Eine taillierte Jacke aus Woll-Bouclé, Pelz am Hals, Leder an den Händen. Der Rock aus rosa-karierter Wolle, Netzstoff vorm Gesicht, Pumps an den Füßen. Die Inszenierung ist perfekt: in Stockton Johnson’s neuester Fotostrecke spielt Mannequin Martyna Frankow die Hitchcock-Lady im Krimifilm. Es sind wohltuende Bilder in Zeiten der Lumpigkeit, einem sich flächendeckend ausbreitenden Kleidungsstils, der sich gerne hinter Wörtern wie Normcore und Minimalismus versteckt.
Seit geraumer Zeit, vor allem aber, seitdem ich in Berlin wohne, habe ich das Gefühl, dass es heutzutage geradezu verboten ist, sich fein zu machen. Dass Chic in ganz Deutschland als exotisch und frivol gilt, ist ja keine Neuigkeit – aber dass ich mich auch in Berlin, der Modehauptstadt der Nation und Schauplatz aller wichtigen deutschen Mode-Events, bisweilen richtig unwohl fühlen muss, wenn ich in Schuhen mit mehr als fünf Zentimeter Absatz, schwingendem Rock und Blazer mit Taille herumlaufen will, das hätte ich vor meiner Einwanderung in hauptstädtische Gefilde nicht erwartet. Seit wann gilt Chic als unpassende Übertreibung?
Neulich ging ich ins Theater, im Hamburger Thalia in der Gaußstraße gab es „Räuberhände“ zu sehen. Auch in der Hansestadt scheint der Theaterbesuch heutzutage zu einem gesellschaftlich ähnlich bedeutungslosen Ereignis geworden zu sein wie der tägliche Einkauf im Supermarkt. So waren im Zuschauerraum mindestens 87 dunkelbraune Funktionsjacken, 346 ausgetretene Turnschuhe und 72 Acryl-Pullover anwesend. Ich selbst hatte zuvor noch eine hitzige Debatte mit meiner Begleitung ausdiskutieren müssen, es ging um meine dunkelblauen High Heels von Charlotte Olympia. Nie kann ich die anziehen, obwohl sie ein kleines Vermögen gekostet haben und zu den herrlichsten Schätzen meines Kleiderschranks zählen. Aber wenn man ins Theater geht, wird man sich ja wohl noch fein machen dürfen. Dachte ich.
Nicht in diesen Schuhen!, befand mein Begleiter, du machst dich lächerlich! Ins Theater geht kein Mensch in High Heels!
Ich kann anziehen, was ich will, gab ich zurück, mir doch egal, was die Idioten in ihren Funktionsjacken denken!
Schlussendlich blieben die Charlies dann doch daheim, und ich ging in langweiligen flachen Schuhen ins Theater, schnaubend vor Wut und besiegter Bockigkeit. Underdressed, das ist die Volkskrankheit Nr. 1, dagegen gilt Schick-sein als Fauxpas. Lumpig passt immer, während hinter dem Rücken der Eleganz die Lästermäuler schimpfen. Und weil die meisten Leute heute beim Theaterbesuch das gleiche Outfit wie bei der Gartenarbeit tragen, muss ich mich daran anpassen. Und das, obwohl ich selbst sehr wohl Wert auf modische Finesse lege und es als ein Zeichen des Respekts gegenüber den Schauspielern im Theater/meiner Freundin, die zum Abendessen einlädt/den Köchen im Sternerestaurant verstehe, wenn ich mich zur Würdigung ihrer Arbeit herausputze. Klarer Fall: Der Chic ist ausgestorben, weil ich gegen all die Funktionsjacken und Turnschuhe und Acryl-Pullover zwangsläufig schon als overdressed, zu Deutsch überkandidelt, gelten muss, sobald ich bloß meine Nike Air Max gegen Mid-Heels tausche.
Manche Leute sagen: „Clairette, du bist ja so schick!“ Ich möchte es wohlwollend als freundliches Kompliment versehen, aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass sie sich innerlich auch fragen, womit ich wohl sonst noch so meinen Tag verbringe. Hüte, ordentliche Strumpfhosen, Schuhe mit Absatz und Mäntel mit Passform sind ein Relikt längst vergangener Zeiten geworden, weil Sichherausputzen heutzutage allzu schnell mit Narzissmus und Eitelkeit verwechselt wird. Und seitdem Frauen anziehen dürfen, was sie wollen, sind Pragmatismus und Lässigkeit zum modischen Hauptziel geworden. Zudem ist die Klassengesellschaft zumindest in westlichen Ländern weitgehend abgeschafft, weshalb Adel und Klerus sich nicht mehr mittels vornehmer Kleidung vom Abschaum der unteren Schichten abgrenzen müssen. Es gibt heute Milliardärsgattinnen, die in wohlüberlegt zusammen gestellten 10.000-Euro-Outfits wie ausrangierte Wischlappen aussehen. Über Frauen, die sich nicht nur zur eigenen Hochzeit ein schönes Kleid anziehen, hebt man hingegen gern die Brauen – warum das so ist, bleibt mir ein Rätsel.
Stil haben, das bedeutet, zu jedem Anlass richtig angezogen zu sein. Aber was, wenn man mittlerweile selbst bei guten Anlässen ganz schamlos in ausgebeutelten Jeans auftauchen kann? Traurig, aber wahr: Das Leben ist kein Vogue-Editorial – auch wenn uns all diese herrlichen Modestrecken mit eleganten Kleidern doch bestens dazu animieren könnten.