Leuchtend hell, schäbig grell

Berlin-Guide „Berlin inspires“ von Liganova, 6,95 Euro.

Fragt man einen in Berlin lebenden Hamburger (den Menschen, nicht das Brötchen), was er von seiner neuen Heimat hält, so wird er darauf wahrscheinlich so etwas antworten wie: „Ist aufregend hier – aber irgendwann ziehe ich wieder nach Hamburg.“ Viele Berliner mustern mich ungläubig, wenn ich erzähle, meine hanseatische Geburtsstadt zwecks Studium und Horizonterweiterung verlassen zu haben, und die daheimgebliebenen Hamburger lächeln triumphierend, wenn ich einräume, dass man auch in einer Metropole wie Berlin irgendwann wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkommt.

„Berlin ist orange“ schrieb ich vor einem halben Jahr, als die Hauptstadt im warmen Herbstlicht badete und ich noch zur Untermiete in Wilmersdorf wohnte, wo die Straßen sauber, die Wohnhäuser gediegen und nicht alle Leute als Start-Up-Unternehmer oder hungernde Modedesigner tätig sind. Orange, eine zweideutige Farbe, die leuchten und alles andere überstrahlen, im falschen Licht aber auch allzu schnell schäbig und grell wirken kann. Maroder Charme an bunt gesprenkelten Fassaden, klassizistische Herrschaftsbauten, Kunstsammlungen in alten Bunkern und Bahnhöfen, legendäre Nachtclubs mit ironischen Namen, nostalgische Lichtspielhäuser, berühmte Theater und metropolitische Wellnessoasen, Kaffeeröstereien, Falafelimbisse, Hipster-Cafés, Vietnamesen-Delis, urbane Gourmetrestaurants und Baustellen, so weit das Auge reicht, idyllische Hinterhöfe mit Weinbewuchs, frostige Glashäuser in trister Einöde, alte Bausünden, neue Bausünden. Berlin kann heller strahlen als die ganze Nation und ebenso gut vor lauter Schmutz starren, aber selbst aus all dem Dreck lässt sich hier bestimmt noch kreatives Potenzial gewinnen, irgendwo eröffnet ja immer gerade irgendeiner einen Conceptstore, gründet ein Geschäft, launcht ein Modeblog. Woher all diese Energie kommt, kann man sich fragen, denn Berlin ist zwar gelegentlich mehrtägig schlaflos, kann damit auf Dauer aber auch ganz schön anstrengend sein. Am Sonntagmorgen ist die Torstraße still: dann schläft die Stadt ihren Rausch aus, und zwar nicht nur den alkoholischen.

Auch Hamburg hat seine abgründige Seiten, auch hier ist nicht alles Gold, was glänzt, zum Glück, denn was könnte eine Stadt bedauernswerter machen als ausschließlich aalglatt gestriegelte Fassaden und gewienerte Bürgersteige. Trotzdem ist Hamburg nicht orange, sondern blau. Eine Stadt, der das Meer so nah liegt, dass einem gelegentlich selbst inmitten der tiefen Häuserschluchten zwischen Hafencity und Speicherstadt eine so frostig-frische Brise um die Nase weht, als stünde man direkt am Strand einer berühmten Nordseeinsel, ließe sich mit keiner Farbe angemessener beschreiben. Hamburg ist blau, getaucht in ein Kolorit der Frische, Klarheit und Noblesse. Den Menschen in dieser Stadt sagt man manchmal nach, sie seien ebenso kalt und frisch wie der eisblaue Himmel über wogenden Elbwellen, aber das ist keine Arroganz, sondern das nordische Understatement, eine angenehme Zurückhaltung, die ebenso charmant und elegant ist wie Hamburg insgesamt. Die Hansestadt mag uniformierter und weniger freigeistig sein als Berlin. Doch was macht eine Metropole letztlich lebenswerter: die eigene Überzeugung, das hier alles ein bisschen individueller und origineller und lässiger und avantgardistischer ist als anderswo? Oder aber eine bodenständige, authentische und gepflegte Sympathie, der sich die Einwohner gar nicht unbedingt bewusst sind?

Vielleicht bilde ich mir diesen ganzen Zwist zwischen Berlin und Hamburg aber auch einfach nur selbst ein, weil ich nie weiß, welche Stadt mir besser gefallen soll, weil ich nicht aus Hamburg wegwill, wenn ich mal wieder dort war, und nirgendwo lieber leben möchte als in Berlin, wenn ich hier durch den Tiergarten laufe, der Fernsehturm als überdimensionale Discokugel über den Dächern der Stadt schillert und die rotgoldene Aprilabendsonne selbst alte Mitte-Platten zum Leuchten bringt.
So habe ich eben zwei Lieblingsfarben. Alles zu seiner Zeit.

„Berlin inspires“ heißt der City-Guide von Liganova Studios, der die schönsten Cafés, Restaurants, Galerien, Shops, Hotels und Kulturinstitutionen im handlichen Taschenbuchformat, gespickt mit Geheimtipps von lokalen Persönlichkeiten, zusammenfasst. Lesens- und empfehlenswert für alle, die mit Berlin bisher irgendwie noch nicht richtig warm geworden sind.