Burgermoden

Bild: ©Anna Wegelin/Lachsbroetchen

In der Welt des kulinarischen Massenkonsums gilt der Hamburger (das Brötchen, nicht der Mensch) seit Jahrzehnten als die mainstream-Speise schlechthin. In der Modewelt wird die Stulle mit kreisrundem Fleischbelag hingegen offenbar erst jetzt wieder entdeckt – und zwar als trendfood der Sommersaison 2013. Essbares lässt sich der Faustregel nach nämlich spätestens dann als Modeerscheinung deklarieren, sobald es auf diversen Presse-Events in Berliner Fabrikhallen und Showrooms aufgetaucht ist. So geschehen mit dem Hamburger: bereits im Februar gab es nach dem kräftezehrenden Dauerlauf bei der Nike Flyknit Experience köstliche Brötchen mit Rinderfrikadelle zur Stärkung, originellerweise mit Rote Beete und Rucola garniert und alternativ auch in fleischloser Form erhältlich. Die vegane Variante ward natürlich in kürzester Zeit ausverkauft – in gewissen Berliner Kreisen gilt man ja fast als kriminell, wenn man nicht Veganer oder wenigstens Vegetarier ist. So aber konnte sich Allesfraß Clairette in aller Ruhe an einem echten Hamburger laben.

Ich gehe nie zu MacDonalds, aber so ein Burger – mit Fleisch! – ist doch was Feines. Jahrelang hat sich der Modemensch von zimmerwarmen Sushi-Rollen und Gemüsespießchen in Sesam-Soja-Kruste ernährt, gelegentlich gab’s mal einen Pulpo-Salat, Kiwi-Smoothie oder irgendwas aus Indien. Mit dem Comeback des Popcorns ließ sich dann aber schon erahnen, was heute, zumindest aus kulinarischer Sicht, nicht zu übersehen ist: Amerika ist in.

Die Geschichte des Hamburgers ist sagenumwoben, sein tatsächlicher Ursprung umstritten. Die US-Amerikaner sind der festen Überzeugung, der Hamburger sei erstmals 1885 auf einem Jahrmarkt in Hamburg in der Nähe von Buffalo in New York State angeboten worden. Die Menschen in meiner Heimat behaupten, natürlich stamme das runde Sandwich aus dem norddeutschen Hamburg und sei dem dort traditionellen Imbiss Rundstück warm nachempfunden, das mit deftigem Bratenbelag und Soße daherkommt.

Mit derartiger Bäuerlichkeit hat der Hamburger heutzutage freilich nichts mehr zu tun. Der modische Burger der Gegenwart erscheint vorzugsweise im Miniaturformat (wir erinnern uns: Modemenschen naschen gerne Kleinigkeiten, die sich beim flying dinner bequem im Stehen snacken lassen), auch auf den umhüllenden Rahmen kommt es an: so wurden bei der Eröffnung der &Other Stories-Filiale auf dem Ku’Damm die Burgerchen in stylischen down-to-earth-Papiertüten serviert. Bemerkenswert und zugleich verständlich ist, dass die Pommes Frites, klassische Beilage des Hamburgers, den Sprung aus dem miefenden Fast-Food-Restaurant ins modische Papiertütchen nicht geschafft haben. Einer berufsbedingten  Reizüberflutung entsprechend wünscht sich der Modemensch neuerdings offenbar zumindest auf dem Teller schlichte Zeitlosigkeit, womit wir schließlich bei der Ursachenforschung der Trenderscheinung Hamburger angelangt wären.

Der Hamburger hat etwas unfassbar Glamouröses. Zum Einen natürlich seiner Optik wegen: kreisrundes Weißbrötchen, gesprenkelt mit geröstetem Sesam, umarmt triefende Frikadelle, saftiges Salatblatt und glänzende Ketschupsauce. Auf dem Blog Lachbroetchen postet die Hamburgerin und Hamburger-Expertin (hihi) Anna Wegelin regelmäßig herrliche Fotografien regelrechter Burger-Orgien. Schöner anzusehen ist da nur der französische Macaron aus quietschbuntem Baiser, ebenfalls ein trendfood erster Klasse, der dem Hamburger in Silhouette und Gesundheitsfaktor aber auch erstaunlich ähnlich ist.

Zweitens ist der Hamburger dank der unzähligen Milieuschauplätze, in denen er tapfer die Stellung als Kult-Speise Nummer 1 verteidigt, in Bezug auf seine kulinarische Aura keineswegs zu unterschätzen (die großen Fast-Food-Giganten lassen wir an dieser Stelle einmal außer Acht). Einen Hamburger kann man in einem klassischen Diner, an der Poolbar in Miami oder im Autokino verspeisen. Weißbrot und Rinderhack sind universell einsetzbar, brauchen keinerlei Schnörkel, passen quasi zu jeder Szenerie und sogar zu jedem Outfit (Hilary Swank soll sich nach den Academy Awards 2005 in Abendrobe und mitsamt Oscarstatue für Million Dollar Baby angeblich erst einmal einen Cheeseburger beim Drive-Thru genehmigt haben). Der klassische Burger ist weltberühmt und in diesem Status unantastbar, sogar eine Audrey Hepburn könnte ich mir beim Burgeressen vorstellen; auch wenn der Akt des Verspeisens desselbigen nicht immer problemfrei abläuft, würde die elegante Dame dabei trotzdem nicht stillos wirken.

Armseliger finde ich hingegen aufgetakelte Herrschaften, die im vierhunderttausendsten Asian-Fusion-Restaurant der Stadt hilflos mit Stäbchen und Reiskörnern jonglieren und nach dem Abendessen genauso hungrig sind wie vorher. Da beiße ich lieber in ein warmes Rundstück! Der Hamburger ist der Burberry-Trenchcoat untern den fashion foods: manche Leute tun so, als fänden sie ihn langweilig und uninspiriert, so gewöhnlich! –  insgeheim würden sie aber doch auch schrecklich gerne in so einen niedlichen kleinen Burger aus der Papiertüte beißen, eine Klassiker dieser Güte muss eben einfach jedem schmecken. Back to basics könnte man also sagen, womit die kulinarische Welt den Trendentwicklungen in der Bekleidungsbranche folgt. Andererseits: war der Burger überhaupt je wirklich weg?

GIF: ©Anna Wegelin/Lachbroetchen