Meine Brunch-Laufbahn sollte an einem Samstagvormittag im Mai letzten Jahres ihr Ende finden. Mein Freund und ich waren am Vorabend in New York angekommen. Es war ein herrlicher Tag, der Himmel war blau, die Luft warm, die Straßen Brooklyns regengewaschen. Wir gingen auf Empfehlung in das Restaurant Sunday in Brooklyn, zum Brunch. Wegen unseres Jetlags waren wir früh dran und bekamen gleich einen Tisch. Als wir etwas später am Tag noch mal am Restaurant vorbeigingen, hatte sich dort eine meterlange Schlange Brunchwilliger gebildet.
Man gab uns einen Platz auf der Dachterrasse und setzte sogleich eine übermotivierte Kellnerin auf uns an, die uns in der nächsten Stunde nicht mehr aus den Augen lassen sollte. „Happy Saturday“, quietschte sie, kaum dass wir Platz genommen hatten, und fügte dann, unseren mit Kaktustöpfchen dekorierten Tisch bestaunend, hinzu: „What a table!“
Auf der Brunch-Karte verstand ich die Hälfte der Gerichte nicht. „Bone Broth“ zum Frühstück? „Spicy Cauliflower with Sauerkraut and Red Sambal“? Warum nannten sie es nicht gleich Lunch? Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich Lust auf etwas Süßes oder Salziges hatte. Als die Kellnerin die Bestellung aufnehmen wollte, geriet ich (wie immer bei der Brunch-Bestellung) in Panik und bestellte kurzerhand das, was mir am einfachsten erschien: „Cow Milk Yogurt, Seasonal Fruit, Granola“. Für 10 Dollar.
Das Essen kam. Das Gericht meines Freundes („Biscuits and Gravy“) sah komisch aus: eine terrakottafarbene, dicke Sauce, unter der undefinierbare weiche Klumpen schwammen, obendrauf wabbelten zwei pochierte Eier. Meine Speise bestand aus drei Löffeln Joghurt mit Orangenmarmelade und ein paar Granola-Flocken. Nun ist es ja so, dass man mit einer gewissen Vorfreude ins Restaurant geht, nämlich darauf, etwas zu essen, was man selbst nicht kochen kann. Joghurt mit Müsli und Klumpen in brauner Soße hätten wir selbst aber sehr viel besser hinbekommen.
Frühstücks-Cafés dieser Welt, ich bin enttäuscht von euch. Ich habe entschieden, zum Frühstücken nie wieder aus dem Haus zu gehen. Ich weiß: Frühstück außer Haus, oder die Abart dessen namens Brunch, ist ein Riesending. Alle lieben es. Eine zeitlang hat es mir auch Spaß gemacht, wohl deshalb, weil ich mir dabei so erwachsen vorkam wie beim Geldabheben oder Flügebuchen: Es war Samstagvormittag, und anstatt im Bett zu bleiben, ging ich, die patente Großstadtfrau, zum Frühstücken ins Restaurant. Wie bei Sex and the City! Nun hat meine ausgiebige Recherche leider ergeben, dass aushäusiges Frühstücken eine riesige Verschwendung drei wichtiger Ressourcen ist: Zeit, Geld, und gute Laune. Wohin ich auch gehe zum Frühstück oder Brunch, danach bin ich fast immer deprimiert. Man muss dazu sagen, dass ich eine große Frühstückerin bin. Ich liebe frühstücken. Wer es mir kaputt macht, muss mit Gegenwehr rechnen.
Es geht damit los, dass die meisten Cafés am Wochenende, zumindest in den Großstädten, alle völlig überfüllt sind. In New York gehört es zum guten Ton, für den Sonntagsbrunch mindestens eine Stunde lang irgendwo anzustehen. Hat man dann endlich einen Tisch bekommen, darf man nur solange sitzen, wie man isst bzw. Geld ausgibt. Kaum ist der Teller leer, wird einem die Rechnung hingeknallt. In Berlin geht es kaum subtiler zu. Da gibt es zum Beispiel das Café Roamers, vor dem meine Freundinnen und ich mal im Januar bei Eiseskälte eineinhalb Stunden gewartet haben, bis man uns einen Tisch gab. Während wir aßen, standen hinter unseren Stühlen Leute und warteten wie die Geier darauf, dass wir das Feld räumten. So ein Benehmen habe ich beim Abendessen noch nie erlebt.
Ich gehöre zu den Menschen, die ihren Tag gerne entspannt beginnen. Ich frühstücke zuhause eine halbe Stunde, dazu lese ich Zeitung. Ich versuche vor meiner Mitbewohnerin aufzustehen, damit ich in der Küche meine Ruhe habe. Ein Frühstück, bei dem mir hungrige Leute über die Schulter auf den Teller spähen, empfinde ich als großen Stress.Kommen wir zu den Inhalten. Da wäre zum einen der frischgepresste Orangensaft, den ich ja wirklich gerne trinke, allerdings kostet ein winziges Glas davon im Restaurant fast so viel wie ein Kleinlaster. Manchmal mache ich mir morgens selbst einen frischgepressten Orangensaft. So schwer ist das nicht. Wie kann man für ein Glas Orangensaft vier Euro verlangen?
Auch toll: der sogenannte Obstsalat. In vielen deutschen Cafés kann man Frühstücksteller zu verschiedenen Themengebieten bestellen: „Das Französische“, „Das Gesunde“, „Das Englische“, und so weiter. Ungünstig ist, dass auf diesen Tellern alles zusammengepfercht wird, was eben so drauf gepasst hat: Butterstücke, Brötchen, Scheiblettenkäse, Aufschnitt, Kräuterquark, und mitten drin thront stolz der Obstsalat. Dabei scheint ein richtiger Obstsalat – aus frischen Früchten! Mit Himbeeren! – so schwierig herzustellen zu sein wie der frischgepresste Orangensaft. Die meisten Caféobstsalate bestehen aus wässrigen Dosenmelonenstücken, einer ungeschälten Scheibe Ananas und der unvermeidlichen Physalis, die wie der Häuptling dieses verdammten Frühstückstellers obenauf hockt. Warum diese Physalis? Ich kenne niemanden, der freiwillig Physalis isst, aber auch das ist ein Problem an diesen Frühstückstellern: Am Ende isst man sie vor lauter Frustration ja doch leer.
Positiv ist, dass der multifunktionale Frühstücksteller allmählich ausstirbt, jetzt, wo sich die amerikanische Frühstücks- bzw. Brunch-Kultur in Deutschland etabliert hat. Allerdings ist er durch etwas ersetzt worden, dass tatsächlich noch schlimmer ist: die Bowl. Bowls sind Schüsseln, in denen verschiedene Zutaten – Gemüse, pochiertes Ei, Nüsse, Ziegenkäse – möglichst platzsparend übereinander gestapelt werden. Das führt spätestens dann, wenn man in das pochierte Ei gepikst hat, zu einem großen, unappetitlichen Durcheinander, bei dessen Anblick ich immer an meine Grundschulfreundin Blanca denken muss.
Als ich einmal bei Blanca übernachtet hatte und morgens in die Küche kam, bereitete sich ihr älterer Bruder dort gerade einen abenteuerlichen Shake aus allem zu, was der Kühlschrank so hergab: Senf, Eiern, Ketchup, Marmelade, Sirup. Er mixte alles gründlich zusammen, bis es eine blassrosa Farbe angenommen hatte, und stellte den Trunk dann in die Mikrowelle. Ich muss sieben oder acht Jahre alt gewesen sein, als ich Zeuge dieses kulinarischen SuperGAUs wurde, aber ich kann mich daran erinnern, als sei es gestern gewesen. Vor allem muss ich oft daran denken, wenn ich in eine Bowl schaue.
Übrigens: pochierte Eier! Eine zeitlang waren sie der Grund dafür, dass ich außer Haus frühstücken ging. Dann fand ich heraus, wie kinderleicht es ist, selbst ein Ei zu pochieren, und wie viel besser es obendrein schmeckt, wenn man es nicht unter fettigen Saucen begräbt. Aber ich esse eh keine pochierten Eier mehr. Ich habe ein Pochiertes-Ei-Trauma, seitdem ich im Berliner Restaurant Industry Standard einmal eine Schüssel Tortilla-Chips serviert bekam. Zum Frühstück. Die Chips waren in einer scharfen roten Sauce eingeweicht worden, obendrauf saß ein pochiertes Ei. Das Ganze schmeckte wie drei Tage alte Dosenravioli mit Schleim.
Wer ist überhaupt auf die Idee gekommen, das Frühstück auszulagern? Natürlich ist die Vorstellung schön, sich morgens bedienen zu lassen. Dabei ist auch im Hotel das öffentliche Buffetfrühstück nur zweite Wahl. Echten Luxus gönnt sich nur, wer sich das Frühstück aufs Zimmer liefern lässt. Ich habe mich das noch nie getraut, träume aber davon!
Die erste Mahlzeit des Tages ist auch deshalb sensibel, weil sie, mehr als Mittag- und Abendessen, stark an persönliche Rituale gebunden ist. Manche frühstücken morgens nur eine Tasse Kaffee, andere – wie ich – brauchen ein großes Müsli aus ganz bestimmten Haferflocken, wobei die Milch eine ganz bestimmte Temperatur (kalt!) haben muss. Die einen könnten morgens niemals etwas Süßes essen, die anderen finden Eier um 7 Uhr früh abstoßend. Bei keiner Mahlzeit bin ich so unflexibel wie beim Frühstück. Als Kind konnte ich Butter nur zuhause essen, in Restaurants und auf Frühstücksbuffets ekelte ich mich vor ihr: entweder klebte sie dort schwitzend am Tellerrand oder schwamm in Eiswasser. Beides war am frühen Morgen zu viel für mich. Vielleicht habe ich das Butteressen auch deshalb irgendwann ganz eingestellt.
Warum eine Mahlzeit, die so stark an persönliche Eigenheiten gebunden ist, im öffentlichen Raum einnehmen? Es mag an meiner leicht asozialen Ader liegen, aber das beste Frühstück, das ich kenne, ist das gute alte Marmeladenbrot – im Bett. Dazu lese ich die Zeitung. Und trinke so viel frisch gepressten Orangensaft, bis er mir aus den Ohren wieder rauskommt.
Fotos: Claire Beermann