Comeback des Buffets

Fast genau ein Jahr nachdem ich hier den Durchbruch des flying dinner auf Berliner Modeparties analysierte, hat die Hauptstadt schon wieder einen neuen kulinarischen Trend zu vermelden. Die große Neuigkeit: das Buffet ist zurück. Heureka! Endlich haben deutsche Cocktailparty-Organisatoren verstanden, dass Modemenschen mit kleinen Häppchen auf fliegenden Platten nicht viel anfangen können. Fakt ist: beim flying dinner isst man mehr als man will, weil man spätestens nach dem dritten noch so kleinen Tellerchen mit dem Kalorienzählen durcheinander kommt. Und so was mögen Modemenschen nicht.

Als Trendsetter des Buffet-Comebacks wird der Schweizer Uhrenhersteller Omega verdächtigt, auf dessen Vintage Soirée ich mich Anfang Oktober herumtrieb. Damals glaubte ich beim Anblick des historisch aufgemachten Buffets, komplett bestückt mit Lachsterrine, Käsewürfeln, Fleischklößchen, gebratenen Garnelen, Hackbrötchen und Meringue-Tartelettes noch an eine ironische 60er-Jahre-Hommage. Noch dazu fand die Veranstaltung in der PanAm-Lounge statt. Nur Kalter Hund, Mettigel und Holly Golightly fehlten.

Aber dann, auf einer anderen Cocktailparty, diesmal im Soho House: mitten im Wohnzimmer des frisch eröffneten Lofts im dritten Stock hatte man ein gigantisches Buffet aufgefahren, bei dem auch Louis XVI gerne angestanden hätte. Was gab es da? Einen Lachs im Ganzen, ungefähr einen Meter lang, orange leuchtend unter silbern schimmernder Haut. Knusprigen Schweinebraten. Avocado-Salat mit Shrimps und Äpfeln. Französisches Baguette. Kurzum: ein Essen von barocken Standard, Speisen, die sich sehen lassen konnten.
Eben das lässt sich von einem flying dinner allerdings nur bedingt behaupten. Kleine Häppchen auf Untertassen bieten schließlich kaum Platz für solch repräsentative Gerichte wie einen Lachs im Ganzen oder Schweinebraten. Überhaupt scheint das Repertoire der fliegenden Mahlzeit mittlerweile ausgeschöpft. Risotto. Cesar Salad. Miniburger. Schaumsuppe. Crostini. Irgendwas Aufgespießtes. Minitörtchen. Überall fliegt das Gleiche herum, viel mehr Kreativität scheint auf die kleinen Teller einfach nicht drauf zu passen.

„The buffet is open!“, pflegte meine Englischlehrerin bei interkulturellen Schulfesten früher immer zu sagen. Die dem Deutschen entlehnte Formulierung klingt mir ob ihrer peinlichen Unbeholfenheit bis heute in den Ohren – klar wird dabei aber, worin die Funktion einer mit Essen vollgestellten Tafel tatsächlich auch besteht: nämlich, die Speisen durch die festliche Präsentation selbst wie auf einer Bühne in den Mittelpunkt zu rücken. Das Buffet wird eröffnet, ebenso wie sich der Vorhang im Theater öffnet. 
Anschließend folgt dann das Prozedere des Schlangestehens, an einem Buffet man sich nämlich anstellen, um eine Scheibe vom Schweinebraten abzukriegen. Mit anderen Worten: man muss sich sein Essen erarbeiten, und genießt anschließend entsprechend bewusster, während es beim flying dinner einfach vorbei geflogen kommt und der mundgerechte Happen mitten im angeregten Gespräch eher gedankenlos verschlungen wird.

Zwischenzeitlich uncool wurde das Buffet aber vermutlich wiederum gerade deshalb, weil das Anstehen für Essen allzu schnell Kantinenatmosphäre verbreitet. Auf Cocktailparties, gerade auf jenen der Modeindustrie, gibt es zudem Wichtigeres zu tun, als sich für etwas so Triviales wie Essen in die Schlange zu stellen. Für Unruhe sorgt auch der Umstand, dass man nie gleichzeitig isst, sondern immer gerade einer auf Zugang zu Käseplatten oder Schokobrunnen wartet. Das flying dinner ist dagegen viel zeitsparender, Essen und Konversation werden zwei Fliegen, die sich mit einer Klappe schlagen lassen.

Aber wollen wir beim Essen wirklich Zeit sparen? Vielleicht lässt sich das Comeback des Buffets auch als Teil der allgemeinen Entwicklung hin zu mehr Aufmerksamkeit für Qualität und Genussbewusstsein interpretieren. Die Kleidermode wird gerade wieder sinnlicher und genussfreudiger, weg vom Minimalismus, hin zu ausladenden Röcken und dekolletierten Kleidern. Ähnlich dürfte sich also auch die kulinarische Welt entwickeln: so ein Lachs im Ganzen, ansprechend angerichtet, sieht doch tatsächlich viel mehr nach Lebensfreude aus als ein kleines Löffelchen Risottoreis.

Zum repräsentativen Aspekt des Buffets kommt außerdem der Umstand, dass ein großer Teller voller Essen weit mehr Zufriedenheit verschafft als lauter aufgehübschte Winzlingshappen auf Dessertellern und Suppenshots in Espressotassen. Haftet dem flying dinner schließlich nicht auch irgendwie der fahle Nachgeschmack des Gekünstelten an? Essen als krampfhaft reduziertes Kunstobjekt statt hedonistischer Gaumenfreude? Mit dem Comeback des Buffets kehren wir zurück zu kultiviertem und reflektiertem Genießertum – und kommen auch endlich einmal wohlgesättigt von all den Modeparties nach Hause.