Neulich war ich mal wieder auf einer richtigen Hausparty zu Gast. Wie sich das für eine Veranstaltung dieser Art gehört, waren um Mitternacht alle betrunken und fingen an, sich daneben zu benehmen. So kam mein alter Freund F. auf die Idee, sich an meiner Handtasche zu vergreifen und ungeniert darin herumzuwühlen. So etwas tut man nicht, lieber F. Würdest du regelmäßig Frauenzeitschriften lesen, dann wüsstest du: die Handtasche ist die Waffe der Frau. Darin tragen wir ein kleines Universum mit uns herum, eine Art mobiles Auffanglager für all den Krempel, mit dem sich der Alltag besser bestreiten lässt. Außer den drei Grundzutaten Handy, Portemonnaie und Schlüssel wären das zum Beispiel: Lippenstift, Parfum, Taschentücher, Notizbücher, geklaute Kugelschreiber, Hygieneartikel, Kräuterbonbons, flache Schuhe, Haarbürsten, Pfefferspray. Meine Mutter nimmt auch gerne eine Taschenlampe mit, wahrscheinlich ein Relikt aus dem Libanon, wo regelmäßig der Strom ausfällt. Andere haben immer französische Vokabelkarten dabei, Nasensalbe oder Blasenpflaster.
In jedem Fall sind Frauen prinzipiell besser ausgestattet als Männer. Während wir bis an die Zähne mit lauter superpraktischen Alltagsutensilien bewaffnet herumlaufen, hat der Mann meistens nur das dabei, was gerade so in die Hosentasche passt. Angesichts eines derart ungleichen Kräfteverhältnisses ist es verständlich, dass die Herrenmode seit einigen Saisons die Handtasche für den Mann zu etablieren versucht. Bei Gucci gab es im Rahmen der Menswear-Shows für den Sommer 2016 neulich ein großformatiges Modell in Tüten-Form zu sehen, in das problemlos zwei Fußbälle hineinpassen. Indes hat J.W. Anderson ein erstaunliches, tragbares Draht-Gestell entworfen, in das Mann sein Hab und Gut, zum Beispiel den Haustürschlüssel, ganz praktisch hineinhängen kann. Dekorativ wirkt das daran baumelnde Fuchsschwänzchen. Alexander Wang zeigt wiederum ein dem Werkzeugkasten nachempfundenes Modell, während bei Raf Simons ein ausgebeulter Rucksack in der Hand statt auf dem Rücken getragen wird.
Aber Kräfteverhältnis hin oder her: braucht der Mann überhaupt eine Handtasche? Wenn ja, was tut er da hinein? Damit das klar ist: wir reden hier von der Handtasche als Freizeit-Accessoire, nicht von der Aktentasche als Büro-Utensil. Männer haben große Hosen- und Manteltaschen, in die Handy und Portemonnaie problemlos hineinpassen. Außerdem brauchen Männer keine Kräuterbonbons und Blasenpflaster. Die Haare kämmen sie sich zuhause, in flachen Schuhen sind sie sowieso unterwegs, und wenn das Licht ausfällt, dann wissen sie, wie man den Stromkasten bedient.
Ein Spontan-Anruf bei meinem guten Freund A., der bessere Manieren hat als F. und in Sachen Herrenmode außerdem immer auf dem neuesten Stand ist, ergibt allerdings eine deutliche Zusage für die Herrenhandtasche. Warum? „Fahr‘ mal nach Südkorea oder Japan“, sagt A.,“da ist die Herrenhandtasche längst etabliert.“ In Deutschland gestalte sich das Auftreten mit diesem Accessoire leider weitaus schwieriger. Wenn A. mit seinem schlichten, dunkelblauen Modell in rechteckiger Form unterwegs ist, muss er mit misstrauischen Blicken rechnen. Schließlich gilt die Handtasche ja als Waffe der Frau. Und die meisten Männer haben große Angst davor, wie eine Frau auszusehen.
Gerade deshalb, erläutert A., sei die Form der Herrenhandtasche ja auch von so entscheidender Bedeutung. Schon in der Sommersaison 2014 legte Christopher Bailey bei Burberry Prorsum den ledernen Turnbeutel neu auf, womit man laut A., der manchmal sehr konservativ sein kann, schlicht lächerlich aussehe. Und zwar deshalb, weil dem zerknautschten Turnbeutel die maskuline Silhouette fehle. Wichtig sei ein kantiges Format, in das iPad und Wall Street Journal gut hineinpasse und das Männlichkeit und ästhetische Funktionalität suggeriere.
Womit wir streng genommen schon wieder bei der Aktentasche angekommen sind.
Was an dieser Stelle klar wird: die klassische Aktentasche (bzw. Briefmappe) in übersichtlicher Größe mag für den Mann sinnvoll sein – wie aktuell auf dem Laufsteg von Ermenegildo Zegna zu sehen. Der neumodischen Handtasche aber mangelt es durchweg an Zweckorientierung, die unter Herren zu Recht geschätzt wird. Tatsächlich ist es viel angenehmer, sein Zeug gebündelt in der Hosentasche mit sich herumzutragen, unter anderem auch deshalb, weil man dann sorgfältiger auswählt, was wirklich mitmuss und ergo weniger mit sich herumschleppt. Genau deshalb ist die Handtasche schließlich auch gar nicht die Waffe der Frau, sondern ihr größtes Laster: ein riesiges Auffanglager für sehr viel Krempel, von dem man die Hälfte unterwegs überhaupt nicht braucht. Ganz ehrlich: Wenn ich ein Mann wäre, würde ich die Finger von der Handtasche lassen.