Klebstoff und frittierte Zimtstange

LET'S FACE IT: DIE MEISTEN PARFUMS STINKEN. WARUM EIGENTLICH?
 Neulich habe ich mein Badezimmer ausgemistet. Ausmisten ist bei mir immer eine gefährliche Angelegenheit, weil ich dabei ständig überflüssige Sachen finde, die ich ewig nicht gesehen habe und im Eifer der Wiedersehensfreude kurzerhand von einer Schublade in die nächste umräume, anstatt sie einfach wegzuwerfen. Könnte man ja irgendwann noch mal gebrauchen, diesen Lufthansa-Kulturbeutel! Oder die geklaute Seifenprobe vom letzten Hotelaufenthalt! Oder diesen hässlichen Samthaarreif. Wer weiß – vielleicht kommen Samthaarreifen in der nächsten Saison wieder!
Auf diese Weise erreicht das Ausmisten bei mir nur selten den erwünschten Erfolg.

Neulich habe ich also nach ebendiesem Prinzip mein Badezimmer umgeräumt, und dabei eine Schachtel mit Parfumprobeflakons entdeckt. Lancôme las ich, das klang gut, kann man ja mal ausprobieren, dachte ich. Den Rest des Tages verbrachte ich umnebelt von einer scheußlichen Gestanksfusion aus Karamellbonbon, Rosenstrauß und Hubba Bubba. Nichts half, weder das stundenlange Föhnen der Kleidung noch der ausgiebige Waldspaziergang noch die seifenfreie Katzenwäsche. Der Karamellbonbon saß überall fest. Meine Mitmenschen befanden, mit mir könne man sich nicht im selben Raum aufhalten. Seitdem weiß ich, wie viel Schaden Parfum doch anrichten kann.

Wer heutzutage in der Kosmetikabteilung des KadeWe vorbeischaut, findet sich dort in Gegenwart von über 1500 verschiedenen Duftwässerchen wieder. Chloé, Kenzo, Bulgari, Gucci, Prada, Balmain: Fast alle großen Modehäuser vertreiben ein markeneigenes Parfum, neben Handtaschen der lukrativste Posten im Unternehmenssortiment. Düfte haben einen großen Anteil an der Demokratisierung von Luxuskonsumgütern geleistet: jede Putzfrau kann sich mit No. 5 oder J’adore heute einen buchstäblichen Hauch von Couture leisten. Aber was sollte ein gutes Parfum, einmal abgesehen vom aufwendig gestalteten Flakon mit darauf prangendem Logo, tatsächlich können?
Die Kunst des verführerischen Dufts lässt sich mit dem Geheimnis eines schönen Kleids vergleichen: wenn man als Kompliment zu hören bekommt „Du siehst aber gut aus!“ beziehungsweise „Du riechst aber gut!“ anstelle von „Dein Kleid sieht hübsch aus“ beziehungsweise „Nach welchem Parfum riechst Du?“, dann hat der Modedesigner beziehungsweise Duftkompositeur alles richtig gemacht. Leider scheint mir das zumindest bei Letzterem nur allzu selten der Fall zu sein.

Wer sich einmal mit wirklich kritischer Nase durch das überwältigende Sortiment der Duft-Abteilung im Kaufhaus geschnüffelt hat, ist nämlich schnell ernüchtert: tatsächlich luxuriös, also exklusiv, erhaben, elegant und dabei doch auf ganz raffinierte Weise subtil, kurzum: einfach nach schönem Menschen – so riechen heutzutage leider die allerwenigsten Markenparfums. Ein gelungenes und vor allem zur jeweiligen Persönlichkeit passendes Parfum könnte der Aura der Trägerin oder des Trägers wie ein funkelndes Schmuckstück oder ein tolles Paar Schuhe den letzten Feinschliff verpassen. Gerade die Düfte der großen Luxusmodehäuser sind jedoch meistens viel zu aufdringlich, bestehen aus chaotisch zusammengewürfelten Ingredienzen und übertünchen mit ihrer Künstlichkeit, anstatt den Eigengeruch zu optimieren. Zu Recherchezwecken habe ich neulich eine Stunde lang bei Douglas an besprühten Papierstreifen gerochen. Die Forschungsergebnisse: Aqua di Gioia von Giorgio Armani: Zuckerwatte und Zitronenbonbon. Classique von Jean Paul Gaultier: Seniorenheim, Rosenseife. For Her von Narciso Rodriguez: Muskatnuss, Pfirsich-Eistee. Pour femme von Dolce & Gabbana: Schmalzgebäck, gebrannte Mandeln. Flash von Jimmy Choo: Liebesäpfel, Rosenstrauß, Desinfektionsmittel. Florale von Issey Miyake: Spülmaschinentabs, Klebstoff. Honey von Marc Jacobs: Persil, Zitroneneis.

Ehrlich: wer will denn bitte nach Schmalzkuchen riechen? Oder nach Eistee? Ich will mich da nur noch schütteln. Problematisch ist natürlich auch die Kundin selbst: viele Frauen schleppen ihr Parfum in der Handtasche mit sich herum und nebeln sich alle drei Minuten in eine frische Duftwolke ein, weil sie den Geruch selbst gar nicht mehr wahrnehmen. Wenn es dann auch noch Dolce & Gabbana’s Pour femme mit Einschlag von frittierter Zimtstange sein muss, ist es schnell vorbei mit der Verführung. Ein schlechtes Parfum ist wie ein zu kurz und zu eng geratenes Kleid: aufdringlich und deshalb schlichtweg abstoßend.

Ein gutes Parfum simuliert hingegen einen erquickenden Eigengeruch, der die individuelle Persönlichkeit unterstreicht und beim Geruchsempfänger den Eindruck hinterlässt, wer so besonders dufte, müsse ja auch selbst besonders, also attraktiv sein.
Diese Simulation ist somit das eigentliche Ziel des Parfümierens, und je mehr man sich von den für den Massenmarkt produzierten Logo-Düften entfernt, desto näher kommt man dem Erfolg. Margiela’s Replica-Düfte Flower Market und Beach Walk zählen mit ihren sehr klaren, geradlinigen Duftkompositionen noch zu den erträglichsten Modeparfums. Untitled setzt sich aus Orangenblüten und Zedernholznoten zusammen, ein ziemlich herber Geruch, an den man sich erst gewöhnen muss. Der letzte Schrei ist momentan allerdings Spezialparfumeur Geza Schön’s Escentric Molecule Molecules 02. Der Duft imitiert kein bekanntes Material, weder Zimtstange noch Kaugummi noch Klebstoff. Er lässt sich mit nichts Bekanntem assoziieren. Sondern riecht stattdessen unfassbar erfrischend, raffiniert unaufdringlich, elegant, geradezu ästhetisch, um nicht zu sagen schön.

Den Duft wahrer, menschlicher Schönheit einzufangen ist indes bisher nur einem gelungen: dem psychopathischen Parfumeur Jean-Baptiste Grenouille, der in Patrick Süßkinds Roman „Das Parfum“ eine Jungfrau nach der anderen erschlägt und ihren Körpergeruch mithilfe eines widerwärtigen Einbalsamierungsverfahren konserviert.
Mord ist natürlich auch keine Lösung – wobei man Grenouille’s abscheulichem Treiben durchaus einen genialen und auch philosophischen Ansatz zuschreiben muss. Denn anders als ein perfekt geschneidertes Kleidungsstück ist Parfum ja unsichtbar. Und verrät deshalb im Idealfall die Existenz seines Gegenstands gar nicht, sondern wird zu einer zweiten Haut, die attraktiver ist als die, in der wir sowieso stecken.