Frühjahrsputz in neunzehneinhalb Stunden

SO GEHT'S!

Nicht erst seit Netflix die japanische Aufräumnanny Marie Kondo in die Welt entsandte, um den Leuten das Ausmisten beizubringen, wissen wir, dass Ordnung das halbe Leben ist. Wahrscheinlich sogar das ganze. Im Winter vergisst man das bloß leider schnell, weil die Wohnung zu dieser Jahreszeit durchgehend im Halbdunkel liegt und Unordnung mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen ist. Außerdem gibt es im Winter Wolldecken, die man sich über den Kopf ziehen kann, sobald das Chaos biblische Ausmaße annimmt. Aber jetzt ist Frühling, und im Licht der aufgehenden Sonne ist jedes Staubkorn gut zu sehen. Zeit für den Frühjahrsputz! Hier kommt der praktische Schritt-für-Schritt-Guide: 

  1. Recherche ist alles, deshalb beginnen Sie Ihren Frühjahrsputz bitte mit der Sichtung verschiedener Fernsehserien. Im Fernsehen herrscht nämlich immer Ordnung, es sei denn, es handelt sich um Reality TV; da bitte wegschauen. Bei „Mad Men“ und „Suits“ kann man lernen, wie ein aufgeräumter Schreibtisch auszusehen hat. Schauen Sie bitte vierzehn verschiedene Folgen beider Sendungen, um sich einen aussagekräftigen Eindruck zu verschaffen. Auch von Anna Wintours Arbeitsplatz kann man sich dank dieses Videos etwas abschauen, zum Beispiel, dass auf jeden aufgeräumten Schreibtisch 27 identische und perfekt gespitzte Bleistifte gehören. Kreatives Chaos ist total out. Das wusste schon Peggy Olson: Ihre Stifte verstaute sie sauber von einander getrennt in den Löchern einer Kokosnuss. Kaufen Sie bitte jetzt eine Kokosnuss.
    Peggy Olson in „Mad Men“
    Mike Ross in „Suits“

    Anna Wintour, „Vogue“
  2. Bleiben wir gleich bei den Stiften, von denen 317 Stück überall in Ihrer Wohnung herumliegen, ohne je benutzt zu werden. Man braucht pro Haushalt tatsächlich nur 27 Stifte (siehe oben), aber wir wollen auch nicht zu radikal ausmisten. Überprüfen Sie deshalb nun bei jedem Stift einzeln, ob er noch schreibt. Bei dieser Gelegenheit können Sie sich gleich eine schöne, neue Unterschrift zulegen. Üben Sie so lange, bis Ihnen die neue Unterschrift in Fleisch und Blut übergegangen ist.
  3. Tipexen Sie sämtliche Ihrer Kredit-, EC-, Bibliotheks- und Versicherungskarten, um Ihre neue Unterschrift aufzutragen.
  4. Anna Wintour hat elegantes Strandgut um den Schreibtisch herum liegen, um im Fall der Fälle von unordentlichen Elementen wie alten Teetassen abzulenken. Gehen Sie bitte an den nächstgelegenen Strand und sammeln auf, was Ihnen gefällt. Anschließend nach Wintour’schem Vorbild dekorativ auf dem Schreibtisch drapieren.
  5. Fünf Minuten Pause! Lauschen Sie dem Meeresrauschen aus Ihrem neuen Strandgut und atmen Sie dabei 4000 Mal tief ein und aus.
  6. Jetzt geht es an die Schubladen. Öffnen Sie die nächstgelegene Schublade und schauen Sie hinein. Die Schublade ist wahrscheinlich voller alter Handarbeitsmagazine, Unterhosen, Reinigungsbürsten für Blockflöten, Massagebälle, Handcremetuben, Kundenkarten, Stifte, die Sie bei Schritt 2 übersehen habe, Passfotos, kaputter iPod Nanos und Scoobidoo-Armbänder. Machen Sie die Schublade schnell wieder zu.
  7. In der nächsten Schublade werden Sie Ihre alten Tagebücher (1987-2011) entdecken. Beim Durchblättern stellen Sie fest, dass keiner der Einträge vollständig ist, weil sie beim Schreiben immer nach siebeneinhalb Minuten eingeschlafen sind. Unvollständige Tagebücher sind total unordentlich, also machen Sie sich jetzt bitte daran, jeden einzelnen Eintrag fertig zu stellen. Halten Sie sich dabei aber nicht zu lange mit Halbsätzen wie „Ich konnte auch kaum glauben, dass er die Eier…“ vom 14. Mai 1998 auf, gemeint haben können Sie damals alles Mögliche, also auch: „…hatte, sich ein Spiegelei zu braten.“
  8. Wenden Sie sich jetzt bitte Ihrer Kochbuchsammlung zu, die dringend entschlackt gehört. Niemand braucht das GU-Heft „1 Topf, 50 Gerichte“, solche Kochbuchtitel sind, das merken Sie sich jetzt bitte endlich mal, immer erstunken und erlogen, weil keines dieser 50 tollen Gerichte jemals nur einen einzigen Kochtopf, sondern immer auch ein Zwiebelbrett, einen Dosenöffner, einen Spargelschäler und einen Pürierstab verlangt und man den ganzen Mist am Ende natürlich auch wieder abwaschen soll. Was ist nur los mit den Leuten, die solche Kochbücher schreiben?
  9. Ist Ihre Wohnung immer noch unordentlich? Unser Tipp: Malen Sie ein Bild. Schön groß, abstrakt, mit schwarzen Vierecken und so. Hängen Sie es an die Wand. In den Häusern ordentlicher Menschen hängen immer abstrakte Gemälde. Jetzt auch bei Ihnen.
  10. Haben Sie schon die alten Zeitungen aussortiert? Nein? Dann ist jetzt der richtige Moment dafür. Achten Sie darauf, nicht aus Versehen einen legendären Leitartikel über den Politischen Aschermittwoch von Jasper von Altenbockum (FAZ) zu vernichten, der in 50 Jahren mehrere hunderttausend Euro wert sein könnte. Lesen Sie vorsichtshalber noch mal den ganzen Zeitungsstapel durch, bitte gründlich vorgehen, insbesondere bei den Panorama-Seiten. Ist Heidi Klum jetzt eigentlich schwanger?
  11. Endspurt! Die Wohnung glänzt schon wie ein Aal im Sonnenstudio, jetzt fehlt eigentlich nur noch das Gefrierfach. Machen Sie vorher ein paar Liegestütz. Vorsicht beim Öffnen der Gefrierfachklappe, es könnten Gepäckstücke herausfallen. Entnehmen Sie die Tiefkühlerbsen von 1994, die Fischstäbchen von 1996 und die Überreste vom Weihnachtsessen 2001 und braten Sie alles bei mittlerer Hitze in einer großen Pfanne knusprig an. Der abgebrochene Schneidezahn, der seit August 2007 auf Eis liegt, verbleibt im Gefrierfach. Wer weiß, wann Sie den noch brauchen.