Die magische Stadt: Istanbul

Bei Bilice Karafirini darf man sein Efes-Bier nicht auf den Tisch stellen. Der verschmitzt lächelnde Inhaber der Imbissbude, der den Besucher seiner Restauration mit High Five begrüßt, hält keine Alkohol-Lizenz. Fein, dann verstecken wir unsere Bierbüchsen eben unter den niedrigen Sitzhockern und genießen dafür die Aussicht vom ersten Stock der Lokanta hinunter in die engen Gassen des Stadtteils Tünel, mitten in Istanbul gelegen. Vom asiatischen Ufer schallt der Ruf des Muezzin über den Bosporus, während im europäischen Teil der Metropole die Lichter in den Bars und Clubs in Galata und Beyoglu angehen.

Istanbul ist keine Stadt, auch keine Millionenmetropole oder Mega-City, sondern ein kleiner Planet für sich. Wo sonst treffen Tradition und Moderne so harmonisch und entspannt aufeinander? Tatsächlich hätte ich mir keinen besseren Ort für einen Tapetenwechsel der besonderen Art aussuchen können, als mir Anfang des Jahres im grauen Winter-Berlin die Decke auf den Kopf zu fallen schien und deshalb in spontaner Schnapslaune mit zwei Freundinnen ein möglichst weit entferntes und zugleich gut erreichbares Reiseziel auserwählt werden musste. Dank Skyscanner fand sich ein günstiger Flug mit Turkish Airlines, der eindeutig besten Fluggesellschaft für eine Istanbul-Reise, da man bereits im Flieger ganz wunderbar auf die exotischste Stadt Europas eingestimmt wird. Zum Take-Off werden Lokum gereicht, diese herrlich zähen Geleefrüchten mit Pistazien oder Kokosraspeln, der Speisewagen lockt mit homemade Turkish lemonade und gegrillten Auberginen, und wenn die anwesenden Orientalen bei der Landung zum obligatorischen Applaus anstimmen und zeitgleich arabische Popmusik einsetzt, fehlt eigentlich nur noch, dass die adretten türkischen Stewardessen eine kleine Bauchtanzperformance im Gang einlegen.

Dass südländisches Chaos und zivilisierte Moderne durchaus eine hervorragende Kombination abgeben können, mag für Istanbul-Reisende das vielleicht beeindruckendste Erlebnis eines Trips in die türkische Millionenstadt sein. Ihr Zauber liegt in der maroden Opulenz, der staubigen Nachlässigkeit und farbenfrohen Traditionsverbundenheit zweier eigentlich vollkommen konträrer Kontinente, gewürzt mit allen Annehmlichkeiten des urbanen Großstadtlebens im 21. Jahrhundert. Auf der geschäftigen Istiklal Caddesi reihen sich High-End-Boutiquen, Topshops und Kunstgalerien aneinander, auf dem Weg zum Galata Kulesi passiert man zahlreiche, üppig mit Granatäpfeln und Ananas bestückte Saftstände und Döner-Stationen, ein Stück weiter unterhalb des Turms eröffnet sich in einem dicht bebauten Straßengewirr das Heimwerker-Paradies mit winzigen Fachgeschäften für Wasserhähne, Bohrmaschinen oder Kreissägen. Auf der Galata-Brücke wird fleißig geangelt, Möwen kreisen über dem Bosporus, silbern glitzert das Sonnenlicht auf den sanften Wogen, Fähren und Passagierschiffe gleiten dahin, im Dunst erheben sich die Türme der Moscheen auf der asiatischen Seite. Einen stimmungsvollen Moment genießt, wer am frühen Abend über den Fischmarkt am europäischen Ufer schlendert und sich mitsamt einer Portion frisch gegrilltem Rotbarsch im Brot am Wasser niederlässt. Dann wandert der Blick entlang der blinkenden Lichter der Fischrestaurants unterhalb der Brücke hinüber zur hügeligen Landschaft aus schiefen Steinhäusern, engen Gassen, illuminierten Minaretten, den monumentalen Kuppeln der Sultanahmet Moschee und dem Anwesen des Topkapi-Palastes.

Natürlich gibt es auch gediegenere Adressen, in denen man zum Essen einkehren könnte – doch wohl nirgends wird authentischere türkische Küche serviert als in eben jenen Straßengrills und Imbissen, dekoriert mit optisch eher abschreckenden Abbildungen der Gerichte, die man dort in bester Qualität und zu Spottpreisen erwerben kann. Wer braucht ein schickes Restaurant mit Designermöbeln, wenn es in der winzigen namenlosen Garküche mit blau gekachelten Wänden den besten Dürüm Kebab der Welt gibt, perfekt gegrilltes Hühnerfleisch mit Tomaten, Salat und Sumac umhüllt von geröstetem Fladenbrot? Und warum kann es in Berlin eigentlich keine Simit-Stände geben, jene niedlichen Wägelchen mit rot-weiß-gestreifter Markise, die an jeder Straßenecke knusprige Sesamkringel für den kleinen Hunger zwischendurch feilbieten?

Die vielen guten Speisen der anatolischen Küche, die man in dieser Stadt unbedingt alle einmal probiert haben sollte, wirken sich dank der enormen Größe des Stadtgebiets und der auf Hügeln angesiedelten Viertel, die sich am besten zu Fuß erkunden lassen, glücklicherweise nicht allzu sehr auf die Figur aus. Allein der Besuch des Grand Bazaar im Stadtteil Fatih kommt einer kleinen Wanderung gleich, so viele Gassen und Wege gibt es in dem Labyrinth der Teppichhändler und Handtaschenverkäufer zu entdecken. „You are my paradise girl!“ , „Angelina!“, „I love you!“ – immer waghalsiger werden die Schmeicheleien der Händler, die mit allen Mitteln ausländische Touristinnen in ihre Geschäfte zu locken versuchen. Die Krönung: „Lady, you dropped something!“ – „Excuse me?“ – „You dropped my heart!“. Kaum hat man den Kopf auch nur um einen halben Millimeter Richtung Fake-Céline-Handtasche gedreht, kennt das Buhlen um die Gunst der potenziellen Kundin keine Grenzen.

Kultivierteres Programm als die Suche nach der perfekten It-Bag-Kopie absolviert man hingegen in der Altstadt: die obligatorischen Sightseeing-Adressen sind natürlich der Topkapi-Palast, die Blaue Moschee und die Hagia Sophia, Magnet erschöpft dahin schlurfender Touristenmassen. Weitaus entspannter als in der Schlange vor dem Sultanspalast geht es auf der eineinhalbstündigen Bosporus-Fahrt zu: zum Soundtrack vibrierender orientalischer Klänge fährt man mit dem Boot einmal die europäische und die asiatische Küste entlang, wirft einen Blick auf die prunkvollen Bauten, die das Ufer und die dicht mit Palmen und Platanen bewachsenen Hügel säumen und erhält zumindest einen vagen Überblick über eine Stadt, die in ihrer geographischen Größe schier unendlich erscheint, in Kultur und Lebensstil der einzelnen Bezirke jedoch erstaunlich kohärent wirkt. Das schmutzige Chaos, das einem aus fernöstlichen oder arabischen Metropolen bekannt sein mag und für den mitteleuropäischen Durchschnittstouristen auf Dauer etwas ermüdend wirken kann, ist hier erstaunlich angenehm. Tatsächlich möchte man sich gar nicht satt sehen an der morbiden Pracht dieser Stadt, dem Prunk der alten Paläste und Harems, der endlosen Weite des Marmara-Meers, der pittoresken Gemütlichkeit der schmalen Straßen und Gässchen. Einzig der Gedanke daran, dass es auf dem Rückflug beim Start garantiert wieder ein kleines Pistazienlokum geben wird, mag den Abschied aus dieser magischen Metropole ein klein wenig mindern.

Die besten Istanbul-Tipps im Schnelldurchlauf:
  • Turkish Airlines fliegt von Berlin-Tegel direkt nach Istanbul-Atatürk. Günstige Flüge findet man bei Skyscanner.
  • Auf AirBnB werden lauter charmante Apartments in allen Preislagen als komfortable Alternativen zum Hostel angeboten. Zu empfehlen ist zum Beispiel Ayse’s Wohnung, optimal mitten im Ausgehviertel Tünel gelegen.
  • Die sehenswertesten Attraktionen: der Grand Bazaar in Fatih, die Blaue Moschee in Sultanahmet, der prunkvolle Palast Dolmabahçe Sarayi am Bosporus-Ufer.
  • Highlight: die Bootsfahrt auf dem Bosporus entlang der europäischen und der asiatischen Küste inklusive Bauchtanzmusik und Sonnendeck (Tickets bekommt man bei einzelnen Verkäufern auf dem Platz rund um die Hagia Sophia – es lohnt sich zu handeln!)
  • Zeitgenössische Kunst von türkischen und internationalen Künstlern gibt es im Museum Istanbul Modern und in der SALT Gallery zu sehen.
  • Die besten Straßen-Snacks: Sesamkringel, frisch gepresster Granatapfelsaft, Dürüm Kebab.
  • Die beste Imbissbude: Bilici Karafirini im Stadtteil Tünel, an der Ecke Sofyali Sokak/Asmali Mescit.
  • Abendessen mit Aussicht: gegrillter Fisch im Brot mit Blick auf den Bosporus, am Fischmarkt vor der Galata-Brücke auf der europäischen Seite.
  • Gute Mezze gibt es im charmanten Restaurant Nakka in Beyoglu, Sahkulu Mah. Galip Dede Caddesi, Timarci Sokak No.4.