Dass wir Mitteleuropäer im Sommer modisch überfordert sind, ist ganz verständlich. Die Hitze ist hier schließlich ein immer wieder überraschendes Ereignis. Sommer in Deutschland, unglaublich! Die Tageszeitungen berichten von der plötzlichen Mediterranisierung der Innenstädte. Die sonst so aufgeräumte, hübsch begrünte Metropole verwandelt sich in eine dampfende Steinwüste. Die Mitteleuropäerin erreicht einen für sie ungewohnten Aggregatzustand: Sie schwitzt. Darauf war sie nicht vorbereitet. In aller Not greift sie zu den jetzt viel zu heiß gewordenen langen Jeans und schneidet kurzerhand die Beine ab. Puh! So ist’s besser. Dass es sich bei Hotpants um ein reines Anti-Hitze-Provisorium handelt, erkennt man schon an den offenen Nähten und Fransen. Ähnlich beim Mann, der zu multifunktionalen Cargo-Hosen greift. Die lassen sich dank Horizontalzipp schwuppdiwupp in Bermuda-Shorts verwandeln. Auch das hat etwas Behelfsmäßiges. Schön ist es jedenfalls nicht.
Dabei wäre es so einfach, bei 35 Grad elegant und trotzdem luftig gekleidet herumzulaufen. In unseren Breiten besteht ja die Annahme, die Wärme werde umso erträglicher, je weniger Stoff man trage. Dass das ein Irrtum ist, zeigt ein Blick in die Kleiderschränke der Wüsten- und Tropenstaaten dieser Welt. Dort gehört die Hitze nämlich zum Alltag. Auf etwas so Profanes wie abgeschnittene Hosen müssen die Menschen hier nicht zurückgreifen. In Afrika tragen die Frauen Turbane und Kleider aus üppig bedruckter Baumwolle. Der Stoff kühlt die Haut, die Kleider sehen zauberhaft aus. Die Inderinnen tragen Saris oder Tuniken über langen Hosen. Meist liegt dabei nur der Bauch frei. Natürlich ist der Dresscode kulturell bedingt – im Minirock herumzulaufen wäre für indische Frauen lebensbedrohlich. Aber ein Sari sieht an den meisten Frauen auch einfach tausendmal besser aus als ein Minirock, und das nicht nur in Indien. Schade, dass es der Sari noch nicht nach Paris geschafft hat.
Am schönsten aber trotzen die Araber der großen Hitze. Im orientalischen Raum ist der Kaftan sehr verbreitet. Vor ein paar Monaten habe ich den libanesischen Modedesigner Rabih Kayrouz in Paris interviewt. Kayrouz macht moderne, puristische Kleider mit orientalischem Einschlag. Aber orientalisch, das heißt hier nicht Glitzer, Perlen und Stickerei. „Der libanesische Stil ist tatsächlich sehr zurückhaltend“, klärte er mich auf. „Wir Libanesen leben zwar sehr opulent, doch unsere Häuser und Kleidung sind im Grunde eher schlicht gehalten. Libanesische Architektur ist zum Beispiel von der Natur und vom Licht inspiriert. Und in der Bekleidungstradition gibt es den Kaftan. Der Kaftan besteht tatsächlich aus nicht viel mehr als einem viereckiges Stück Stoff, ähnlich wie der japanische Kimono. Aber sobald du ihn überziehst, fließt er wie ein Windhauch von den Schultern und verleiht der Trägerin damit sofort eine würdevolle Haltung.“ Männer tragen übrigens auch Kaftane, zum Beispiel im Oman. Dort nennt man das Stück Dischdascha. Mit Turban, Säbel und Sonnenbrille sieht Mann in diesem Gewand ungeahnt maskulin, ja geradezu heroisch aus. Von solch einer Erscheinung kann der Mann in Cargo-Hosen nur träumen.