Baustelle Frau

WANN HÖREN WIR ENDLICH AUF, ÜBER UNSEREN KÖRPER ZU REDEN?

Bildschirmfoto 2017-05-20 um 15.35.25Ein Abendessen mit zwei Freundinnen. Ich hatte gekocht, irgendwas mit Gemüse, weil ich wusste, dass die beiden eh kein Risotto essen würden. Wir unterhielten uns über den Film Toni Erdmann, der gerade für einen Oscar nominiert worden war. Ich schwärmte von der für mich stärksten Szene, in der die Unternehmensberaterin Ines, gespielt von Sandra Hüller, ihren Arbeitskollegen splitternackt die Tür öffnet. „Ziemlich pummelig“, sagte darauf eine meiner Freundinnen, „ist die Frau aber schon.“ Ich hatte große Lust, sie aus meiner Wohnung zu schmeißen.

Ich bin sehr froh, als Frau zur Welt gekommen zu sein, aber manchmal finde ich Frauen doch ziemlich doof. Vor allem wenn es um den eigenen Körper geht, können Frauen manchmal rückständiger nicht sein. Ich kenne fast keine Frau, die sich nicht ständig über ihre Figur, ihre Haut, ihre Haare oder ihre Fußnägel Gedanken macht. Ich kenne fast keine Frau, die nicht immer wieder an ihrem Aussehen zweifelt. Und ich kenne auch fast keine Frau, die andere Frauen nicht teilweise nach ihrem Körper beurteilt oder den eigenen mit dem Körper anderer Frauen vergleicht. Natürlich gibt es auch Männer, die von der eigenen Erscheinung nicht hundertprozentig überzeugt sind. Aber das Verhältnis zu ihrem Körper ist bei Weitem nicht so gestört wie bei uns Frauen – und wenn doch, dann behalten sie es für sich.

Manche Frauen essen erst eine halbe Tafel Schokolade und trinken dann ein Glas heißes Wasser hinterher, weil sie irgendwo gelesen haben, dass das den Stoffwechsel anrege. Sie kriegen schlechte Laune, wenn sie einen Pickel an der Nase entdecken, der für alle anderen Leute unsichtbar ist. Sie haben bad hair days. Sie posten stolz ein Bild von einer riesigen Pizza auf Instagram, schwören aber, am nächsten Morgen Sport zu machen, nachdem sie sie aufgegessen haben. Sie sind begeistert, wenn die amerikanische Glamour Lena Dunham mitsamt Cellulitis am Oberschenkel auf dem Cover zeigt. Aber sobald sie am eigenen Körper eine winzige Delle entdecken, ist das Geschrei groß. Plus-Size-Models in der Unterwäsche-Reklame finden sie natürlich auch gut, und das winzige Wämpchen, das Lady Gaga bei ihrer akrobatischen Super-Bowl-Performance entblößte, ebenso. „Inspirierend“ sei dieser Bauchansatz, schrieben viele Frauen auf Facebook und Twitter, nachdem über Lady Gagas Bäuchlein eine Internetdiskussion entbrannt war. Vielleicht hoffen sie ja, dass sie eines Tages wirklich finden werden, dass eine Frau mit Bauchansatz genauso gut aussieht wie eine ohne, wenn sie nur genug Unterwäschemodels und Popsängerinnen mit Bauchansatz gesehen haben. Bis dahin finden sie Plus-Size „inspirierend“. Jedenfalls, solange sie nicht selbst Plus-Size sind.

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