Notizen zu La dolce vita

AUFGEZEICHNET AM LAGO DI GARDA



Das Foto, das wir hier sehen, sagt viel aus über das Land Italien. Ich habe es neulich in Gargnano am Gardasee aufgenommen. Gargnano ist ein wahres Juwel unter den vielen Ortschaften, die sich am Ufer des petrolblau funkelnden Sees aneinander reihen.  Malerische Häuserfassaden, eine richtig gute Eisdiele, ein Rathaus, ein Sternerestaurant, zwei Luxushotels, und trotzdem kaum Touristen. So etwas gibt es nicht oft in dieser Gegend, die manchmal als 18. Bundesland der Deutschen bezeichnet wird – nach Mallorca.

Was also sehen wir auf dem Foto? Rechts eine antike Fassade mit Spitzgiebeln über den Fenstern, verschnörkelten Gesimsen, einer schmucken Balustrade, vielleicht war das mal die Datsche eines römischen Konsuls, wer weiß. Links ein Geschäft mit heruntergelassenen Jalousien. Dazwischen dieser fantastische Wuchs pinkfarbener Bougainvillea, der die Abgrenzung zwischen beiden Fassaden, der herrschaftlichen und der schläfrigen, verschwinden lässt.

So ist Italien – ein Land zwischen traditioneller Pracht, althergebrachtem Luxus und angeborener Faulheit. Am Gardasee verhält es sich nicht anders. Gerade war ich zum ersten Mal dort. Vorher hatte ich mich auf dicht bevölkerte Dörfer mit mehr Souvenirläden als Einheimischen gefasst gemacht, als Touristenattraktion gepriesene Orte, in denen man vor lauter deutschsprachigen Gästen schnell mal vergisst, dass man sich tatsächlich in Italien und nicht in Düsseldorf aufhält. Als wir in Gargnano ankamen, wirkte der Stadtkern wie ausgestorben. Wir passierten jenes verschlossene Geschäft mit den heruntergelassenen Jalousien, die wirklich gute Eisdiele, eine Reihe zauberhafter Villen mit schmiedeeisernen Toren, hinter denen das leuchtende Blau des Sees hervor blitzte. Da! Ein kleiner Mensch mit Schwimmring. Ansonsten war es still.

Vom Privatsteg der Villa Giulia kann man direkt in den See springen. Gegen das glasklare, glitzernde Gewässer, umgeben von einer atemberaubenden Sicht auf über 1000 Meter hohe Berge, sieht der großzügige Swimming Pool des Hotels alt aus. Was soll man mit einem Pool, wenn man im Schlauchboot über die sanft plätschernden Wogen dieses kristallinen Sees rudern kann? Zwischendurch kommt mal eine Riva vorbei, ein glänzendes Luxusrennboot, so was wie der Ferrari der Wassersportbranche. An Bord sieht man meistens eine italienische Großfamilie mit vielen braungebrannten Kindern sitzen, der Papa am Steuer gibt ordentlich Gas und protzt so richtig schön italienisch mit seinem Reichtum. Aber irgendwie will man das diesen Italienern nicht übel nehmen. Der Protz und das entsprechende Benehmen gehören zu Italien einfach dazu – was man auf Sylt als neureich und bonzig bezeichnen würde, ist hier Teil der kulturellen Identität. In Italien bedeutet savoir vivre, dass alle zugucken dürfen bei la dolce vita. Das Land ist die international anerkannte Hochburg der klassischen Dekadenz, selbst wenn das ein oder andere dieses gerne zur Schau gestellten Prunks, die grelle Beleuchtung in vielen Restaurants, die weißen Kronleuchter in der Hotellobby, die tiefbraun gebrannten Frauen in ihren kristallbesetzten Sandaletten, das Gläschen knallgelber Limoncello nach dem Essen, gelegentlich auch irgendwie geschmacklos wirkt – oder nein, nicht geschmacklos, aber wohl doch ein bisschen kitschig. Trotzdem findet man es schön.

Schön deshalb, weil Italien in Sachen Lebensgenuss solch ein reiches Erbe vorzuweisen hat wie sonst kaum ein anderes europäisches Land, von Frankreich einmal abgesehen. Die schönsten Kirchen, herrschaftlichsten Villen, die weltweit beliebteste Küche und einige der wichtigsten Modemarken der Welt haben wir Italien zu verdanken. Hedonismus ist in Deutschland ein gelegentlicher Jux der gehobenen Mittelschicht, in Italien so was wie Bürgerpflicht. Exemplarisch lässt sich das auch am Beispiel der Villa Feltrinelli belegen. Wer von Gargnano aus ein paar Meter in den Gardasee hineinschwimmt, sieht das Anwesen des Hotels schon von Weitem am nördlichsten Zipfel der Ortschaft am Ufer leuchten. Klassisch italienische und fernöstliche Einflüsse prägen die Architektur des Haupthauses, die lachsrosa gestreifte Fassade mit den sternförmigen Fenstern, die breite Steintreppe hinauf zur Veranda, über die man in einen herrlichen Salon mit holzvertäfelten und verspiegelten Wänden und breiten Sofas mit üppiger Kissenlandschaft gelangt. Hier nimmt die italienische Upper Class nach dem Dinner auf der von einem Baldachin überdachten Terrasse  Café und Digestif ein – und die Küche beweist mit lustigen Einfällen wie den täuschend echt aussehenden Schokoladenzigarren, wie heiter es in einem italienischen Gourmetrestaurant doch zugehen kann. >>

Mit Zimmerpreisen ab rund 1500 Euro, einer atemberaubenden Parkanlage und einem Interieur von opulentem und dabei keineswegs übertriebenem Dekor zählt die Villa Feltrinelli zu den nobelsten Hotels Europas. Der Anlass zum Luxus äußert sich hier stets in stilvollster Authentizität. Kein perlenbestickter Kissenbezug wirkt fehl am Platz. Nur der rosa Porsche vor der Tür (mit Starnberger Kennzeichen, Italiener fahren Ferrari) muss nicht sein, ist zugleich aber ein schönes Symbol für die unterschiedlichen Auffassungen vom Hedonismus nördlich und südlich der Alpen.

Luxus in Italien kann sich aber auch in ganz anderer Weise äußern, nämlich, in Anbetracht der wirtschaftlichen Situation des Landes, auf ziemliche trotzige Weise. Zum Beispiel dann, wenn man in Salò um die Mittagszeit ein Paar Schuhe kaufen will und feststellen muss, dass die Ladeninhaberin zwischen 12 und 16 Uhr strikt ihre Siesta hält. Kein Erbarmen, und dabei ist es noch nicht mal richtig heiß, von den Bergen weht ja immer wieder ein erfrischender Lufthauch über den See. Auch das Feinkostgeschäft hat geschlossen, wehmütig betrachtet man die im Schaufenster präsentierten Gläser mit dicken Oliven und eingemachten Zitronen, Flaschen feinsten Olivenöls, die eingelegten Sardinen in hübschen Blechdosen, hausgemachte Tagliatelle, Trüffel aus dem Piemont. Keine Chance auch nur ein Gläschen Salsa Verde mitzunehmen, geöffnet wird erst wieder am späten Nachmittag. Na gut, dann eben nicht. Die ostentative Faulheit gehört zum süßen Leben einfach dazu. Sofern man gerade im Urlaub ist, macht man da doch gerne mit.