Euro, was für Pariser Verhältnisse mehr als fair ist. Mittags kann man das berühmte Brot mit Tomaten und geschmolzenem Ziegenkäse, Pesto und Thunfischcreme, rohem Schinken und Mozzarella probieren.

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Bild: L’Ami Jean

3. Im L’ami Jean war ich zum ersten Mal mit 14 Jahren und habe von diesem Besuch einen riesigen Topf Milchreis in Erinnerung behalten, den ich mir nach einem in jeder Hinsicht umwerfenden Hauptgang zum Nachtisch bestellt hatte. Ich schaffte drei Löffel. Das L’ami Jean serviert feine französische Hausmannskost in rustikaler Bistro-Atmosphäre. Nicht ganz preiswert, aber unvergesslich.

4. So schön Paris ist, die Stadt kann manchmal, in jeder Hinsicht, auch sehr ungemütlich werden. Dann gehe ich am liebsten ins 404, ein kleines, marokkanisches Restaurant mit eng zusammenstehenden Tischen, rustikalen Steinwänden und heiterer Pre-Party-Atmosphäre. Die Tagine mit Huhn und Birnen wärmt Bauch und Seele. Obendrein eignet sich der Laden dank der schummrigen Beleuchtung auch gut für ein romantisches Dinner mit einem abgeschleppten Männermodel.

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Bild: Le loir dans la théière

5. Den Siebenschläfer in der Teekanne kann man im Café Le loir dans la théière kennen lernen – so lautet die wörtliche Übersetzung des Namens. Mit den bunt bemalten und plakatierten Wänden und durcheinander gewürfelten Möbeln hat der Laden etwas von einer gemütlichen Studentenkneipe. Dafür sind die Kuchen umso vornehmer, darunter zum Beispiel Tarte Tatin und Rhabarbertarte. Außerdem kann man auch Herzhaftes wie Linsensalat mit rohem Schinken bestellen.

Headerbild: Steven Meisel für VOGUE US