Wie werde ich elegant?

HAUTE COUTURE IST SCHON MAL EIN GUTER ANFANG

Wie sieht eigentlich ein eleganter Mensch aus? Ich will gar nicht wissen, wie oft ich etwas oder jemanden hier schon als „elegant“ beschrieben habe. Zu häufig, so viel steht fest. Das Kaugummi-Syndrom hat sich eingestellt: wenn man zulange auf einem Wrigley’s herumkaut, schmeckt es irgendwann nach nichts mehr. So geschehen mit dem Wort „elegant“: ich habe es in sämtlichen Kontexten hoch und nieder gebetet und weiß mittlerweile nicht, was ich damit noch anfangen soll. Jetzt haben gerade die Haute Couture Schauen stattgefunden. Ich würde mich gerne dazu äußern, aber ich weiß nicht wie, weil mir, Katastrophe einer jeden Autorin, die Wörter ausgegangen zu sein scheinen. Zu Chanel,DiorArmani Privé und Schiaparelli fällt mir erstmal nur eines ein: elegant. Das ist grundlegend schon ein gutes Urteil, schließlich ist elegant, so viel weiß ich noch, ein positiver Begriff. Aber in welchem Sinne positiv? Wo fängt Eleganz an, und wo hört sie auf? Höchste Zeit, einen Definitionsversuch zu wagen.

Wir schauen also auf die Haute Couture Kollektionen. Hohe Schneiderkunst, das klingt so, als könne hier in puncto Eleganz nicht viel schief gehen. Aber so ist es nicht. Was wir zum Beispiel bei Chanel lernen, ist, dass transparente Gesichtsschleier prinzipiell eine schöne Idee sind, jedoch längst nicht bei jeder Frau gut aussehen. Das Model mit den kleinen Augen wirkt, als schaue es gerade durch einen Maschendrahtzaun. Das andere sieht aus wie Greta Garbo mit Netz vorm Gesicht, also hervorragend.
Gleiches gilt für aufwendig schillernde Blütengewächse. Man kann so etwas anziehen und damit paradiesisch schön aussehen. Genauso gut kann das Ganze aber auch nach hinten losgehen, zum Beispiel dann, wenn die Blumenpolster im falschen Verhältnis zu den Körperproportionen der Trägerin stehen. Das passiert schnell, und schon sieht man aus wie ein entlaufenes Gewächshaus.

Und dieser bauschige Seidenhut: brillant! Aber bei Jamie Borchert, die wahrscheinlich das einzige schöne Pferdegesicht der Welt besitzt, will der Putz nicht so recht wirken. Es muss an ihrer vertikalen Anatomie liegen. Jedenfalls sieht sie aus, als hätte ihr jemand einen Kohlesack über den Kopf gezogen, „Jetzt schau, wie Du zurecht kommst!“ gerufen und sie dann im Regen stehen gelassen.

© Lea Colombo
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Eleganz entsteht aus der Fusion von Kleid und Mensch. Die Proportionen und Charaktereigenschaften beider Komponenten müssen harmonieren. Das tun sie nach altgriechischer Theorie am ehesten dann, wenn sie den Formen der Natur ähnlich sind. Die üppigen Blumenbeete, die bei Chanel auf Ärmeln und Rocksäumen wuchern, sehen aus wie frisch im Garten Eden geerntet. Die gestrickten Mützen mit transparenter Augenbinde ähneln Bienenstöcken. Und so ein schwarzer Gewitterwolken-Hut aus Organza sieht, wenn nobel zu plissiertem Kleid und durchsichtigen schwarzen Handschuhen kombiniert, gerade richtig mondän aus. Mondän ist übrigens mit elegant verwandt, es impliziert, dass es sich bei der Eleganz um etwas Erwachsenes, Reifes handeln muss. Ein 12-jähriges Mädchen würde man nicht als elegant bezeichnen, selbst wenn es im Kleinen Schwarzen herumläuft. Eine 12-Jährige im Cocktailkleid ist weder elegant noch mondän, sondern in erster Linie unangemessen.

Eleganz ist nie unangemessen. Eine elegante Frau ist selbstbewusst, sie ist sich ihrerselbst bewusst. Sie weiß, dass sie sich in Pumps anmutiger bewegt als in Gesundheitstretern. Das heißt allerdings nicht, dass ich sofort elegant bin, sobald ich mir schwarze Hackenschuhe von Lanvin überziehe. Wenn ich darin nicht laufen kann, bin ich das Gegenteil von elegant, nämlich ein Bauerntölpel.

Eleganz ist nie aufdringlich und gleichzeitig nie zurückhaltend. Das erkennen wir anhand der grandios gelungenen Plisseeroben in heiteren Bonbonfarben, die Raf Simons für Dior entworfen hat. Ebenfalls herausragend: die seitlich geknöpften Jäckchen und A-Linienröcke, mit geflügelter Knopfleiste aus Perlmutt und in frischen Tönen wie Babyblau und Ochsenblutrot. Dazu: Latexstiefel. Sind die jetzt elegant oder nicht? Klar, sind doch von Dior, würde man im ersten Moment meinen, aber wenn ich exakt das gleiche Paar orangefarbener Gummistiefel auf dem Laufsteg von Basler entdeckt hätte, wäre mir schlecht geworden. Und wie steht es mit den gemusterten Turnoveralls? Ein Supermodel sieht darin natürlich ganz zirkusmäßig gut aus. Aber eine Frau mit normaler Statur in einem geblümten Einteiler? Vielleicht ganz lustig, modisch sicherlich aufregend. Aber nie und nimmer elegant. Ein Turnanzug ist bequem. Eine elegante Frau ist nicht bequem. Sie stellt sich mit Würde Herausforderungen aller Art.

© Lea Colombo
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Eleganz ist eine bestimmte Haltung. Man kann der schönste Mensch in den feinsten Kleidern der Welt sein, wenn man dazu krumm steht, eine Fratze schneidet und gemeine Lügen herumerzählt, ist man nicht elegant. Eine elegante Frau hat Manieren, und das sieht man auch ihrer Kleidung an. Sie würde nie zu viel Haut zeigen, denn sie ist eine intelligente Person. Wer wirklich auf sich aufmerksam machen will, tut dies mit raffinierten Mitteln. Zum Beispiel den zauberhaften Roben von Armani Privé, die in den Farben der Tiefsee schillern und unterhalb der Brust mit schwarzen Gürteln gebunden sind, die der Trägerin eine anmutig geschmeidige Figur verleihen und optisch die Beine verlängern. Man sieht diese Frau im perlenbestickten Abendkleid, das gerade eben die Füße in flachen Schnürsandalen enthüllt, und denkt: was hat die für tolle Beine! Dabei sieht man kein Stück vom Bein. Das ist Eleganz.

Eleganz ist außerdem symmetrisch. Elegante Kleider hängen nicht schief, stehen merkwürdig ab, haben Beulen oder unvorteilhafte Faltenwürfe. Der messerscharf geteilte Haarschnitt, flankiert von extravaganten Perlmuttohrringen, ist elegant. Eine elegante Frau ist seriös, aber nicht humorlos. Habe ich geschrieben, dass die Couture von John Galliano für Maison Martin Margiela elegant waren? Interessant und faszinierend war sie ganz bestimmt, aber nicht elegant. Dafür fehlte ihr die Selbstverständlichkeit.

Kann man Eleganz anziehen? Nein. Eleganz ist ein Charakterzug, den man sich antrainieren kann, wenn man will, so, wie sich ungeduldige Menschen mit viel Mühe angewöhnen können, zwischendurch mal still zu sitzen. Aber genau wie Humor ist Eleganz eine Eigenschaft, mit der man idealerweise geboren wird. Übrigens sind Humor und Eleganz auch beste Freunde. Mit einer eleganten Frau kann man Spaß haben, das sehen wir bei Schiaperelli. Eine Frau in einem paillettenbestickten weißen Hosenanzug und blauem Fes mit baumelnder Quaste auf dem Kopf muss einfach lustig sein. Ist sie es nicht, hilft auch der schöne Hut nichts: dann ist sie nichts weiter als eine spaßfreie Spießbürgerin. So würde ich das Kleid Nr. 9 in schönstem Kornblumenblau auch lieber einer Frau mit weniger maulendem Gesichtsausdruck anziehen.

Eleganz steht für Weltläufigkeit. Die elegante Frau ist herumgekommen, sie ist informiert, kultiviert, fokussiert. Eine elegante Frau hat was zu erzählen, das sieht man ihr gleich an, so wie den Damen bei Schiaperelli: statt mit ihrem Körper sprechen sie mit ihren Kleidern. Auf blauen Midikleidern leuchten bunte Stecknadelköpfe, eine grüne Robe mit surrealem Händedruck ist mit einem Schleier versehen, der an die Mystik orientalischer Paläste erinnert. Und vielleicht ist das überhaupt die schönste Eigenschaft der Eleganz: ihre geheimnisvolle, vielschichtige Unergründlichkeit. Eine elegante Frau lässt sich nicht in die Karten schauen. Worin besteht ihr Zauber? Er lässt nicht greifen. Er umhüllt sie wie ein Duft und weht davon wie ein flüchtiger Windhauch, sobald man ihr zu nahe kommt und auch ein Stück Eleganz abhaben will.

© Lea Colombo
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