Die Kunst des Kofferpackens

IST NICHT MEIN FACHGEBIET. DEFINITIV NICHT.

Illustration: Josh Cochran for The New York Times

Ich habe ein Problem. Mein Koffer ist kleiner als mein Kleiderschrank. Das ist ja erstmal keine besondere Erkenntnis, nun allerdings aus aktuellem Anlass ein Anliegen, dass mir nachhaltiges Kopfzerbrechen beschert: in zwei Wochen ziehe ich für vier Monate nach New York. Toll, was? Ich bin schon so aufgeregt, dass ich gleich mal ein Probepacken veranstaltet habe: da Hamburg den gescheiteren Flughafen hat, werde ich von dort fliegen und habe deshalb bereits jetzt mein ganzes Zeug von Berlin in den Norden geschleppt.

Weil ich immer nach der gleichen Façon packe, hatte ich mir die ganze Prozedur vergleichsweise einfach vorgestellt: sobald ich mich länger als zwei Tage von meinem Wohnort entferne, nehme ich in der Regel fast alles mit. Das ist mein persönlicher Spleen und dagegen lässt sich nichts machen, weil ich 1. der Meinung bin, dass mindestens ein Spleen pro Mensch durchaus gesund ist und ich 2. sogar einen entscheidenden Vorteil in diesem Wahnsinn sehe: denn woher soll man wissen, auf welche Kleider man am Reiseziel auf einmal Lust haben wird? Besser, man hat gleich alles dabei. Oder?

Die Wahrheit ist: tatsächlich bin ich einfach zu faul, eine vernünftige Selektion meiner Garderobe vorzunehmen. Vielleicht habe ich schlicht zu viel zum Anziehen, obwohl, kann eigentlich nicht sein. Ich bin mir fast sicher, dass es Leute gibt, die noch viel mehr Klamotten besitzen als ich! Das allerdings löst das Problem nicht. Jedes Mal, wenn ich verreise, sehe ich mich gezwungen, meinen Koffer zu vergewaltigen. Jetzt, auf halber Strecke nach New York, musste es ja passieren: das gute Stück ist nach fünf tapferen Betriebsjahren geplatzt.

Ich hatte gerade meinen halben Kleiderschrank inklusive acht schwarzer Kleider, drei Handtaschen, 12 Paar Schuhen und 17 Oberteilen im Koffer verstaut, da drohten bereits beide Schalenhälften überzulaufen. Zum Glück sind Kleider nicht flüssig!, dachte ich und packte munter weiter drei Anzughosen, vier Blazer, zwei Paar Sportschuhe, 24 Socken, eine Lederjacke und fünf bunte Sommerkleider obendrauf, außerdem drei Aufladekabel, eine Fotoausrüstung, zwei Kulturbeutel, sieben Bücher (darunter ein libanesisches Kochbuch und zwei New-York-Reiseführer) und einen Filzhut. Während der Berg wuchs, schien der Koffer unter der Last irgendwie zu schrumpfen.

We can work it out! trällerte ich fröhlich, als mein Kleiderschrank leer, der Koffer voll und fertig zum Zuklappen war. Das sah ungefähr so aus:Ich setzte mich auf den Koffer. Es knirschte. Ich nahm alle Kraft zusammen und machte mich so schwer wie möglich. Das geht gut, wenn man sich vorstellt, gerade ganz allein einen ganzen Guglhupf verspeist zu haben. Es knackte. Ich zog am Reißverschluss, alle Muskeln auf Spannung. Dann legte ich mich auf den Koffer, zog noch einmal am Zipper, und die Kiste war zu. Triumph! Soon you’re in New York! sang ich und tanzte zu Alicia Keys durchs Zimmer.

Dabei kam ich zufällig am halboffenen Kleiderschrank vorbei.

Dort hing ein weißer Blazer.

Und der musste mit.

Der Klassiker beim Kofferpacken! Musste ja passieren! Also noch einmal von vorn. Ich öffnete den Koffer, der Reißverschluss seufzte erschöpft, ich verstaute den Blazer und klappte beide Hälften wieder zusammen. Setzte mich auf den Koffer. Zog am Reißverschluss. Zwei Seiten ließen sich noch schließen. Dann knirschte es. Ich zog noch einmal, aber der Zipper bewegte sich nicht. Ein verzweifeltes Quietschen, und die Zähnchen rissen auseinander. Der Koffer sah aus wie ein gestrandeter Wal.

Tatsächlich schaffte ich es noch irgendwie, die halb-offene Kiste per Zug nach Hamburg zu transportieren. Kopfschüttelnde Herren halfen mit beim Verladen des Ungetüms. Bei der Ankunft war es dann allerdings aus und vorbei: der vor lauter Spannung zitternde Koffer ließ sich nur öffnen, nachdem ich den demolierten Reißverschluss mit der Schere zerschnitten hatte.

Nun bin ich also um eine Reisetasche ärmer und ein Problem reicher: wie bekomme ich meine Garderobe nach New York? In die aufregendste Modestadt von allen, in der ich natürlich einerseits täglich hervorragend gekleidet herumzulaufen und andererseits auch ganz großartig einzukaufen gedenke, was wiederum bedeutet, dass ein bisschen Luft im Koffer durchaus von Vorteil wäre?

Ich habe ja immer von der Fähigkeit des stilvollen Packens geträumt, so wie Louis Vuitton es in dem Video „The Art of Packing“ ganz wunderbar präsentiert. Das sieht immer so schön einfach aus: Koffer auf, Jeans einrollen, Blazer zusammenfalten, Socken in die Rillen stopfen, Schuhe nach unten, Trenchcoat nach oben, Unterhosen in die Seitenfächer. Louis Vuitton ist ein Modeunternehmen, aber ich frage mich ernsthaft, ob deren Koffer auch wirklich für Modemenschen geeignet sind. Die meisten von denen werden doch wohl mit mehr als bloß einem Blazer, einem Rock und einem Halstuch verreisen.

Und wie halten es eigentlich all die Redakteurinnen, Stylistinnen und Bloggerinnen auf ihren mehrwöchigen Trips zu den Fashion Weeks? Jeden Tag haben sie etwas anderes an, was bedeutet, dass sie genau wie ich ihren gesamten Kleiderschrankinhalt dabei haben müssen. Kann man mit einem Containerschiff nach Paris fahren? Über Jennifer Lopez heißt es ja, sie sei auf Reisen stets mit 13 Schrankkoffern unterwegs. Die gute Jenny besitzt allerdings auch ein eigenes Flugzeug und zudem einen mehrköpfigen Assistenten-Stab.

Ich dagegen habe nicht einmal mehr einen Koffer.