Ein müdes Tier

Der Winter ist ein Tier. Es spuckt mir ins Gesicht, es beißt mich in die Stirn. Sein Atem hängt als eisiger Nebel in der Luft und lässt Blumen und Blätter welken. 

Jetzt wird das Tier müde. Die ersten warmen Sonnenstrahlen wagen zaghaft, durch noch kahle Zweige hindurch auf den vereisten Weg zu scheinen, und ich blinzele in das ungewohnt helle Licht, wie nach einem langen Schlaf, plötzlich erwacht. 
Der Frühling ist da. Überall weilen noch verlassene, einsame Schneereste, Eis erstreckt sich, nur langsam schmelzend, noch immer auf Wegen und Straßen, aber ich weiß, der Frühling ist da. Die Schärfe des Wintersturms ist einem warmen, zarten Hauch gewichen.
Und die Schneeflocken, die hie und da vereinzelt vom Himmel schweben, sind keine Botschaft des Winters mehr, sondern letzte Überlebende, die doch selbst auch im Sterben liegen.
Grüne Triebe quellen aus Zweigen hervor. Klare Bäche fließen die Straße hinab. Und die Sonne taucht wintergraue Fassaden in frühlingshafte Farben. 
Ich trage noch einen Mantel, aber mit 3/4 Ärmeln. Darunter ein weißes T-Shirt und ein luftiger Rock, durch ein petrolgrün und weiß gemustertes Tuch in der Taille gebunden.
Ich weiß, es ist Frühling.



Mantel: Roma e Toska  / Rock: Homemade/ T-Shirt: H&M / High Heels: Comptoir des Cotoniers