Im Alter von fünf Jahren fertigte ich meine erste Näharbeit an: ein winziges Kissen, notdürftig mit einigen Stichen und zuletzt ungeduldig mit Tesafilm fixiert, für meinen Papa, als Lärmschutz für das nachmittägliche Nickerchen. Ich bin schon immer ein bastelhungriges Kind gewesen, und die Welt der Couture faszinierte mich früh, sodass in den Folgejahren besonders häufig eigene Kleidungsstücke meinem Näheifer zum Opfer fielen. In der sechsten Klasse wollte ich unbedingt eine knallenge Röhrenjeans tragen und verwandelte also – zum Graus meiner Mutter – kurzerhand eine schicke Schlaghose mithilfe meiner stumpfen Papierschere und Nadel und Faden in ein wirklich knackiges Modell; allerdings hielten die Nähte natürlich keine zwei Stunden lang.
Mit 14 Jahren bekam ich dann endlich eine richtige Nähmaschine zu Weihnachten geschenkt, und nun sollte meinen eigenen Modedesign-Künsten nichts mehr im Weg stehen, ich träumte bereits davon, eine komplette Kollektion ganz eigener Kleider-Entwürfe in die Tat umzusetzen. Allerdings wird jeder Nähanfänger schnell merken: ohne Schnittmuster geht es nicht.
Das Problem, das sich uns nähbegeisterten Hobby-Designerinnen hier aber stellt, lautet: wo in aller Welt findet man ein halbwegs annehmbares Schnittmuster inklusive verständlicher Anleitung, das schlussendlich auch ein hübsches Kleid und nicht irgendeinen unförmigen Kartoffelsack ergibt? Die Welt der Nähmagazine ist klein und spießbürgerlich; zwar hat der Marktführer Burda in den letzten Jahren stets versucht, dem aktuellen Zeitgeist entsprechend Schnittmuster für wirklich stylische Kleidung anzubieten – trotzdem finde ich in diesen Zeitschriften selten einen Entwurf, der mich nachhaltig begeistert, irgendwie erinnert doch Vieles allzu sehr an den Batikkurs für vegane Esoteriker.
Irgendwann kam dann das CUT Magazine auf den Markt, endlich einmal ein durch und durch exquisites Heft mit dem spaßigen Untertitel „Leute machen Kleider“, die perfekte Lektüre für Heimwerker und autodidaktische Schneiderinnen. Aber wo ist das CUT Magazine heute? Die letzte Ausgabe erschien Anfang 2012, und auch wenn mir Konzept, Layout und Gestaltung der CUT nach wie vor gut gefallen, konnte ich mich für die im letzten Heft vorgestellten Schnittmuster nicht wirklich begeistern: ein Sackkleid, ein Sackmantel, ein Umhängesack. Das Ganze kam dem Style der Batikmuttis aus dem Esoteriker-Freizeitkurs leider wieder gefährlich nahe.
Und genau deshalb glaubte ich mich nahezu im Himmel, als ich vor einiger Zeit rein zufällig in einem Buchladen das fantastische Werk „Stilikonen – Berühmte Frauen, berühmte Kleider – 20 Modelle mit Schnittmustern“ (bei Amazon für 26 Euro erhältlich) entdeckte. Auf dem Cover: Audrey Hepburn als Holly Golightly in ihrem zauberhaften schwarzen Givenchy-Kleid. Zwischen den Buchdeckeln: Schnittmuster in allen Größen für 10 weitere Kleider berühmter Stars, inklusive Variationen, detaillierten Anleitungen und Tipps zur Stoffwahl. „Famous Frocks“, wie das Buch, geschrieben von den Britinnen Sara Alm und Hannah McDevitt, im Original heißt, ist der wahr gewordene Traum jeder Hobby-Designerin und Modeikonenliebhaberin. Audrey’s Givenchy-Dress mit dem Fransensaum ist dabei natürlich eines der großen Highlights, doch auch Jackie O’s Etuikleid mit U-Boot-Ausschnitt, Marilyn Monroe’s flatternde Neckholder-Robe oder das einfachste Modell, nämlich Diana Ross‘ Partykleid mit Fledermausärmeln und Tropfenausschnitt, lassen mein Herz höher schlagen.
Da ich selbst aber gar nicht weiß, welches von diesen hübschen Kreationen ich denn als Erstes für mich selbst nähen möchte, wurde nun zunächst das Audrey-Kleid auf Bestellung meiner Mutter angefertigt. Und so entstand dank der wunderbar simplen Step-by-Step-Erklärungen in sehr sorgfältiger Näharbeit die mintgrüne Variante des Givenchy-Klassikers aus leichtem Sommerwollstoff, inklusive Gehschlitz und Wasserfallausschnitt. Meine Mutter ist entzückt und beglückt, und macht natürlich jedes Mal eifrig Werbung für mich, wenn sie als mintgrüne Holly Golightly irgendwo herumläuft – demnächst werde ich wohl deshalb ganz offiziell das Atelier Clairette eröffnen und eine berühmte Robe nach der anderen für anspruchsvolle Kundschaft nähen. Kaum ist es mit der Schule vorbei, habe ich also schon einen wunderbaren Karriereplan. C’est fantastique!