Die Modewoche in kleinen Happen

WER SAGT EIGENTLICH, DASS MODELEUTE NICHTS ESSEN?

Es soll ja Leute geben, die während der Fashion Week nicht zum Essen kommen – ich gehöre ganz bestimmt nicht dazu. Selten habe ich so gut und vor allem vielfältig gespeist wie in der vergangenen Woche, nicht nur einen Mode-Marathon, sondern auch einen regelrechten Wettlauf von Häppchen zu Häppchen habe ich absolviert. In den letzten Jahren sind nebst einzelner Gerichte, wie etwa Sushi, Cupcakes oder Popcorn, auch bestimmte Trends bei der Präsentation und Darbietung der gereichten Kost zu beliebten Modeerscheinungen avanciert: gerade bei wichtigen Mode-Empfängen ist das sogenannte flying dinner heutzutage Pflichtprogramm.
Wann das Buffet ausgestorben ist, weiß ich nicht, ist mir auch egal, ich habe Buffets schon immer gehasst, die Tatsache, dass man sich dort, nachdem man stundenlang mit knurrendem Magen in der Schlange stand, während sich der Vordermann in Zeitlupe jedes Salatblatt einzeln auftut, schließlich vor abgegrasten Silberplatten und überschäumenden Schokoladenbrunnen wieder findet, hat mich noch nie wirklich gereizt. Anders ist es beim flying dinner: dort kann man ganz entspannt in der Gegend herumstehen, in aller Ruhe sein Glas leeren, ohne sich vor lauter Angst, das Buffet könne gleich von einer Horde gieriger Geschäftsmänner gestürmt werden, am Drink zu verschlucken. Gelegentlich kommt ein netter Kellner vorbei und hält einem ein Tablett mit exquisiten kleinen Happen unter die Nase, die gerade so groß sind, dass man sich einmal ohne schlechtes Gewissen durch das gesamte Angebot probieren kann.

So habe ich in der letzten Woche einige ausgefeilte Strategien für einen besonders effizienten Genuss dieser fliegenden kleinen Köstlichkeiten entwickelt. Zuallererst sollte man sich immer, natürlich möglichst unauffällig, in der Nähe der Küche aufhalten, wie ich es bei der VOGUE Fashion Night im Restaurant Borchardt praktizierte, wo ein derartiges Gedränge herrschte, dass die Kellner, sich mitten ins Getümmel stürzend, die Tabletts immer hoch über ihren Köpfen transportieren mussten und man dementsprechend mutig ins Ungewisse greifen musste, wollte man eines der kleinen Tellerchen erhaschen.  Das kann einem, sofern man sich erwartungsvoll und in Alarmbereitschaft am Küchenausgang positioniert hat, nicht passieren. Dort ist das Gedränge nämlich in der Regel noch auszuhalten und die Kellner können die Tabletts gefahrlos auf Bauchnabelhöhe vor sich her tragen.

Bevor man zu einem Mode-Empfang geht, bei dem heutzutage, das kann man sich hinter die Ohren schreiben, unter Garantie immer ein flying dinner serviert wird, sollte man auf gar keinen Fall etwas Stopfendes zu sich nehmen – der Gedanke an lauter kleine Häppchen, die sowieso nicht dauerhaft sättigen, täuscht nämlich gewaltig. Flying dinner eignen sich insofern gut für figurbewusste Gäste aus der Modebranche, als dass man angesichts der niedlichen kleinen Portionen eigentlich nie das Gefühl hat, besonders viel zu essen. Andererseits verliert man spätestens nach dem fünften, ach-so-winzigen Tellerchen, auf das dann auch noch ein paar Mousse-au-Chocolat-Gläschen mit Granatapfel-Topping folgen, schnell den Überblick. Obwohl ich mich nach der letzten Woche, in der ich manchmal sogar in den Genuss gleich mehrerer flying dinner täglich kam, eigentlich eine echte flying dinner-Expertin nennen kann, weiß ich bis heute nicht, ob man bei dieser Dinierform mehr oder weniger zu sich nimmt als bei einem gewöhnlichen Menü mit Vor-, Haupt- und Nachspeise.

Ist ja auch egal. Vergleiche ich einmal alle Häppchensortimente, durch die ich mich während der Fashion Week bei verschiedensten Anlässen durchprobieren durfte, so kommt das Borchardt’sche flying dinner erstaunlicherweise gar nicht auf Platz eins, was vermutlich daran liegt, dass bei der VOGUE Fashion Night besonders viele Menschen auf einmal verköstigt werden wollen und die Küche daher im kulinarischen Bereich Abstriche machen muss. Sogar Karlie Kloss beobachtete ich dabei, wie sie sich ein walnussgroßes, paniertes Minischnitzel mit einem Häufchen Kartoffelsalat in den Mund schob. Generell fiel das fliegende VOGUE-Dinner eher rustikal und weniger elegant aus, als ich es erwartet hatte: Trüffelrisotto, Hühnchen-Pasta in Cognacsauce, gebuttertes Rübengemüse, Pulpo-Salat und ebenjenes Schnitzelchen hätte ich eher bei einem klassischen Konfirmations-Bankett erwartet.

Exotischer ging es einige Stunden zuvor, beim FAZ-Empfang zu: dort wurden bereits am späten Nachmittag Speisen von exklusiver Qualität gereicht. Mein Lieblingshappen des Abends wurden die in orientalischer Gewürzsauce marinierten Karotten mit geröstetem Sesam, wenn auch der indische Linsen-Curry-Salat mit Joghurt ebenfalls für ein positives Geschmackserlebnis sorgte. Bis heute ärgere ich mich, aus Rücksicht auf die noch anstehende VOGUE Fashion Night auf das Vittello-Tonnato-Tellerchen verzichtet zu haben.

Ganz allgemein ist anzumerken, dass die einst so populäre Baguette-Scheibe mit Lachs- oder Schinkentopping zumindest auf den meisten Mode-Parties nicht mehr allzu präsent ist. Das ist verständlich – denn wenn eine bekannte deutsche Schauspielerin oder die Redakteurin eines hochrangigen Frauenmagazins plötzlich die Wahl zwischen arabisch gewürzten Karotten oder Weißbrot mit Schinken hat, ist ja klar, welches Häppchen das Rennen machen wird. Was allerdings bei den Empfängen großer Versicherungsfirmen oder auf Parteitagen gereicht wird, kann ich natürlich nicht beurteilen – möglicherweise ist die klassische Baguettestulle hier noch immer sehr en vogue.

Zuletzt bleibt noch der VOGUE Salon am Freitagmittag zu erwähnen, der im noblen Hotel de Rome stattfand. Nachdem ich jedes einzelne Sackkleid von Michael Sontag, Augustin Tebouls wollene Schlapphüte sowie die herrlichen, elegant-sportlichen Entwürfe des Labels Achtland begutachtet hatte, gab es nicht mehr viel zu tun, sodass ich mich in aller Ruhe der Verköstigung des auch hier gereichten flying dinner widmen konnte. Bis heute frage ich mich, woher sie in der Küche des Hotel de Rome mitten im Januar Himbeeren und Blaubeeren in solch erlesener Qualität beziehen. An die Umweltverschmutzung, die eine derartige Dekadenz wohl nach sich zieht, habe ich dabei, genusssüchtig wie ich gelegentlich bin, vorerst nicht zu denken versucht. Ohnehin war ich wahrscheinlich schon allerorts als die dauerhaft-hungrige Modebloggerin bekannt, die man irgendwie nie arbeiten, sondern immer nur essen sah, weshalb ich den in der Tat sehr verführerischen Garnelen-Avocado-Salat ausließ und mich lieber der schlichteren, vegetarischen Variante widmete, nämlich gegrillten Paprikaschoten und Auberginen in mediterraner Aceto-Vinaigrette.

Bedauerlicherweise war ich, trotz meiner unstillbaren kulinarischen Neugierde, nicht zum abendlichen Event von Prêt-à-diner eingeladen – bestimmt hätte nichts meine Modewoche in kleinen Happen besser abrunden können als diese exklusive Veranstaltung des nun temporär in Berlin ansässigen, weltberühmten Pop-Up-Restaurants. Auf style.de lassen ein Bericht sowie zahlreiche verführerische Bilder erahnen, welch exquisites Gourmet-Erlebnis mir dort entgangen sein muss.

Andererseits darf man sich ja auch nicht überfressen. Deshalb ernähre ich mich nun wieder ganz klassisch von minderwertigem Studentenfraß, um bei der nächsten Fashion Week mit geschärften Sinnen erneut das kulinarische Angebot der Berliner Modewoche auf das Eloquenteste testen zu können. Und vielleicht laden mich dann ja sogar die chefs von Prêt-à-diner ein.