Neulich wollte ich eine Jeans kaufen. Ich versuche schon seit einer Weile eine Jeans zu kaufen, manchmal kommt es auch tatsächlich zur Geldübergabe, aber richtig glücklich, das war ich nach einem Jeanskauf schon lange nicht mehr. Ich bin jetzt 25, und muss leider feststellen, dass das Jeanskaufen mit dem Alter nicht einfacher, sondern schwieriger wird. Ich weiß mittlerweile, was ich alles nicht will. Ich weiß, worin ich schrecklich aussehe. Als ich das noch nicht wusste, war mein Leben bedeutend einfacher. Ich lief in Jeans herum, deren Seitennähte ich eigenhändig aufgetrennt und enger wieder zusammengeflickt hatte – per Hand, nicht Maschine, wohlgemerkt – und fand mich darin unglaublich schick (das war ungefähr in der achten Klasse. Ich erinnere mich, wie stinksauer meine Mutter war, als sie herausfand, was ich der guten Schlaghose angetan hatte). Heute ist der Kauf einer Jeans für mich so nervenaufreibend wie das Schreiben eines Textes: Bevor ich überhaupt losgelegt habe, male ich mir schon aus, wie alles im Verderben endet (Hose macht riesigen Po; Text ist so verständlich wie Kantonesisch).
Neulich wollte ich also eine Jeans kaufen, ich hatte ein bestimmtes Modell in einem Onlineshop gesehen und entdeckte es ein paar Tage später im Schaufenster einer Hamburger Boutique wieder. Die Jeans sah sowohl am Model auf der Internetseite als auch an der Puppe hinter der Schaufensterscheibe genauso aus wie die Jeans, die ich mir gerade sehnlichst wünsche: beckentief geschnitten, die Hosenbeine gerade richtig weit und vor allem: bodenlang. Also ungefähr so (nur ohne die Löcher):
Es ist, das hat meine sehr intensive Recherche ergeben, momentan leider praktisch unmöglich, eine solche Jeans zu finden. Die Jeans von heute sind alle knöchellang und taillenhoch geschnitten. Ich habe innerhalb von sieben Minuten zehn von solchen Jeans in acht verschiedenen Onlineshops gefunden, bitte sehr:
Diese Hosen sind völlig in Ordnung, aber ich kann sie einfach nicht mehr sehen. Zudem gibt mir dieser High-Waist-Schnitt immer das Gefühl, als wäre mein mittlerer Rumpfbereich in eine enge Jeanswindel eingeschweißt. Ihr seht, die Lage ist ernst. Die Jeans in jenem Hamburger Schaufenster schien meine einzige und letzte Chance zu sein. Ich ging in den Laden.
„Guten Tag. Ich würde gerne die Jeans aus dem Schaufenster anprobieren.“
Verkäuferin: „Welche?“
Ich: „Na die im Schaufenster dahinten.“
Verkäuferin: „Ah, ich weiß welche sie meinen.“ (Sie hebt eine Hose vom nächstgelegenen Tisch auf. Die Hose ist nicht aus Jeansstoff, sondern aus einem sehr labberig wirkenden Material, wahrscheinlich Flanell, das zufälligerweise jeansblau ist. Die Hose sieht aus, als gehöre sie zu einem Schlafanzug für Schwangere)
Ich: „Nee, die nicht. Ich meinte doch, die im Schaufenster.“
Verkäuferin: „Oh ok. Ich weiß schon. Die führen wir in diesem Jahr leider nicht.“
Ich: „Aber sie ist doch im Schaufenster???“
So geht es schon los beim Jeanskauf, und da habe ich die Hose ja noch gar nicht anprobiert. Besagtes Modell, dass die Verkäuferin dann irgendwann doch mit triumphierendem Strahlen aus dem Hinterzimmer der Boutique beförderte, fühlte sich schrecklich weich an (ich hasse weiche Jeans! Gute Jeans müssen sich ein bisschen grob und steif anfühlen), außerdem ging sie mir oben bis über den Bauchnabel, unten aber nur bis zum südlichen Wadenbein. Was für ein Betrug! Beim Foto, das ich auf der Internetseite gesehen hatte, müssen sie kräftig geschummelt haben, an dem Model saß die Hose nämlich lang und tief. Das erlebe ich ständig. „Sie müssen die ein bisschen runterziehen, dann sitzt sie cool“, meinte die Verkäuferin. Auf dem Etikett der Jeans stand high waist. Ich zerrte die Jeans hüftabwärts. Es sah jetzt so aus, als würde ich unter Durchfall leiden und hätte es mal wieder nicht bis Klo geschafft.
Dem Jeanskauf im Laden, den ich so schnell nicht wiederholen werde, waren ungefähr 20 Onlinebestellungen vorausgegangen. Im Frühling 2018 kaufte ich eine Jeans mit glockenweitem Bein von Ganni. Der „Runway Look“, so stand es in der Produktbeschreibung des Onlineshops, sehe vor, die Jeans „lässig“ zu tragen, es werde deshalb empfohlen, sie eine Nummer größer zu kaufen. Ich bestellte eine 38. Die Länge war perfekt – bodenlang, ohne auf dem Boden zu schleifen – aber oben rum hätte ich zweimal reingepasst. Leider sah das nicht runwaymäßig lässig aus, sondern eher so, als hätte ich ein paar in Fett umgewandelte Kilo Weihnachtskekse an der Hüfte hängen.
Ich tauschte sie um gegen eine 36. Der Größenunterschied war minimal, noch immer hätte meine Schwester mit mir in der Hose Platz gefunden. Na gut, dann eben eine 34. Hier kriegte ich gerade so den Knopf zu. Die Hosenbeine waren einen winzigen, aber entscheidenden Zentimeter zu kurz, und Lässigkeit war weit und breit nicht in Sicht. Die Jeans saß natürlich längst nicht dort, wo ich sie gerne gehabt hätte – nämlich knapp über den Beckenknochen – sondern weit oben auf Magenhöhe. Dort quetscht sie nun seither meine Eingeweide zusammen, während ich um die Beine herum immer das Gefühl habe, mich in einem Vorhang verfangen zu haben. Nach dem ganzen Bestell-Hinundher habe ich die Hose entnervt behalten und trage sie auch, aber Spaß macht sie nicht.
Mit jeder Jeans, die ich bestelle und wieder zurückschicke, oder bestelle, behalte und dann zum Mond schießen will, wächst in mir der erbitterte Verdacht, dass es meine bessere Jeanshälfte einfach nicht gibt. Charlotte York sagte in „Sex and the City“, für jeden Menschen gäbe es auf der Welt nur genau einen passenden Partner. Vielleicht ist es bei Jeans genauso? Die beste Jeans, die ich je hatte, bekam ich im Alter von 13 Jahren. Ein tolles Teil von Diesel, mittelhoch geschnitten, helle Waschung, gerades, bodenlanges Bein, vorne zwei aufgesetzte, viereckige Taschen, 80 Euro. Meine Diesel und ich waren wie Pech und Schwefel. Ich trug sie mit dem Kapuzenpullover, den mir meine Schwester vom Schüleraustausch in Chicago mitgebracht hatte, und sie trug mich durch die Pubertät, war mein indigoblaues Schutzschild. Wenn es im Haifischbecken der Mittelstufe allzu bissig zuging, hatte ich immer noch meine Diesel als Erinnerung daran, dass ich cool genug war, um hier lebend wieder rauszukommen. Irgendwann riss sie an beiden Knien an, später dann am Gesäß. Das war das Ende unseres süßen Glücks. Wenn es für jeden Menschen nur eine perfekte Jeans auf der Welt gibt, dann ruht meine diese Beinverwandte längst auf dem Friedhof der Jeanshosen.
Könnte es eine von diesen sein?
Oder habe ich doch noch eine Chance? Die Jeans, von der ich heute so sehnlichst träume, ist schließlich kein futuristisches Modell mit eingebauter Klimaanlage, sondern, im Gegenteil, eine alte Jugendliebe. Ich entdeckte sie 2006, als ich mit meiner Schwester den Teenagerschnulzfilm „Französisch für Anfänger“ schaute. Ganz am Ende trägt die Filmheldin Valerie da ein tolles Sommeroutfit – weißes Trägertop, weite, ausgewaschene, tiefsitzende Jeans, wie sie ein 16-jähriger kalifornischer Surfer tragen würde. Hier ein körniges Film-Still:
Ich gebe zu, dass ich das Gegenteil eines kalifornischen Surferboys bin. Aber die perfekte Jeans ist eben auch ein Traum. „Jeans verkörpern Freiheit“, hat Giorgio Armani einmal gesagt, und von diesem Stück Freiheit haben schon die Menschen in der DDR geträumt, deutsche, amerikabesessene Teenager in den Neunzigern und jede Frau, die je gehofft hat, sich in einer Hose endlich stark, mobil und unangreifbar zu fühlen. Ganz schön viele Erwartungen an ein Stück Stoff, das gebe ich zu. Aber ich werde weitersuchen. Ich werde dich finden, Jeans. Und wenn ich dich gefunden habe, werde ich 23 Stück von dir kaufen und mich endlich wichtigeren Dingen zuwenden.