„Zu viel Chic-Chic, zu viel Firlefanz“

Soo…jetzt halte ich es nicht mehr aus. Drei Monate lang habe ich nichts gepostet, das suedafrikanische Internet ist mir nicht geheuer, aber in mir brodelt nach wie vor die feurige Leidenschaft zu Kunst-/Mode- und Trendkultur UND dem ganzen Firlefanz drumherum, und nun MUSS ich den Stau in meinem Hirn entlasten, denn meine grauen Zellen quillen ueber vor Ideen und Kommentaren, die unbedingt an die frische Luft wollen. Im Klartext: Hier kommt wieder ein Blog vom feinsten.

Es wird auch hoechste Zeit. Denn ich muss meinem Aerger Luft machen. Gerade wurde mir erfreulicherweise die aktuelle deutsche Vogue aus der Heimat geschickt, was auch absolut notwendig war, weil ich allmaehlich Angst bekomme, mich ebenfalls mit der chronischen Verwirrter-Geschmack-Krankheit zu infizieren, die hier am konservativen Maedchen-Internat mit Schuluniform-Pflicht und dem daraus resultierenden eher rauem Gespuer fuer Mode herrscht.
„Mr. Price“, eine Mischung aus „Kick“ und „Esprit“, ist anscheinend der Mode-Marktfuehrer in Suedafrika, und entsprechend gross ist der Anteil an Damen und Herren, die Plastiktops und enge Kunstfaserpullover fuer Haute Couture halten.

Somit vermisse ich die westliche Modewelt mit all ihrem Luxus und Ueberfluss natuerlich zeitweise, und die Septemberausgabe der deutschen Vogue mit der Praesentation der neuesten Trends und Werbungen schafft sofort Abhilfe. Obwohl – und nun komme ich zur Quelle meines Aergers – ich schwer enttaeuscht bin von den aktuellen Herbst-Winter-Kollektionen der grossen Designer. WAS zum Henker wollen uns Karl Lagerfeld und seine Kollegen in diesem Winter bitte andrehen?

Bleiben wir doch gleich bei Karl Lagerfeld, bei Chanel, denn gerade jetzt laeuft der Film „Coco Chanel“ in den hiesigen Kinos an. Wie beschreibt Coco, dargestellt von Audrey Tautou, dort doch so treffend die uebertriebenen Modeerscheinungen ihrer Zeit:…“zu viel Chic-Chic, zu viel Firlefanz,zu viel, alles zu viel…“ und auf die Frage des Verehrers:“Was hast du denn mit dem Kleid gemacht, das ich dir geschenkt habe?“ – das Kleid, rosafarben und mit Schleifen und Roeschen geschmueckt – antwortet sie schnippisch und es ist so wahr: „Ich trag‘ doch nicht deinen Vorhang!“

Im Klartext: Die Marke Chanel, ganz im Sinne von Coco Chanel, verkoerpert im Grunde Eleganz auf hoechstem Nivau, aber ohne ueberfluessigen Firlefanz. Kaiser Karl, so leid es mir tut: Die aktuelle Pret-a-porter-Kollektion verfehlt dieses Credo komplett. Monsieur Lagerfeld wickelt seine recht duemmlich wirkenden Models in Lagen von faltiger Seide und Rueschen und Broschen, das klassische Tweed-Kostuem ist in giftigem Gruen kaum wieder zu erkennen und was bitte soll der laecherliche, abgeflachte Hut, der auf dem Haupte thront? Teilweise ebenfalls aus dem aggressiven Gruenton hergestellt, zudem aus grobem Tweed, aehnelt die Oberflaeche einer ungemaehten Bergwiese.
Schlimmer wird’s nimmer: Auch mit rosa Rueschen quaelt uns Karl Lagerfeld in dieser Saison.

Zu guter Letzt versagen auch die Hair-and-Make-up-Artisten, die den Models weisse Pailletten-Streifen auf die Wimpern kleben und zum Teil feuerrotes oder eidottergelbes Haar ueber das gruene Tweed-Kostum wallen lassen. „Zu viel Chic-Chic, zu viel Firlefanz“, das ist es, was uns Chanel in diesem Jahr ernsthaft verkaufen will. Darin will ich jedenfalls nicht herumlaufen, vielleicht am Rosenmontag, aber niemals und nirgens sonst.

Doch Karl Lagerfeld ist bei Weitem nicht der einzige Createur, der mich in dieser Saison schwer enttaeuscht.
Natuerlich gibt es die potenziellen Kandidaten fuer gruselige Kollektionen wie John Galliano, der ja schon seit Jahren die anspruchsvolle und intelligente Dame von heute in ein dummes Huhn verwandelt. Besonders schaurig in diesem Jahr im Hause Galliano: Die Babuschka-Kollektion – frau soll doch tatsaechlich wie das traditionelle russische Pueppchen herumlaufen, wild und wahnsinnig bestickte Blusen mit Unmengen von Kettchen, alberne weisse Haeubchen und besonders grausame Plateauheels mit plueschigen Schienbeinschonern anlegen.

Aber wie gesagt, John Galliano kann mir keinen entsetzten Schrei mehr entlocken, mit jeder Kollektion beweist er erneut, wie sehr man einen Mode-Alptraum wahr werden lassen kann. Schade ist dies nur in jener Hinsicht, als dass er auch als Chefdesigner im Hause Dior wuetet, wo traditionell eigentlich ein eleganterer und tiefsinnigerer Geist herrschen sollte. Christian Dior muesste sich derzeit mal wieder schauernd im Grabe umdrehen.

Ebenso gleicht auch die Kollektion von Dolce & Gabbana wie ueblich einem Potpourri aus verschiedensten Aspekten des uebertriebenen Schnickschnacks , wild werden pinke Yetifelle mit gerueschten und gepunkteten Kostuemen kombiniert, und Marilyn Monroes Konterfeit auf barockem Ballkleid kann mich ebenso wenig ueberzeugen.
So koennte ich nun also endlos weitere grosse Designer aufzaehlen, deren kreatives Gehirn anscheinend bis auf den letzten Funken Gespuer fuer verblueffende und besondere, begehrenswerte Mode ausgewrungen ist. Dies ist jedenfalls die einzig plausible Erklaerung, die mir fuer das diesjaehrige Disaster in den grossen Modehaeusern einfaellt.

Neue, interessante, tiefsinnige Mode zu kreieren, Mode, die man auch tragen kann – JA, TRAGEN!, denn was zum Teufel SOLLEN wir denn mit albernen und durch und durch UNTRAGBAREN Yetifellen und Wiesenhueten – und die trotzdem verbluefft und erstaunt und etwas Zauberhaftes in unsere graue Welt bringt, das ist es, was mittlerweile nur noch wenigen Designer ueber einen laengeren Zeitraum gelingt.

Stefano Pilati beispielsweise macht nun schon seit 2002 einen durchaus ordentlichen Job bei Yves Saint Laurent. Faszinierend war bereits wieder in der letzten Saison die schlicht-elegante und gleichzeitig glamouroes-bezaubernde Kombination aus gruen-glitzerndem Egg-Shape-Bustierkleid plus Gitterbooties, die mich nachhaltig begeistert hat. Ebenso gelungen das schlichte Make-up und das wunderbar geschmeidig aufgesteckte Haar zum minimalistischen Disco-Style.
Auch fuer die aktuelle Herbst-/Winterkollektion gelingt die Fusion aus Minimalismus und fein durchdachten besonderen Details: Die mit uebergrossen Schleifen geschlungenen, voluminoesen weissen Blusen bilden einen perfekten Kontrast zu den neu aufgelegten Bleistiftroecken, schwarze Leder-Jumpsuits, futuristisch anmutendes und dennoch hoechst elegantes schwarzes Schuhwerk demonstrieren erneut das Talent des Italieners.

Doch bedauerlicherweise bleibt die Marke Yves Saint Laurent unter den wirklich grossen Modehaeusern fast die einzige, die es in dieser Saison wieder geschafft hat, die Tradition des Hauses weiterzufuehren und zeitgleich neue Details und erstaunliche Ideen, die von wahrer Kreativitaet zeugen, in die aktuelle Kollektion zu integrieren.

Chanel, Dolce & Gabbana, Galliano, Dior, aber auch Balmain (allmaehlich ist das Potenzial der betonten Schultern aber wirklich ausgeschoepft!), Marc Jacobs, Versace, Alexander McQueen (besonders schaurig: die dickbemalten Lippen, die anscheinend von den misslungenen Kollektionsteilen ablenken sollen) – sie alle und noch viele ihrer Kollegen muessen sich meiner Meinung nach gewaltig ins Zeug legen, um in der naechsten Saison wieder mit mehr wahrer Kreativitaet zu punkten – Chic-Chic und Firlefanz ist jedenfalls nicht en vogue.