Seit einiger Zeit habe ich eine besondere Vorliebe für das Männerhemd entdeckt, ich nehme jedes mit, das nicht bei drei auf dem Baum sitzt. Irgendwann habe ich mal ein tolles weißes von Van Laack aus dem väterlichen Kleiderschrank geklaut, aber leider knittert es stark, ich werde es beim nächsten Heimatbesuch heimlich gegen eines von Zegna umtauschen. Einen blauen Wollpullover habe ich auch schon mitgehen lassen, ebenso zwei Fliegen und eine Krawatte. Die meisten Diebstähle entstehen in Komplizenschaft mit meiner Mutter, die mich alles klauen lässt, worin sich der Ehegatte ihrer Ansicht nach sowieso nicht mehr sehen lassen kann. Vielleicht ist sie auch erleichtert, dass ich mich nicht bei ihr bediene – das habe ich zuletzt als 12-Jährige getan, als ich unbedingt wie eine erwachsene Dame aussehen wollte und mir dafür Seidenbluse und Lippenstift auslieh. Ab der Mittelstufe wendete sich das Blatt: plötzlich liefen alle Mädchen in den Kaschmirpullovern ihrer Väter herum. Und in breiten Blazern vom Flohmarkt. Und in gestreiften Herrenhemden. Mit 16 durfte ich mir bei YBDPT ein neues Oberteil aussuchen. Meine Mutter hätte mir dort gerne einen hübschen Cardigan mit Perlmuttknöpfen gekauft, aber ich diskutierte so lange, bis ich den dunkelblauen Herrenpulli mit nach Hause nehmen durfte.
„Warum willst du nicht einmal was mit Taille anziehen“, jammerte Maman, ihrerseits Orientalin mit Vorliebe für Farbenfrohes und Feminines. Meinen Standpunkt kann sie bis heute nicht verstehen: weil modebewusste Frauen heute vor allem „cool“ aussehen wollen, und „cool“ irgendwie immer noch mit „männlich“ assoziiert wird, greifen sie dafür zu weiten Pullovern, Mokassins und Bomberjacken. In Fachkreisen gilt die Skinny-Jeans als überholt, dagegen signalisieren Boyfriend-Hosen, Bikerjacken und Doppelreiher modischen Scharfsinn. Der neueste Schrei sind Krawatten, Bundfaltenhosen und für den Sommer Bermudas, darin kann man sich wie ein Schuljunge fühlen, herrlich. Irgendwie scheint es verdammt unmodern geworden zu sein, sich wie eine Frau anzuziehen. Seit wann ist das so? Seit wann wollen Frauen wie Männer aussehen? Seit Coco Chanel Etienne Balsan die Reithosen stahl? Seit Yves Saint Laurent den Damen-Smoking erfand?
Der Grund dafür, warum ich derzeit nur noch in flachen Loafern mit Seitenschnalle herumlaufen will und meine Levi’s 501 wegen zu viel Überstunden wohl demnächst auseinander fallen wird, liegt im Grunde auf der Hand: Männerkleidung verkörpert pure Freiheit. In weiten Hosen und flachen Schuhen ist frau mobil unterwegs, in Boyfriend-Jeans darf sie sich wie ein pferdestehlender Cowboy vorkommen, unterm weiten Männerhemd kann sie den kneifenden BH auch mal getrost weglassen. Eine Frau in Männerkleidung zieht sich zu ihrem eigenen Vergnügen an, nicht, um jemanden zu betören. In einem Bodycon-Kleid von Hervé Leger und High Heels von Christian Louboutin muss sie sich dagegen permanent beobachtet fühlen.
Die Frage ist bloß: warum können wir das nicht auch in femininen Kleidern – „cool“ aussehen? Weil taillierten Kleidern und Blazern und Schluppenblusen einfach der schale Beigeschmack der 50er Jahre anhaftet, einer Zeit, in der Frauen eben nicht Pferde stehlen gingen, sondern als Hausmütterchen im goldenen Käfig saßen. Unter keinen Umständen will ich die Eleganz eines Glockenrocks bestreiten; allerdings wird man mit einem Glockenrock auch unter keinen Umständen jemals Coolness assoziieren (es sei denn, man trägt dazu Sneaker und Bikerjacke – Kleidungsstücke aus der Männerwelt!). Weibliche Mode hat viele Vorteile: Verführungskraft, Charme, Finesse, Anmut. Coolness und Lässigkeit zählen leider nicht zu ihren Stärken.
Vielleicht muss sie diese Eigenschaften aber auch gar nicht haben. Vielleicht besteht die Freiheit der Frauen am Ende gar nicht darin, Männerhosen und Mokassins tragen und sich darin unbeschwert bewegen zu können. Wahrscheinlich ist es viel simpler: Frauen können einfach alles anziehen, ihre eigenen Sachen und die der Herren, und in beidem sehen sie auch noch gut aus. Immerhin kann man das von einem Mann im Cocktailkleid nicht unbedingt behaupten.